Heute blüht Ihnen ein Dreiteiler: Rosenkranz bereitet mir weniger Sorgen als Import-Nazis, die sich zu Pogromen zusammenrotten. Die Denunzianten verlieren auch in Vorarlberg. Und am Burgtheater regieren in einer beispiellosen Premierenanstrengung starke Texte und tolle Schauspieler
Gestatten Sie dem Ressort-Autisten zwei Ausreißer zum Ernst des Lebens, ehe sich die Ausführungen Richtung Kunst erheitern? Zuerst bekräftige ich meine vor zwei Wochen argumentierte (und von Ihnen viel kommentierte) Überzeugung, dass demokratische Usancen für den Umgang mit der FPÖ nicht ausreichen. Es gibt kein Argument, diese Partei in die Nähe der Macht zu lassen. Auch die von SPÖ, ÖVP und NEOS ermöglichte Wahl Walter Rosenkranz’ zum Nationalratspräsidenten war ein Fehler: Er hat die demokratischen Usancen benutzt, um sie quasi in der Minute seiner Wahl außer Kraft zu setzen. So eilig war es ihm, dass er nicht einmal der Contenance halber eine Woche verstreichen lassen wollte. Dass man ihn zum Jahrestag der jetzt so benannten Reichspogromnacht von der Gedenkstunde auf dem Judenplatz ferngehalten hat, ist somit nachvollziehbar.
ABER, und ich berufe mich da auf den großen jüdischen Künstler und Humanisten Arik Brauer: Ein Burschenschafter, der an grindige Erscheinungen angestreift ist, bereitet mir weniger Angst als das Pack, das in Amsterdam auf israelische Fußballanhänger Jagd gemacht und mit dem Bemerken, die Juden seien Krebsgeschwüre, eine Straßenbahn angezündet hat.
Wenn nämlich hierzulande nicht kompromisslos durchgegriffen wird wie in Deutschland, werden wir bald kein semantisches Pirouettendrehen um den Begriff „Reichskristallnacht“ mehr brauchen, weil uns die realen Pogromnächte um die Ohren fliegen. Speziell die SPÖ muss sich inmitten ihres obwaltenden Chaos vorsehen, in ihren Reihen keine mit Massenmördern sympathisierenden Unterorganisationen zu dulden (das abstoßende Beispiel der Amtsjahre Jeremy Corbyns in England soll nicht vergessen sein). Nämliches gilt für die Universitäten, und nach wie vor möchte ich von der Rektorin der „Angewandten“ wissen, ob die Teilnehmer der „Free Palestine“-Sause vom Dezember 2023, in deren Verlauf jüdische Studenten körperlich attackiert wurden, dort am Ende noch immatrikuliert sind. Was ein Skandal sondergleichen wäre.
Die leidigen Denunzianten
Das zweite größerflächig außerkünstlerische Thema betrifft meine Intimfeinde, die Denunzianten. Über mehrere Jahre namens der politischen Korrektheit und der Meinungsfreiheit nahezu ikonisiert, verzeichnen sie neuerdings Serienniederlagen, die mich auf das mittelfristige Ende des Unwesens hoffen lassen. Der Vorarlberger Landeshauptmann Wallner, den eine anonyme Sudelkampagne in den Burnout getrieben hat, wurde so überzeugend wiedergewählt, wie es angesichts der herrschenden Verhältnisse nur möglich ist. Das degoutante Verfahren sollte unter Verantwortung seiner seinerzeitigen Betreiber an Lena Schilling standardisiert werden. Aber auch dieser Start-up-Versuch hat im Konkurs geendet.
Und Herbert Föttinger, in München soeben als „Carmen“-Regisseur stürmischer akklamiert als seine Kollegin Lotte de Beer mit dem nämlichen Werk an der Volksoper? Er regiert weiter mit leidlicher Fortüne die „Josefstadt“, nachdem sich die angeblich verängstigte Belegschaft geschlossen hinter ihn gestellt hat.
Der Burg geht es besser
Damit habe ich endlich zur Kunst übergeleitet. Ab Seite 64 (NEWS-Magazin, Ausgabe 46, Anm.) lesen Sie das Bilanzinterview, das meine Kollegin Susanne Zobl und ich mit dem Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann geführt haben. Wenn Sie einwenden, das komme zwei Monate nach Amtsantritt zu früh, verweise ich auf die elf Premieren, Übernahmen aus Köln und Eigenproduktionen, die er zum Einstand gestemmt hat.
Und was für ein gewinnender Mensch der meist freundliche Schweizer ist! In den Foyers der ihm anvertrauten Bühnen zeigen sich Damen und Herren jeglichen Alters vom dort gern umgehenden Hausherrn charmiert. Und, wesentlich bedeutender, die helle Stimmung beglaubigt sich inmitten der un- bis übermenschlichen Anstrengungen einer solchen Premierenflut auf und hinter der Bühne. Zumal es sich lohnt, einen wenigstens kursorischen Blick über den Saisonbeginn des Hauses zu werfen.
Der eröffnende, mich tief ärgernde „Hamlet“ in der Inszenierung von Karin Henkel: geschenkt, das präpotente postdramatische Dramaturgengeschwätz sollte ursprünglich vom Iffland-Ring- Träger Jens Harzer in die Spur wahrnehmbaren Theaters befördert werden. Er hat sich verabschiedet, fünf zu Nullnummern verdammte Schauspieler werden jetzt um die Titelrolle betrogen. Das ist älter als die restlichen 4.000 Jahre Theatergeschichte zusammen: die Art überwuzelten Berufsmissverständnisses, dessen wir uns in der Gestalt des Volkstheaterdirektors Voges gerade Richtung Köln entledigen.
Der richtige Weg
Aber ansonsten? Text und Schauspielkunst, nichts anderes braucht das Theater, werden schon fast demonstrativ ikonisiert. Niki Ofczarek mit Bernhards „Holzfällen“ und Nils Strunk mit Zweigs „Schachnovelle“ füllen allein das große Haus. Nur Virginia Woolfs „Orlando“ kann da mithalten, ein magisches, textversessenes Schauspielerfest. Der mitgebrachte „Lear“ räumt alles von der Bühne, was von Shakespeare und dem tollen Ensemble ablenken kann. Und Bachmann selbst mit Rainald Goetz’ Hochstaplermoritat „Johann Holtrop“ und dem Atom-Bombenereignis „Manhattan Project“? Er ritualisiert, rhythmisiert und choreografiert die Texte, ohne den Schauspielern etwas schuldig zu bleiben. So kann es weitergehen.
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