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Spitzentöne: Der Kampagnenjournalismus hat jetzt das Theater der Jugend erreicht

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Heinz Sichrovsky©Ian Ehm/News
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Mit wortidenten Stereotypen ohne Inhalt reiben Übriggebliebene gegen erfolgreiche Kulturschaffende auf: Nach dem Reinhardt-Seminar und der Josefstadt versucht man es jetzt mit dem Theater der Jugend. Das anonyme Kampagnenunwesen gehört abgestellt.

Im Theater der Jugend war ich lang nicht mehr, so wie auch im sehr empfehlenswerten Figurentheater Lilarum (lassen Sie sich Erwin Mosers „Koko und Kiri“ nicht entgehen, Sie versäumen sonst etwas). Oder im Kino: Als die Töchter klein waren, hat mir die Jüngere noch vier Jahre Aufschub vom Altwerden gewährt, und Titel wie „Ab durch die Hecke“ oder „Ratatouille“ sind für mich Herzkulturerbe. Jetzt gehen die Töchter ohne mich ins Kino und ich gar nicht mehr. Ob nämlich eine nonbinäre Filmdiva etwas über den Islam gesagt hat, interessiert mich maximal aus Schadenfreude bzw. aus Erbarmen. Weil ja weder die Chromosomen noch das Gesinnungsdefizit der Dame etwas mit Kunst zu tun haben (aber ständig für ihre Beurteilung herangezogen werden, erst zur Ikonisierung, dann zur Zerstörung).

Um nun wieder zum Anlass dieser Umschweifigkeiten zu gelangen: Das Theater der Jugend steht in Gestalt seines Direktors Thomas Birkmeir in der üblen Nach­rede. Erst gab er überraschend seinen Rückzug anno 2026 bekannt, zwei Tage später folgte der „Standard“ (wer sonst?) mit Vorwürfen, die Ihnen eventuell bekannt vorkommen: Der Direktor, der das größte Jugendtheater Europas anno 2026 23 Jahre geleitet haben wird, habe ein „Klima der Angst“ verbreitet, u. a. indem er auf Befolgung seiner Anweisungen bestanden und einmal jemanden „zu Demonstrations­zwecken am Arm gepackt und geschubst“ habe. Bestätigt haben das einige wenige im Unfrieden gegangene Mitarbeiter und Anonyme. Mit vergleichbarem Sudel hatte man schon Maria Happel aus dem Reinhardt-Seminar gemobbt.

Tot oder lebend

Länger schon habe ich den Eindruck, die Kollegen von der rosa Zeitung ließen in Abgeworfenen-, Unerlösten- und Branchenverdammtenkreisen ein Formular im Multiple-Choice-Format kursieren: Tot oder lebend abzuliefern sei ein beliebiger Namhafter, der a) beim Proben gebrüllt, b) sexistische Witze erzählt, c) anzüglich geschaut, d) geschubst, e) ein Klima der Angst erzeugt habe (Mehrfachnennungen erwünscht). Die Person scheint dabei sekundär, eher geht es um die Befeuerung des Online-Auftritts, somit auch des Inseratenaufkommens. Das Reservoir ist schier unerschöpflich, denn in meinem Berufsleben ist mir noch keine Firma ohne einen kleinen Bestand Unglücklicher untergekommen. Sogar in Einpersonenbetrieben wie dem Würstelstand auf der Pilgrambrücke hadert der Inhaber dann und wann mit sich selbst.

Um nun zum Theater der Jugend zurückzukehren, ist da eine Kleinigkeit, die ich zuletzt nirgendwo erörtert fand: Was ich dort gesehen habe oder bei meinen Kollegen nachlesen konnte, bescheinigt dem Unternehmen hohe Qualität. Den 45.000 Abonnenten – mehr als Burg, Josefstadt und Volkstheater zusammen – wird ein attraktives, auf Ur-und Erstaufführungen konzentriertes Programm geboten. Derzeit sieht die fortgeschrittene Altersgruppe die akklamierte Dramatisierung des Romans „Echtzeitalter“.

„Drakonische Maßnahmen gegen das In-die-Welt-Setzen und Verbreiten anonymer Ehrabschneidung“

Protokolle des Gelingens

Für die listige Internatsgeschichte hat der Österreicher Tonio Schachinger den Deutschen Buchpreis abgefangen. Das dramatisieren zu lassen, ist für ein öster­reichisches Jugendtheater das Nächst-

liegende – aber warum ist es sonst niemandem eingefallen? Davor zeigte das Theater der Jugend Weltliteratur, Kästners „Emil und die Detektive“. Und wenn Sie das lesen, breche ich vielleicht gerade zu einem Ayckbourn für die Kleinsten ins Renaissancetheater auf. Um mich davon zu überzeugen, dass das Konzept tatsächlich so funkelt, wie meine Kollegen es feststellen.

Wenn ich nun noch richtig zähle, dass seit Birkmeirs Amtsantritt 21 junge Schauspieler aus dem Bestand des Theaters der Jugend für den Nachwuchs-„Nestroy“ nominiert oder mit ihm ausgezeichnet wurden und dass sich mehrere von ihnen Richtung Burg und Josefstadt verändern konnten: so würde ich sagen, dass die Anforderungen eines Kinder- und Jugendtheaters gut erfüllt sind.

Man kann also nur bedauern, dass sich Birkmeir 2026 zurückzieht. Man dürfte sogar erwarten, dass ihn die Verantwortlichen zum Verbleib auffordern oder sich wenigstens bis zum Vorliegen belastender Fakten hinter ihn stellen. Bürgermeister Ludwig hat das vorgezeigt, als der Josefstadt-Direktor Föttinger nahezu wortgleichen anonymen Sudels teilhaftig wurde: Er besuchte demonstrativ eine Premiere, in der Föttinger die Hauptrolle spielte, die Eigentümervertreter des Privattheaters erklärten dem Direktor die Ehre, und Ruhe war.

In Gottes Hand

Diesmal allerdings fiel die Wiener Kulturstadträtin Birkmeir unverzüglich in den Rücken. Mehr noch, sie gab bekannt, schon 2021 gegen seine Vertragsverlängerung gewesen zu sein. Die Begründung nimmt sich eigenwillig aus: Schon damals seien Vorwürfe erhoben worden, doch hätten die eingeleiteten Untersuchungen nichts ergeben.

Wie es scheint, steht man – nicht nur, aber schon auch in Vorwahlzeiten – als Kulturmensch arg in Gottes Hand. Oder für Agnostiker: in einer von Kafka konzipierten Welt, in der die Anklage schon das Urteil ist. Der Unterschied ist vernachlässigbar: Bei Kafka erfährt man die Anklage nicht, in der hiesigen Realität genügt es, dass sie gegenstandslos ist.

Oder außerliterarisch? Es wird Zeit, das minimale Verwendbare der verheerenden Koalitionsverhandlungen umzusetzen: drakonische Maßnahmen gegen das In-die-Welt-Setzen, Publizieren und Weiterverbreiten anonymer Ehrabschneidung.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.07/2025 erschienen.

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