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Sternekoch Philip Rachinger: „Das Durchbeiß-Gen musst du haben“

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So lässig wie er seine extravagante Zander-Debreziner-Kreation beschreibt, die er am Opernball auftischt, interpretiert Philip Rachinger Fine Dining. Der mit zwei Michelin-Sternen dekorierte Chef gibt am 27. 2. sein Operndebüt. Im Gepäck hat der Mühlviertler sein „Versautes Punschkrapferl“ und die Leidenschaft für Kulinarik, die seiner Familie seit sechs Generationen den Weg in die Zukunft weist

Das hat es zwischen Feststiege und Ehrenloge noch nie gegeben. Wer beim Staatsball am 27. Februar in der neuen Feinschmecker-Lounge mit einem verführerisch glänzenden Punschkrapferl liebäugelt, sollte wissen, dass sich unter der Oberfläche ein Schweinsbauch verbirgt. Das mit Rote-Rübensaft und Joghurt glasierte Gericht, kombiniert mit violettem Erdäpfelstampf, Radieschen und einem Hauch Kimchi, ist das Signature Dish von Philip Rachinger. Wenige Wochen nachdem er bei der Michelin-Gala mit zwei Sternen dekoriert wurde, folgt der Oberösterreicher der Einladung von Drei-Sterne-Chef Heinz Reitbauer und Birgit Reitbauer, die im Opernball-Komitee für Kulinarik zuständig ist. 

Im exklusiven Feinschmeckerbereich in der Orchestergarderobe wartet Rachinger auch mit einem „fancy Erdäpfelkasbrot“ auf, verfeinert mit Kate & Kon-Kaviar, Leinölvinaigrette mit Essiggemüse, frischem Schnittlauch und Pommes Soufflés. „Die höchste Kunst von Pommes. Die gehen auf wie ein Polster“, beschreibt Rachinger vorfreudig. Dazu bietet er eine Zander-Debreziner-Kreation mit Szegedinerkraut an. „Die ist auch super!“, schwärmt er. „Wir machen halt etwas Bodenständiges. Klassische Mühlviertler Kost“, sagt Rachinger ohne Koketterie – während Küchenlaien den staunenden Mund kaum zukriegen. 

Der 35-jährige Küchenchef im „Ois“ im Mühlviertler Hotel Mühltalhof betreibt eines von insgesamt 18 Zwei-Stern-Restaurants Österreichs. Im ländlichen Idyll Neufelden hat er am malerischen Ufer der Großen Mühl eine Leidenschaft zur Vollendung gebracht, die seit sechs Generationen die Familiengeschichte bestimmt. Im ältesten Teil des mehrfach erweiterten Hauses erzählen Schwarz-Weiß-Fotos davon, denen der Chef gerne mit Anekdoten Leben einhaucht. 

Es ist eine brutale Ehre, dass ich auf der Vorarbeit der Generationen vor mir die Kür aufbauen darf. Ich setze um, was Oma und Opa schon gerne gemacht hätten

Abgeschaut aus Kitzbühel und Gstaad

Von der Uroma Johanna und dem Uropa Alois erzählt er dann, die Anfang des 20. Jahrhunderts geheiratet hatten, als sie 18 war und er 44. „Sie war ein lediges Kind, er war Lehrer. Sie konnte gut kochen. Er hat unterrichtet. Abends hat er ausgeschenkt, sie hat gekocht und die Gäste am Klavier unterhalten“, beschreibt Rachinger eine gemeinsame Leidenschaft in der Zeit des Existenzkampfes während zweier Weltkriege.

Einen besonderen Platz hat im Mühltalhof auch das Foto des 1996 verstorbenen Großvaters. Von den Wanderjahren im Grand Hotel in Kitzbühel brachte der Opa die südsteirische Großmutter, die er dort kennenlernte, nach Neufelden – sowie spektakuläre touristische Neuheiten. Wie nach ihm der Enkel, modernisierte er das Hotel. In jedem Zimmer wollte er eine Toilette und eine Dusche installieren, wie er es im Skiort gesehen hatte. „So eine blöde Idee, mach ein Gemeinschaftsbad am Gang, sparst dir viel Geld!“, hörte er bei den Kreditverhandlungen mit der Bank. Stolz erzählt Rachinger, wie der Großvater den Bürgermeister und zwei weitere wichtige Leute überzeugen konnte, um seine Idee umzusetzen. Auch weiße Tischtücher, Rot- und Weißweingläser hielten mit dem Opa nach dessen Aufenthalten als Oberkellner in Antwerpen und Gstaad Einzug im Mühlviertel. 

„Die Oma lernst vielleicht später noch kennen, die ist wie die steirische Eiche. Sie ist 92 Jahre alt und zum Fürchten fit. Eine Motivation wie Schwarzenegger. Sie weiß alles“, erzählt Rachinger.

Rachingers Oma als Urkraft:

Ganz oben mitkochen können

Der liebevolle Respekt in Rachingers Stimme, wenn er von der Oma spricht, mag aus der Kindheit stammen. „Am Samstag von sieben bis neun Uhr haben wir die Küche immer für uns gehabt. Dann haben wir gemeinsam Kardinalschnitten und Topfentorten gemacht, bevor die Köche gekommen sind“, erinnert sich der Spitzenkoch. 

Die Leidenschaft fürs Kochen sei immer schon da gewesen, sagt er. Dass sein Vater, Helmut Rachinger, im Mühltalhof 2015 drei Hauben erkocht hat, mag unterbewusst vorbildhaft gewesen sein. „Papa ist ein eigener Maßstab für Kreativität und Unternehmertum, weil er sehr clever arbeitet und seiner Zeit immer Jahre voraus ist“, sagt Philip Rachinger über den Vater. Gegenüber vom Mühltalhof hat Helmut Rachinger nach der Übergabe der Küche an den Sohn einen Stall zum magisch-erdigen Bistro „Fernruf 7“ samt einfachen, japanisch inspirierten Zimmern umgebaut. 

Druck, den Familienbetrieb zu übernehmen, hat es dabei nie gegeben. Rachinger: „Ich hab’ den Luxus gehabt, dass ich nie gezwungen wurde zum Mithelfen oder zu einer Karriere in der Küche.“ Erst nach der Matura an der Tourismusschule Salzkammergut in Bad Ischl arbeitete er erstmals richtig mit. Der Ehrgeiz packte ihn schon davor. „Der Antrieb war schon, ganz oben mitkochen zu können“, erklärt er. „Ich war 14 und habe Eckart Witzigmann super gefunden, und wie man sich durchbeißen und nach oben kommen kann. Da hat meine Mutter gesagt: Mach dir das Leben halt nicht so schwer.“

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In der offenen Schauküche im "Ois" im Mühltalhof in Neufelden im Mühlviertel, 30 Autominuten von Linz, geben lokale Produkte den Ton an.

 © Robert Maybach

Ich habe viele Extrakilometer gemacht. Ich bin jetzt 35 und ich habe noch
nie Arbeitsstunden gezählt

Von einer Topadresse zur nächsten

Seine Wanderjahre führten Philip Rachinger durch die besten Restaurants Europas. Er lernte bei Jürgen Vigné im Salzburger „Pfefferschiff“, im Münchner „Tantris“ bei Hans Haas, ab 2010 war er zwei Jahre im „Steirereck“ am Pogusch und in Wien, dann zog es ihn nach London ins „Sketch“ zu Pierre Gagnaire und Isaac McHales „Clove Club“, sowie nach Paris zu Sven Chartier ins „Saturne“. 

„Ich habe nie schlechte Erfahrungen gemacht. Das Durchbeiß-Gen musst du schon haben, wenn du oben mitspielen willst. Vor allem wenn du einen Familienbetrieb daheim hast, stehst du auf dem Prüfstand: Was hält der aus? Ich hab’ schon reingehackelt und viele Extrakilometer gemacht.“ Angehenden Köchen und Köchinnen legt er die Arbeit in familiengeführten Betrieben ans Herz: „Es ist ein Vorteil, wenn du 16 oder 17 bist und der Chef oder die Chefin selbst Kinder haben. Das ist anders, als wenn ein General Manager die Tür zuhaut und heimgeht.“

Nach der Pflicht, die Kür

Seit Ende 2013 ist Rachinger zurück im Mühltalhof, wo er 2018 alleiniger Küchenchef im Restaurat „Ois“ wurde. Seine Philosophie ist die Arbeit mit unverfälschten lokalen Produkten, die er zerlegt, aufs Wesentliche reduziert und raffiniert neu interpretiert. „Es ist schon eine brutale Ehre, dass ich auf der Vorarbeit der Generationen vor mir die Kür aufbauen darf. Ich darf umsetzen, was Opa und Oma schon gerne gemacht hätten. Früher war da mehr Pflicht: ein Reisebus hat schnell gehen müssen.“ Rachinger kocht heute als einer der Top Ten der „50 Best Chefs“ Österreichs.

Freude rangiert im Blick auf den Beruf ganz oben. „Es gibt nichts Schlimmeres als ein Michelin-Sterne-Restaurant, in dem die Luft zum Schneiden ist, weil die Stimmung so angespannt ist“, sagt er. Diese Haltung spiegelt sich in Rachingers innovativen Projekten wider. 2017 war Neufelden Schauplatz des internationalen „Gelinaz!“-Festivals, bei dem 24 Spitzenköche gemeinsam kochten. Zwölf Köchinnen – u. a. Ana Roš, Karime Lopez – und zwölf Köche – u. a.  René Redzepi, Virgilio Martinez, Heinz Reitbauer – machten Neufelden für ein Wochenende zum kulinarischen Nabel der Welt. Dazwischen plantschte man – Fotos beweisen es – gemeinsam in der Großen Mühl vorm Hotel.

Wie Philip Rachinger Fine Dining inszeniert:

Die Kunst der „Healthy Boy Band“

Daraus entstand die Idee zur „Healthy Boy Band“, ein kulinarisches Kollektiv, das Rachinger mit Felix Schellhorn vom „Ketchup“ im Hotel „Der Seehof“ in Goldegg und mit Lukas Mraz vom „Mraz & Sohn“ in Wien gründete. Unter dem Motto „Fuck Fine Dining“ positioniert es sich gegen konventionelle Gastronomiekonzepte und organisiert Koch-Events, die kulinarische Erlebnisse mit künstlerischen Performances und gesellschaftspolitischen Themen verbinden. Junge Menschen für die Gastronomiebranche zu begeistern ist das Ziel. 

Die „Healthy Boy Band“ ist Zeichen der durch regen Austausch erstarkten österreichischen Gastroszene. „Es gibt ein Miteinander, ein Problemchen-Teilen, das uns zusammengeschweißt und nach vorne gebracht hat. Wir haben alle viel probiert, uns Markenzeichen erarbeitet und die Küche so weit geschärft, dass wir unverwechselbar genau und schön arbeiten“, beschreibt Rachinger. Nachsatz: „Ich bin jetzt 35 und ich habe noch nie im Leben Arbeitsstunden gezählt.“

Letzteres bringt ihn mit Sicherheit optimal durch die Opernballnacht. 

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Der Mühtalhof beherbergt das Restaurant "Ois"

 © Mühltalhof
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Rachingers Signature Dish "Versautes Punschkrapferl"

 © Lisa Ulrich-Gödel

Restaurant „Ois“ im Mühltalhof

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.09/2025 erschienen.

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