Zur Lage der Zivilisation hier und anderswo. Und ein Trump-Text von Elfriede Jelinek.
Ressort-Autist, der ich bin, habe ich es mir zum Prinzip gemacht, Politiker nach ihrem Kunstverstand zu bewerten. Zuverlässig kann man da ihren zivilisatorischen Gesamtbestand hochrechnen. Trump zum Beispiel hat seine Wände mit historischem Indianertötermüll drapiert. Die beiden Renoirs, derer er sich rühmt, dürften bei der amerikanischen Filiale des vorübergehend geschlossenen Bilderhauses Otto erworben worden sein. Weil die Originale gegen Gebühr in Chicago bzw. London besichtigt werden können.
Die John-Otti-Band und Odin Wiesinger als Pfosten in der Brandung staatskünstlergenerierter Steuerzahlerzumutung wären schon Argumente genug, um mit dem Rest nichts zu tun haben zu wollen. Und beharrlich plappern uns erwachsene Grün-Politiker ihre Sorge um den Pop-Sender FM4 in die Ohren, während das RSO und ORF III in der Existenz bedroht sind: ein bedeutender, für das musikalische Gesamtbild unentbehrlicher Klangkörper und der einzige Kultursender des Landes also, und drumherum der freie ORF in seiner Gesamtheit.
Doskozil jedenfalls nicht
Deshalb komme ich, der sprichwörtlich gepeinigte SPÖ-Stammwähler, auch schnell zum Resultat, wer in dieser von der Mehrheit guter Geister verlassenen Partei das Kommando übernehmen soll: Doskozil jedenfalls nicht. Er war keine Woche im Amt, da waren die Eisenstädter Haydn-Tage schon liquidiert. Das war seit langem der Wunsch des Ober-Esterhazys Stefan Ottrubay gewesen, der seine eigenen Festspiele ausrichten wollte. Allerdings hatte die burgenländische Kulturpolitik das renommierte Festival als Prellbock gegen den Intimfeind Ottrubay außer Diskussion gestellt. Als daraufhin Schloss Esterhazy zur Festspielzeit rätselhaft ausgebucht war, gingen die Haydn-Tage spektakulär auf Tournee.
Dann kam Doskozil. Er versöhnte die SPÖ sinnvollerweise mit den Esterhazys, zögerte aber keinen Augenblick, die Haydn-Tage aufzugeben. Ottrubay betreibt jetzt unter Julian Rachlins künstlerischer Leitung mit Fortüne das Hochqualitätsfestival Herbstgold. Aber die eine, in Fach- und Publikumskreisen hoch geachtete Haydn-Woche zusätzlich hätte das kulturell bescheiden ausgestattete Bundesland nicht überfordert .
Wenig später schmiss Doskozil gegen alle zivilsatorischen Standards den Hochschulprofessor Edelmann aus der Mörbischer Intendanz. Damit war die vielleicht letzte Metropole der verlöschenden Operettenkultur Geschichte. Alfons Haider repetiert jetzt dort, was man auch in der Musical-Halle von Herne sehen kann.
Deshalb wäre die SP-eigene Restvernunft gut beraten, Doskozil nicht an die Macht zu lassen, obwohl ich seine Sozialpolitik für sensationell halte. Er ist nämlich auch einer der Hauptschuldigen am obwaltenden Elend. Als Pamela Rendi-Wagner mit kommoden 30 Prozent die Umfragen dominierte, war er es, der ohne Not die Gegenumfrage präsentierte: Unter ihm läge die Partei noch besser. Von da an ging es bergab, und immer war es Doskozil, der mit opportunistischer Entourage Unruhe stiftete. Seine Untertanenschaft ist übrigens bloß um knapp 80.000 Seelen zahlreicher als die des Wiener Bezirks Donaustadt. Das nur, um den Klapotetz im Weiler zu lassen. Und um nun endlich ins Semifinale zu gelangen: Die Politik braucht kultivierte Menschen, und die erkennt man an ihrem Kunstsinn.
Und jetzt die Nobelpreisklasse
Damit überlasse ich den zweiten Teil meines Kolumnenplatzes unter dankbarem Erröten der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Deren hoch virtuoser, zornglühender Text „Endsieg“ wurde während Trumps Inauguration vom Wiener Festwochen-Intendanten Milo Rau in Mossul und New York in Szene gesetzt. So stelle ich mir Widerstand vor: auf weltliterarischer Höhe statt mit Phrasengeklapper. Und – da Trump vom Ereignis ja hochrechenbar keine Kenntnis genommen hat – gut auf die sich in Europa anbahnenden Ereignisse übertragbar. Das missglückte Attentat, in dessen Folge sich Trump als Gottbeschützter präsentieren konnte, wird da thematisch kühn mit Paul Celans „Todesfuge“ verschnitten: dem Auschwitz-Gedicht, das die Konsequenzen des Ungeistes in ein vergleichsloses Wortkunstwerk fasst.
Jelineks Text
Und auch die Kugel war so frei, sie pfiff vorbei und nahm ein Stück mit, mehr hat sie nicht gekriegt, das hatte sie nun davon. Alle wollen ein Teil von ihm haben oder ein Teil von ihm sein, nein, sie ritzte nur, die Kugel, sie schnitt es gern in diese Rinde ein, es ist jetzt eingetragen, die Stelle ist auf ewig markiert, und jetzt alle, die nicht leben, die das Leben nur markieren, indem sie überall, wo schon jemand war, aber auch im Nichts ihr Bein heben: die Menschen und ihre Häupter und dazu ihre Häuptlinge, ich kann sie hier nur anreißen, nein, lieber nicht, nicht ein Stück des heiligen Ohres fortgerissen vom Schwung der Kugel, die dahineilt, ohne sonst noch wohin zu müssen. Sie hat trotzdem einfach keine Zeit. Sie hat überall keine Zeit. Sie hat aber weiter nichts vor. Sie ist in Eile und kann nicht mehr viel bewirken.
Es schüttelt einer sein staubiges Haar aus, das schneeblonde, die Blonden gewinnen, sie müssen gewinnen. Vorteil für Blond. Die Meister nicht nur in Deutschland, die Meister jetzt überall. Dein goldenes Haar, dein aschenes, Sulamith: Du hast verloren. Du bist gefeuert. Dein Fleisch ist nicht erwünscht hier und sonst auch nirgends. Der Mann wohnt jetzt im Haus, der Mann nimmt sein Haus in Besitz. Die Kugel wußte es schon vor ihrem Ziel.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at
Neuer Newsletter! Heinz Sichrovsky informiert Sie direkt: Melden Sie sich hier zu seinem Newsletter an!
Ihre Leserbriefe zu Kulturthemen finden Sie hier: zu den Leserbriefen!