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Stefan Bachmann: Lichtvisionen, Winterreise und der bessere Jedermann

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Stefan Bachmann

©imago images/Horst Galuschka
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Ein sehenswerter Sprung der Staatssekretärin über alle Schatten, die heute auf Ernennungen lasten: Stefan Bachmann ist weder „woke“ noch „divers“ und erfüllt keine Quote. Er ist einfach ein erstklassiger Theatermensch. Das Porträt des Mannes, der im Herbst 2024 Martin Kusej als Burgtheaterdirektor folgt.

Steckbrief Stefan Bachmann

  • Name: Stefan Bachmann

  • Geboren: am 1. Juli 1966 in Zürich

  • Beruf: Regisseur - ab 2024/25 Burgtheater-Direktor

  • Familienstand: verheiratet mit Schauspielerin Melanie Kretschmann

  • Kinder: eine Tochter, drei Söhne

Um eine Königs-Causa aus dem österreichischen Minimundus mitsamt ihren beträchtlichen Verästelungen in elf Sätze zu gießen: dazu bedarf es mindestens der Nobelpreisnähe, wenn nicht des Nobelpreises selbst. Und sogar mit dem kann im gegenständlichen Fall gedient werden.

„Naja“, leitet Elfriede Jelinek eine Doppeldiagnose voll subtiler Schattierungen ein, „ich persönlich kann gegen Kusej nichts sagen. Er hat zwei meiner politischsten Stücke aufgeführt (und ich werde bestimmt keinen Beliebtheitswettbewerb in Österreich gewinnen!), für Corona konnte er nichts.“ Aber: „Stefan Bachmann steht meinem Herzen halt schon sehr nahe, anders kann ich es nicht sagen. Er ist ein wunderbarer Regisseur und auch Theaterleiter. Unglaublich, was er aus dem langen Provisorium Köln herausgeholt hat. Ich glaube, er kann wirklich alles, aber er kann besonders österr. AutorInnen. Da muß ich einmal die Namensvetterin Ingeborg Bachmann zitieren: Die sublime Serenität (ich glaube, so sagt sie es) des Österreichertums. Die hat er irgendwie drauf. Den entschlossenen Zugriff auf Texte, aber auch die Sanftheit, die sie manchmal brauchen. Das gibts selten.“

Kommen und Gehen

Damit ist schon viel gesagt über den nicht mehr lang amtierenden und den designierten Burgtheaterdirektor. Nämlich: Der Kärntner Slowene Martin Kusej, 61, wollte bis zuletzt nicht glauben, dass er das Amt im Juni 2024 abgeben muss. Als seine verzweifelten Gegenmaßnahmen ergebnislos blieben, rettete er sich in den Rücktritt. Als erstem Burgtheaterdirektor seit Gerhard Klingenberg (1971 bis 1976) wird ihm somit die zweite Amtszeit verweigert. Matthias Hartmann (2009 bis 2014) war ein anderer Fall: Sein Vertrag war schon verlängert, als er, mittlerweile rückstandlos rehabilitiert, in den Sog eines Malversationsskandals geriet und des Amtes enthoben wurde.

Hartmann war es, der seinen Nachnachfolger in Wien etabliert hat: Der Schweizer Stefan Bachmann, 56, derzeit Intendant des umbauhalber endlos ausgelagerten Schauspiels Köln, diente dem Burgtheater zwischen 2009 und 2012 als ortsansässiger Hausregisseur. Seine Resultate könnten qualitativ nicht unterschiedlicher sein: Zwei „Nestroys“ und einer Einladung zum Berliner Theatertreffen stand der Absturz mit Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gegenüber.

Die Besetzung mit Nicholas Ofczarek, Birgit Minichmayr und Johann Adam Oest war der pure Luxus. Aber, so erinnert sich der Schauspieler und Gastronom Hanno Pöschl, der die markante Nebenrolle des „Mister“ verkörperte, alle Beteiligten waren wie gelähmt. Vier Tage vor der Premiere übernahm Sven-Eric Bechtolf die Regie.

Rückblickend war die damals schwer geschmähte Aufführung allerdings eine Pretiose an Stimmigkeit und Schauspielglanz, verglichen mit Johan Simons’ bemüht buchstabiertem und bescheiden besetztem Horvath, der derzeit auf dem Spielplan des Hauses steht. Ohne unstatthafte Vergleiche ziehen zu wollen, erweist sich an solch einer enormen, das Mittelmaß ausschließenden Amplitude oft das Großformat eines Regisseurs. Auch Peter Zadek und George Tabori changierten zwischen unter- und überirdischen Resultaten. Und so meldete sich Bachmann nach sieben Monaten aus dem Debakel zurück und fuhr mit Kathrin Rögglas „Die Beteiligten“ zum Theatertreffen. Wenige Wochen vor der Uraufführung hatte Natascha Kampusch ihre Erinnerungen vorgestellt. Die Salzburgerin Röggla machte nun die Mediengesellschaft, bestehend aus Produzenten und Konsumenten, als Komplizen des Entführers Wolfgang Priklopil namhaft. Diesmal standen keine Publikumslieblinge auf der Bühne. Aber die sich auf das Wagnis einließen, erzeugten einen unvergesslichen Sog.

Halsbrecherische Reise

Und 2012 traf die österreichische Erstaufführung von Elfriede Jelineks schon sprachraumweit gefeierter „Winterreise“ ins Herz. Der Irrweg durch die eigene Familiengeschichte mit dem klinisch kranken Vater und der traumatischen Mutter war auf eine halsbrecherische, kaum noch bespielbare Schräge verlegt. Das Ensemble um Rudolf Melichar und Barbara Petritsch setzte sich der Absturzgefahr aus wie auch der Hamburger Rocker Jan Plewka, der mit Klavierbegleitung Lieder aus Schuberts Zyklus improvisierte. Das glückhafte Wagnis war mit dem „Nestroy“ nicht überdotiert.

„Sublime Serenität“, eine österreichische Art unergründlich tragischer Heiterkeit, nimmt Elfriede Jelinek mit den Worten Ingeborg Bachmanns bei deren Schweizer Namensvetter wahr. Und in der Tat hat Stefan Bachmann eine glückliche Hand nicht nur für stark stilisierte, einprägsame Bühnengestalten, sondern auch für die österreichische Gegenwartsdramatik. Vier Mal holte er mit Glanz Elfriede Jelineks Textflächen ins Bühnenleben: nach der „Winterreise“ noch „Schnee Weiß“ über die Triebtäter im Skiverband und die ibizenkische Groteske „Schwarzwasser“ um Straches Untergang, beide in Köln. In Frankfurt folgte das Corona-Fanal „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen!“, ergänzt durch den Epilog „Was ich sagen wollte“, der nach Strache auch Sebastian Kurz ein paar Quadratzentimeter Geschichte zuweist.

In Köln begann Bachmann auch eine glückhafte Zusammenarbeit mit dem in Syrien geborenen, in Wien praktizierenden Arzt und Dramatiker Ibrahim Amir, dessen Grotesken um deformierte Katastrophenmigranten sich durch berückende Inkorrektheit auszeichnen.

Debüt mit Wolfgang Bauer

Auffallend oft waren es lebende Österreicher, mit denen Bachmann sein Glück machte. Wien war da schon zu Beginn ein markanter Schauplatz. Der damals Dreißigjährige hatte die Studienjahre in Germanistik, Theaterwissenschaft und Religion schon hinter sich, bei Luc Bondy in Berlin hospitiert und ebendort mit Fortüne die freie Theatergruppe Affekt mitbegründet. Einer seiner Berliner Kollegen, der ihm bis heute verbundene Schriftsteller Thomas Jonigk, mag ihn an Hans Gratzers Wiener Schauspielhaus empfohlen haben. Hier stand in den Festwochen 1996 „Skizzenbuch“ zur Uraufführung, ein Werk des Grazer Anarchisten Wolfgang Bauer, der in der Gestalt des Dichters „Wolfi“ auf einer Gebirgswanderung von einer gewaltige Lichtvision („unbedingt das NEWS anrufen!“) heimgesucht wird. „Bin nicht nüchtern“, räumt er zwar im Nachsatz ein. Doch wie der damals als Protagonist aktive Hanno Pöschl in eine überdrehende Endlosschleife stürzte, das war ebenso radikal wie elegant und jedenfalls unermesslich komisch.

Freundlichkeit, Umgänglichkeit und Gelassenheit attestiert Pöschl dem jungen Mann mit dem verknautschten Nachachtundsechziger-WG-Blick: „Ich lasse mich vom Regisseur gern führen. Aber mit denen, die einen erst zum Aufmachen ermuntern und dann zustechen, will ich nichts zu tun haben.“ Bachmann vertraute dem entgegengesetzten Prinzip. Der Erfolg war riesig, doch Gratzer setzte die ausverkaufte Serie unbegreiflich schnell ab, erinnert sich Pöschl. Nicht auszuschließen, dass der große Theatermann hier einen bedrohlichen Konkurrenten heranwachsen sah.

Die frühen Erfolge

Bachmann fand seinen Weg auch so. Er wurde noch im selben Jahr als Nachwuchsregisseur des Jahres ausgezeichnet und übernahm 1998 das Theater Basel, das ein Jahr danach von der deutschsprachigen Kritik zur Bühne des Jahres gewählt wurde. Eine seiner eindrücklichsten Arbeiten dort war Wolfgang Bauers „Magic Afternoon“ in verstörender Neudeutung: Die beiden jungen Paare, deren Lebenslangeweile in einen Akt tödlicher Gewalt umschlägt, waren vom Uraufführungsjahr 1968 ins Aufführungsjahr 1998 gereift und vollzogen den finalen Exzess als gesetzte Senioren.

Die Karriere, derzeit fünf Einladungen zum Theatertreffen stark, schritt stürmisch voran. Als der zusehends Gefeierte Verschleiß befürchtete, ging er mit seiner Frau auf unbefristete Weltreise, die in Panama wegen der sich ankündigenden Zwillingsgeburt unterbrochen werden musste. Die Rückkehr ins Geschäft bereitete keine Probleme, und 2013 übernahm er mit Fortüne die Kölner Intendanz. Er muss dort im Gefolge entgleisender Restaurierungsmaßnahmen seit einer Ewigkeit abgelegene Provisorien bespielen und beendet die Corona-Saison 2021/22 doch mit 73 Prozent Auslastung, von der man an Kusejs „Burg“ nur träumen kann.

Sein Spielplan ist gut ausgewogen zwischen forsch ins Heute transferierten Klassikern und Neuem. Seinen kürzlich bis 2026 verlängerten Vertrag wird Bachmann nicht zur Gänze wahrnehmen können. Aber er kann, eine spezielle Pointe, in Wien auf seinen zentralen Schauspieler Martin Reinke zurückgreifen, den Kusej nach mehr als 30 Jahren Köln an die „Burg“ abgeworben hat.

Zuletzt freute man sich in Köln mit amüsiertem Grauen an einer drastischen Überschreibung des Molière’schen „Eingebildeten Kranken“ durch die Dramaturgin Barbara Sommer und ihren Ehemann Plinio Bachmann. Die Gleichheit der Namen ist kein Zufall, denn Plinio Bachmann, einst Matthias Hartmanns Chefdramaturg an der „Burg“ und mit ihm zuletzt an der Fernsehreihe „Das Netz“ tätig, ist Stefans jüngerer Bruder. Überhaupt schätzt der Intendant den Familienbetrieb: Seine Frau, die deutsche Schauspielerin Melanie Kretschmann, nimmt in Köln Protagonistenrang ein und ist auch bei Molière zugange. Sie und der Gatte wurden vor vier Jahren inkorrekter Umgangsformen beschuldigt. Nach allseitigem Gelöbnis der Besserung ist der Konflikt bereinigt, dennoch soll die Mutter der vier Intendantenkinder in Wien nur als Gast auftreten.

Hartmanns Groll

Familienbewusstsein ist den Bachmanns eingeschrieben: Vater Dieter Bachmann, „Chefredaktor“ der Schweizer Kunstzeitschrift „DU“, verkörpert prototypisch korrektes Schweizer Linksbürgertum aus der Achtundsechzigertradition. Dessen Ideale sieht Matthias Hartmann im Sohn allerdings nur begrenzt verkörpert. „In der Öffentlichkeit spricht man nicht über Kollegen“, teilt er auf Anfrage mit. „Das sollte ein Gesetz der Branche sein und es gebietet der Anstand. Nach allem, was ich für Stefan Bachmann getan habe, hätte ich mir das auch von ihm gewünscht.“ Woher der Groll? Vier Jahre nach Hartmanns Entlassung leistete sich das „Burg“-Ensemble eine entbehrliche Unehrenrunde: Den nahenden Direktor Kusej schon im Blick, bezichtigte man dessen Intimfeind Matthias Hartmann in einem Offenen Brief diktatorischer Amtsgebarung. Und Bachmann, der nach sechs Jahren Abwesenheit gerade wieder an der „Burg“ zu proben begann, schimpfte in einem Zeitungsinterview inbrünstig mit. Eventuell als Vorleistung an das Ensemble.

Erheblicher war allerdings, was sich nachher ereignete. Bachmann war von der erfolgreichen Interimsdirektorin Karin Bergmann eingeladen worden, mit dem Dramatiker Ferdinand Schmalz eine „Jedermann“-Paraphrase zu entwickeln. „Jedermann (stirbt)“ mit Markus Hering in der Titelrolle wurde ein Furioso ironischer, anarchischer und poetischer Theaterkunst. Und Schmalz äußert sich euphorisch über Bachmanns Avancement. Ein idealer Ensembleregisseur sei da gefunden worden, ein Garant für beste Arbeitsatmosphäre, weder willens noch in der Lage, das branchenübliche Klima der Angst zu erzeugen. „Und wie fein er mit der Sprache umgeht! Man sieht sofort, dass er an Elfriede Jelinek und ihrer akrobatischen Sprache geschult ist.“

Womit sich der Kreis auch für diese Geschichte schließt.

15 Minuten vor Redaktionsschluss, und Kollegin Zobl morst aus der Pressekonferenz letzte Details zur Lage. Die Staatssekretärin ist zu beglückwünschen: Eine Entscheidung nach künstlerischen Kriterien zu treffen, ist in Zeiten multipler Quotendiktatur keine Selbstverständlichkeit. Was man sich jetzt wünschen darf? Dass Bachmann nicht im Ensemble holzt, um seiner Kölner Entourage Luft zu verschaffen, sondern vielmehr die von Kusej Vertriebenen (Joachim Meyerhoff und Sunnyi Melles zum Beispiel) zurückholt. Dass er sich aber von unzulänglichen Kräften, mit denen sein Vorgänger das Haus reich bestückt hat, ohne Scheu trennt. Dass er dem Haus keinen Stil aufzwingt: Die Sehnsucht nach Andrea Breth und Nikolaus Habjan ist mindestens so groß wie die Wiedersehensfreude mit Frank Castorf, der zu Kusejs Abschied „Heldenplatz“ inszenieren wird.

Dieser Beitrag stammt aus dem News-Magazin Nr. 50/51 - 2022.

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