Und abermals ist der Ressort-Autist zum globalen Jahresrückblick verpflichtet worden. Die Themen haben sich beunruhigenderweise kaum verändert, eher verschärft. Aber die Erkenntnis, dass ideologische Parameter nichts mehr taugen, vertieft sich
Da sitze ich, der Ressort-Autist, und soll Ihnen zum Jahreswechsel wieder die Welt schönreden, obwohl ich von ihr nichts verstehe (dass ich das mit ihren Lenkern gemeinsam habe, beruhigt mich nicht).
Dass sich die Themen schon wieder nicht geändert hätten, wäre Euphemismus: Drohend verschärft haben sie sich, wenn ich mir vergegenwärtige, dass ich mich schon selbst einen Alarmisten nannte, weil mir drei Jahre lang nichts bedrängender schien als das Wiederaufdämmern des Antisemitismus. Jetzt haben wir ihn im Vollbild, und die paar verschimmelten Kameradschaftsbündler sind nicht das Problem. Da ängstige ich mich mehr vor meinen linken Gesinnungsfreunden, die mit arabischen Importnazis durch die Straßen strolchen und unter dem Titel der Israel-Kritik die Shoah vom 7. Oktober zum Akt des Widerstands umskandieren.
Deshalb werde ich Sobotka vermissen, diesen verlässlichen Bekämpfer des Ungeistes (und weil ich schon bei den niederösterreichischen Schwarzen bin: Gott schenke uns wieder einen Kulturpolitiker beliebiger Couleur, der dem Visionär Erwin Pröll auch nur den Sommerg’spritzten reichen könnte). Aber wenigstens habe ich jetzt den Schuhlöffel zum Einstieg gefunden: Das rasante Außerkrafttreten ideologischer Gewissheiten ist das, samt folgender Erkenntnis, dass auch der übelste Geselle beizeiten etwas Richtiges äußern kann.
Vor allem, wenn er im Namen des Volkes spricht, so verwerflich die dahinterliegenden Absichten sein mögen. Das Volk für einen kollektiven Idioten zu halten, wie der Terminus „Populismus“ es nahelegt, rächt sich nämlich über kurz oder lang. Heißt: Hätte man die an der Wand glühenden Migrations- und Integrationsprobleme nicht der FPÖ zur Verwertung überlassen, sähen wir heute anders aus.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Alles andere als das Zustandekommen der Dreierkoalition wäre eine Katastrophe. Aber was sich da im Spannungsfeld zwischen Großmaulkapitalisten, neoliberalen NATO-Aficionados und rivalisierenden roten Horrorclowns aufbaut, schafft es grade noch zum mittelgroßen Übel.
Terrorhäuptling und Blutdiktator
So, jetzt geht es endlich in die Welt hinaus und wird entsprechend riskant. Zum Beispiel erinnere ich mich, wie wir jungen Feuerköpfe bei der sozialdemokratischen „AZ“ anno 1979 die Islamische Revolution gefeiert haben: Endlich war der Schah weg, der vom Westen gekaufte Faschist mit der mörderischen Geheimpolizei SAVAK, dem die Wiener Adabeis anlässlich seiner periodischen Durchuntersuchungen beim Internisten Fellinger die Schleimspur legten! Aber die alten Leser, die teils selbst noch am Austrofaschismus studieren konnten, wie das ist, wenn die Religion an der Macht ist, haben uns zur Rede gestellt: Seid ihr wahnsinnig, die reaktionären Pfaffen zu bejubeln? Die Geschichte belegt, dass sie nicht unrecht hatten.
Ob der jetzt in Syrien regierende islamistische Terrorhäuptling dem verjagten Blutdiktator vorzuziehen ist? Mich dürfen Sie das nicht fragen. Ich weiß ja nicht einmal, wie viele Anhänger des Terrorhäuptlings in der EU aufhältig sind, ob sie heimkehren werden und ob wir jetzt womöglich der flüchtigen Klientel des Blutdiktators Schutz gewähren müssen.
Trump und der Friede
Oder nehmen wir Trump, der eine Niederlage der Zivilisation ist, eine Schmach für jeden Amerikaner, der es von vier Beinen auf deren zwei geschafft hat. Aber sein Friedensplan für die Ukraine gefällt mir: eine entmilitarisierte Zone und ein schwer abzulehnendes Angebot an beide Seiten. Weigert sich Putin, Friedensverhandlungen aufzunehmen, werden die Ukrainer bis an die Zähne aufgerüstet. Weigern sich die Ukrainer, bekommen sie nichts mehr.
Im selben Sinn haben sich auch die bahnbrechende Feministin Alice Schwarzer und die Politikerin Sahra Wagenknecht geäußert, der es zu danken ist, dass nicht Halbnazis aus schlicht arithmetischen Gründen den deutschen Osten übernehmen. Maßgebliche Künstler und Intellektuelle, unter ihnen die Gründer der Friedensbewegung, haben sich dem Manifest angeschlossen. Aber obwohl es die Grünen kaum mehr gibt, wird noch jeder als rechtsradikaler Putin-Knecht durch die Chaussee getrieben, der nicht mit der scheidenden Außenministerin Baerbock auf Kriegsmission um den Globus jettet.
Und ist Putin auch fraglos ein kriminelles Westentaschen-Zarlet, und stehen auch den Amerikanern innenpolitisch demütigende Jahre bevor: Den Dritten Weltkrieg zu verhindern, erscheint mir das Vordringlichste. Biden hingegen braucht man die Amnestie für seinen Sohn (menschlich ist das, ich würde nicht anders handeln) gar nicht vorzuhalten: Dass er den Einsatz amerikanischer Langstreckenwaffen gegen Russland erlaubt hat, um Trump den Friedensplan zu vermasseln, wird uns hoffentlich nicht tonnenschwer über die Köpfe kommen.
Orban und Israel
Und nochmals Trump, und, fast so schlimm, Orban, dieser Totengräber der EU: Aber dass beide gegen den wahnsinnig gewordenen Zeitgeist für Israel eintreten, dafür ist ihnen zu danken. Trump hat der Mörderbande vom 7. Oktober grölend die Hölle auf Erden zugesagt, sollten die israelischen Geiseln nicht freigelassen werden. Elegant ist das nicht, aber wenn es wirkt? Netanjahu kann für seine Menschenrechtsdelikte immer noch verurteilt werden. Daheim, von einem ordentlichen Gericht in einer intakten Demokratie. Und nirgends sonst, von niemandem.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 51+52/2024 erschienen.