Die Vorwürfe gegen den preisgekrönten Koch Konstantin Filippou werfen grundsätzliche Fragen auch in Kunstbelangen auf: Darf ein im „Klima der Angst“ generiertes Menü munden? Auch wenn die Meisterkreation aus schockgefrorenen Muscheln besteht?
Jetzt wollte ich mich an dieser Stelle schon seit Monatsfrist wieder dem Höheren, Schönen und Bleibenden verpflichten. Leider kam mir ständig das mathematische Gegenteil dazwischen (z. B. Babler als Kunstminister). Dazu ließe sich auch in dieser Woche manches bemerken, aber jetzt hält mich niemand mehr von meinen ressortautistischen Verpflichtungen fern.
Reden wir daher über die Kochkunst, die mir unter den Künsten weit nähersteht als z. B. Ballett und Jazz, von denen ich nichts verstehe und denen sich daher mein Herz verschließt. In unseren ersten Ehejahren sind meine Frau und ich im Urlaub zuerst in gegenfüßlerferne Weltgegenden, bald aber für jeweils ein paar Tage in hiesige Haubenlokale mit Beherbergungsbetrieb aufgebrochen. In der verwunschenen Villa Hiss im tief verschneiten Bad Gastein hat uns dabei der große, mittlerweile verstorbene Jörg Wörther gelehrt, dass Vollkommenheit und Einfachheit Geschwister sind: Seine vielmals prämiierten Sellerietaschen bestanden aus nichts als der Essenz des Produkts. Sich von einer unter Gourmets als Geheimtipp gefeierten Zellerplantage in West-Ecuador beliefern zu lassen, wäre ihm nicht eingefallen. Eine Knolle regionaler Herkunft entfaltete in seiner Hand eine Art sanfter Gewalt, die den verfeinerten, leider gleichfalls frühverstorbenen Gourmetkritiker Christoph Wagner zum höchstvorstellbaren Prädikat inspirierte: Der Mozart am Herd.
Der Fall Filippou
Womit ich mit der mir eigenen Umschweifigkeit zum Anlass meiner Ausführungen gelange. Die Wiener Zeitung, bis zu ihrer barbarischen Liquidierung durch die Damen Raab und Blimlinger ein Blatt von rarer Relevanz und Kultiviertheit, hat in ihrer neuen, digitalen Gestalt etwas enthüllt: „Schwere Vorwürfe gegen Sternekoch Konstantin Filippou“ wurden da nach monatelanger Recherche erhoben. Der impulsive Meister darf sich nun eleganter Leidensgenossenschaft – Maria Happel, Herbert Föttinger – rühmen: Im Restaurant auf der Dominikanerbastei herrsche (Sie haben es erraten?) ein „Klima der Angst“, so wie im Reinhardt-Seminar und an der Josefstadt. Und das sind nur die Spitzen des Eisbergsalats: Der von der Fachpublizistik mit zwei Sternen und fünf Hauben drapierte Praktikantenschreck hat bei den Produkten geschummelt!
Starr vor Grauen musste ich da lesen: Statt der „norwegischen Jakobsmuschel“ – „sie gilt als die beste Muschel der Welt, wird von Taucher:innen händisch geerntet“ – sei „Schockgefrorenes aus dem Pazifik“ auf den Teller befördert worden!
Wer von den schockgefrorenen Entrichtern der € 360 pro Menü da noch nicht zum Magenauspumpen bei der Notaufnahme vorstellig wurde, dem müssen die weiteren Enthüllungen den Rest gegeben haben: „Statt lebend gelieferten Kaisergranats aus Kroatien“ wurde „tiefgekühlte Ware aus Dänemark“ verfüttert! Und „die fünf Jahre gereifte Sojasoße“ sei in Wahrheit dem „20-Liter-Kikkoman-Kanister“ entwichen!
Der Parvenü-Albtraum: Die fünf Jahre gereifte Sojasoße kam aus dem 20-Liter-Kanister
Menuhin weiß Rat
Und jetzt stellen Sie sich vor: Ich bin angesichts solcher Schelmenstücke außer mir vor Vergnügen. Da wurde die publizistische Hocharistokratie des österreichischen Gastro-Minimundus beim Grand Chef vorstellig, ließ sich mit Soja aus dem Kanister abfüllen und hätte nichts dabei gefunden, Hummer zu fressen, die tagelang unter Qualen der Stunde ihrer Bestimmung geharrt hätten. Und hat nichts bemerkt, nicht das Geringste, im Gegenteil dem Meister überschwänglich Exzellenz attestiert.
Und das offenbar mit Recht. Da sagte doch einst der Jahrhundertviolinist Yehudi Menuhin: „Wenn ich will, spiele ich auf einer Industriegeige aus dem Jahr 1965 so gut wie auf einer Stradivari.“
Wenn es freilich nur um die Stradivari und nicht um das Konzert geht: Dann wäre Filippou kein Virtuose und Ausnahmekönner, sondern ein Schurke.
Insgesamt wecken Parvenüs meinen Jagdtrieb. Was habe ich mich amüsiert, als die Blüte der Fachexpertise zur Kenntnis nehmen musste, dass ein von ihr mit Handschuh und heiligem Ernst angefasster, gleichwohl bedeutungsloser Bilderrahmen nicht von Basquiat, sondern vom wunderbaren André Heller gebastelt worden war!
Anna und der Hochpreiszahler
Oder der „Figaro“ im Mozart-Jahr 2006 bei den Salzburger Festspielen: Im Jahr zuvor hatte Anna Netrebko mit „La traviata“ die sprichwörtlichen, versammelt angereisten Zahnärzte von München und Umgebung in libidinösen Ausnahmezustand versetzt. Nun sang sie dem Giganten Nikolaus Harnoncourt zuliebe die Susanna, die das Gegenteil von spektakulär, nur Liebe, Sorge und Klugheit ist. Da saß neben mir, wie der Babler im „Parsifal“, ein Hochpreiszahler und wartete auf etwas, das er auch nicht verstanden hätte, wenn er es bekommen hätte. Er bekam aber nur das Größte, was je geschrieben wurde.
Und während er von Akt zu Akt unrunder wurde, sang die Netrebko in einem Rezitativ irgendeine unmaßgebliche Verzierung, in der mein Sitznachbar zumindest ein fernes Echo des Ersehnten gefunden zu haben meinte. Da beugte er sich zu seiner womöglich noch unrunderen Gattin und wisperte verzweifelt: „Gell, sie ist schon göttlich?“
Womit ich schwerelos wieder beim Beginn und bei Jörg Wörther, dem Mozart am Herd, bin. Den ich übrigens bis heute vermisse.
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