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Spitzentöne: Hugo Portischs kluge Analysen für den ORF nun in Buchform

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©HERBERT PFARRHOFER / APA / picturedesk.com
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Ein erhellendes, emotionales, auch sentimentales Erlebnis für Generationen: Hugo Portischs weltpolitische Erklärstücke für den ORF sind in einem Buch nachzulesen. Er hat uns mit jeder Analyse klüger gemacht. Wir sind ihm mit offenen Augen und Ohren gefolgt

Meine Begeisterung für das Buch habe ich Ihnen schon in meinem vorwöchigen Newsletter nicht verborgen. (Sollten Sie den übrigens unentgeltlich abonnieren wollen, werden Sie es vielleicht bereuen und können ihn diesfalls gleich abbestellen. Vielleicht erdulden Sie mich aber auch als übermäßig beredsamen freitäglichen Morgengast, dann würde ich mich gern über den nebenstehenden Code bei Ihnen einladen). Zum Buch also, das soeben in der „Edition a“ erschienen ist. Es heißt „Große Momente der Zeitgeschichte“, und in ihm sind Hugo Portischs Kommentare für den ORF gesammelt, Erklärstücke für Generationen, ausgewählt und ediert von Portischs vielleicht letztem Vertrauten, dem ORF-III-Direktor Peter Schöber. Und wie es mich über emotionale Wege vom Größten ins Kleinste führt! Dieser Sonntagvormittag im Hochsommer 1968 zum Beispiel: Ich stieg mit der Mutter über den herausfordernden Wilhelminenberg zum familieneigenen Schrebergarten auf, da hielten wir bei einem auf der Rosenackerstraße geparkten roten Skoda inne. Fahrzeuge mit tschechoslowakischem Kennzeichen kreuzten damals zu Dutzenden auf den Wiener Straßen, denn das Ende des Prager Frühlings hatte einen Flüchtlingsstrom auf den Weg befördert. Aber in der nach geschnittenem Gras und Rosenbüschen duftenden Geborgenheit der Peripherie erschien mir das Vehikel wie ein Wink von hoch oben: Ich entnahm der ledernen Geldbörse mit dem Hirschmotiv 20 Schilling und deponierte sie unter dem Scheibenwischer des unbekannten Mitmenschen. Den Fingerzeig hatte mir allerdings in Wahrheit nicht Gott, sondern ein paar Tage vorher der Fernsehkommentator Hugo Portisch gegeben. „Nun, meine Damen und Herren“ – als er am 30. Juli 1968 mit der ihm eigenen, sich fast überschlagenden und doch glasklaren Emphase seinen Bericht einspielte, stand er in Prag, und die Truppen des Warschauer Paktes hatten sich schon in Bewegung gesetzt.

Ein solidarisches Land?

Unvergesslich ist mir die Welle der Hilfsbereitschaft, mit der man den Flüchtlingen begegnete. Schon nach dem Ungarn-Aufstand anno 1956 hatte man sich, vielleicht im Gedenken an die selbst kaum überstandene Hilflosigkeit, zumindest mehrheitlich generös ge- zeigt. 2015 war es zunächst nicht anders, aber über die weitere Entwicklung könnte man sich konstruktiv entzweien: Kein Ungar, kein Tschechoslowake hatte die Etablierung einer Parallelgesellschaft erwogen, so wenig wie die jugoslawischen Gastarbeiter. Im Gegenteil erzählt mir mein Freund, der aus dieser Weltgegend zugewanderte Würstelmann auf der Pilgrambrücke (unvergleichliche Debreziner!), gern von seinem Sohn, der Arzt geworden ist. Integrationsmaßnahmen waren trotz mancher Komplikationen kaum erforderlich, zu nah standen einander die Kulturen. Aber jetzt, wo man ums Überleben hätte handeln müssen, haben alle versagt: die rechten Hetzer und die linken Wegschauer, die sich jedes Problem aus den Augen geräumt und jeden Warner zum rechten Hetzer erklärt haben.

Portisch und die Revolte

1968: Was war das für ein Jahr! Ein Neonazischoss in Berlin den linken Aktivisten Rudi Dutschke in den Kopf. Die demonstrierenden Studenten in Paris hatten einmal – ein einziges Mal – die Arbeiter hinter sich, die Regierung de Gaulle wankte, Ministerpräsident Pompidou flehte in einer mitternächtlichen Rede die Gewerkschaften an, vom Generalstreik Abstand zu nehmen (die erzwungenen Neuwahlen gewannen die Gaullisten dann mit der Vehemenz eines Erdrutschs, und aus war der Traum). Portischs Einstieg von einem Boot auf der Seine sucht seinesgleichen: In vollkommener Klarheit und Äquidistanz werden die Verhältnisse eingeordnet und analysiert. Das hatte jede Begegnung mit ihm zur Folge, sei sie persönlich oder über Medien: Man war nachher um ein kleines Stück klüger. Sogar der Bub, der durch ein Fenster der Straßenbahnlinie A verständnislos das winzige Demonstrantengrüppchen beäugte, das auf dem Ring die Laienspielfassung des gewaltigen Jahrs 1968 outrierte.

Heute verschließen wir Augen und Ohren vor der Unratsflut des digitalen Zeitalters.

Heinz SichrovskyKulturjournalist und Moderator

Der Welterklärer

Portisch hätte Staatssekretär in der schwarzen Alleinregierung Klaus und in der roten Alleinregierung Kreisky werden können, später gemeinsamer Kandidat für die Bundespräsidentschaft. Er nahm davon auch deshalb Abstand, weil gesindelhafte Erscheinungen Verirrungen seines Sohnes in den Wahlkampf zu ziehen drohten. Aber er hat uns sicher durch die Weltläufe geleitet. Die ersten Friedenszeichen im Vietnamkrieg, die ewig zerstörten Hoffnungen im Nahen Osten, die Mondlandung, Nordirland, SALT, die Islamische Revolution, der Aufstieg Chinas, der lange Weg zur EU und der Jugoslawien-Krieg vor unserer Grenze: Keiner hat das knapper, treffender, erhellender zusammengefasst als er. Er hat uns klüger gemacht, wir sind ihm mit offenen Augen und Ohren gefolgt. Die verschließen wir heute vor der Flut an Unrat aus der entgrenzten Medienwelt, mit der uns das digitale Zeitalter heimsucht. Sonst hat sich wenig geändert, am wenigsten das Tempo, mit dem die Welt dem Abgrund entgegenschleudert. Sie steht noch, und das ist die vielleicht einzige positive Erkenntnis aus dem aufregenden Buch, das ein Stück Aufklärung ganz im Sinn ihrer Erfinder ist.

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