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Spitzentöne: Heinz Sichrovsky über die halbe Wiedereröffnung des Theaters an der Wien und die aus ihr folgenden Erkenntnisse

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©Peter Mayr
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Nach zweieinhalb Jahren Sanierung wurde das Theater an der Wien wiedereröffnet, aber nur sozusagen: Die Bühnentechnik funktioniert erst im Jänner, Mozarts „Idomeneo“ musste konzertant gespielt werden. Aber wie toll! Nicht ungern würde man auch künftig fallweise auf Regie verzichten

Die Sache mit dem Bankomaten ist der Geschäftsführung der Vereinigten Bühnen Wien (VBW) klarerweise geschenkt. Dass die Erste Bank die Filiale Linke Wienzeile dichtmacht, eine Woche, bevor das vier Hausnummern entfernte Theater an der Wien nach zweieinhalb Jahren Umbauzeit sozusagen wiedereröffnet: Das ist höhere Gewalt. So viele Wütende, die bloß tollkühn ein Programm erwerben oder an der Garderobe ein Trinkgeld geben wollten, habe ich jedenfalls noch nie das unüberblickbare Areal des angrenzenden Naschmarkts durchkämmen sehen (ich selbst bin an der Fahndung nach analogen Zahlungsmitteln aus Zeitgründen gescheitert).

Wobei das mit der Überblickbarkeit des Naschmarkts relativ ist: Hat man die tendenziell uncharmanten Pausenräume im ersten Stock erreicht, befindet man sich den Hinweistafeln zufolge im „Himmel“. Den man sich aber eventuell anders vorgestellt hat, wenn man die neue Aussichtsterrasse vor den Buffeträumen betritt: Der Blick schweift über die rostigen Blechdächer des Marktareals bis an den engen Horizont, malerisch begrenzt durch den plattenbauartigen Wohnblock auf der anderen Seite der Wienzeile. Untermalt von der unendlichen Melodie des Abendstaus, lädt dieses wahre Filetstück des Umbaus zum Pausengenuss ein.

Die Vorzüge überwiegen

Nun liegt mir nichts ferner, als mich hier in außerkünstlerischen Übellaunigkeiten zu verlieren. Die Bausubstanz wurde, mit Ausnahme der grotesken Terrasse, nicht beeinträchtigt, der variable Orchestergraben ermöglicht auch das Spielen größerbesetzter Werke. Auch die 81 Millionen mehr, die das Sanierungsprojekt gekostet hat, sind mit gutem Willen zu rechtfertigen. Wenn eine Bausubstanz von historischer Höchstbedeutung über Jahrzehnte verfällt, tun sich im Verlauf der Instandhaltungsmaßnahmen ungeahnte Zusatzmalefizien auf. Und dass man jetzt, nach zweieinhalb Jahren, drei weitere Monate ein Notprogramm fahren – heißt: drei Premieren absagen –muss? Die Elbphilharmonie in Hamburg wurde sieben Jahre zu spät und zehnmal teurer als veranschlagt eröffnet. Heute ist sie ein Glanzstück. Und ihr Wiener Intendant Christoph Lieben-Seutter, der sie nie von innen gesehen hätte, wäre sein Vertrag nicht verlängert worden, reüssiert auf das Schönste.

Womit ich beim Entscheidenden bin, nämlich dem Künstlerischen. Dem Intendanten, dem renommierten norwegischen Regisseur Stefan Herheim, wurde seit seiner Bestellung nicht gut mitgespielt. Und das ist die andere Seite, die schon eher auf Managementprobleme verweist. Man hatte Herheim zum Amtsantritt im September 2022 ein bespielungsfertiges Haus versprochen. Stattdessen musste er sich zwei Jahre in der betonenen Trostlosigkeit der Halle E im Museumsquartier behelfen.

Dabei gingen Abonnenten verloren: Das Theater an der Wien ist schon kraft seiner Geschichte ein auratischer Ort, hier wurde der „Fidelio“ uraufgeführt, die „Fledermaus“, die „Lustige Witwe“, der „Vogelhändler“, Kleists „Käthchen“ und Grillparzers „Ahnfrau“, das Meiste von Anzengruber, Gottfried von Einems „Jesu Hochzeit“ und in der grob zweckentfremdenden Zeit der Musical-Bespielung immerhin „Elisabeth“.

„Herausragendes entsteht

nur unter Risiko. Mittelmaß ist schlimmer als Scheitern“

Ein erstes Opernhaus

Als sich das Musical 2006 aus dem Haus zwangsempfehlen musste, jubelte das zivilisierte Publikum. Und tatsächlich hat Roland Geyer seit damals unter Einsatz einer intelligent gemäßigten szenischen Avantgarde ein Opernhaus internationalen Formats aufgebaut.

Herheim fuhr nun in der Halle E ein erkennbar größeres Risiko. Ich habe dort zwei der miserabelsten Operninszenierungen meines Lebens gesehen, „Freischütz“ und „Lulu“. Aber auch Herausragendes, etwa Bernsteins „Candide“ unter Lydia Steier. Klar: Herausragendes entsteht nur unter Risiko, Mittelmaß ist schlimmer als krachendes Scheitern.

Zumal mir die Notpremiere zur Wiedereröffnung unvermischte Freude bereitet hat. Der Mozart’sche „Idomeneo“, notgedrungen konzertant statt in Herheims Regie: Das hätte zäh verlaufen können, wo sich doch heutzutage die gesamte Aufmerksamkeit auf das Szenische zu richten hat. Verzapft uns zumindest das Feuilleton.

Ein toller „Idomeneo“

Aber die Jubelstürme nach dem konzertanten „Idomeneo“ hätten Sie hören sollen! Der sensationelle Schönberg-Chor und eine junge Besetzung gut aufeinander abgestimmter Hochkaräter ließen an Dramatik nichts vermissen. Nicht zu reden von den Symphonikern, an sich kein von Gott dafür bestimmter Mozart-

Klangkörper. Der britische Barockspezialist David Bates hat sie auf einen tollkühnen Weg verführt: Ohne ihnen einen Talmi-Originalklang, dessen sie ohnehin nicht fähig wären, zu oktroyieren, hat er den Violinen das romantische Vibrato genommen und setzt auf eine Art explosiver Spannung, die auch dem geeichten Opernfreund den Atem nimmt.

Herheims Vertrag wird nächstens über 2026 hinaus verlängert. Das ist logisch und wohlverdient. Aber das Leitungsteam, das die ebenfalls zum städtischen Bühnenkonglomerat gehörigen Traditionsbühnen Ronacher und Raimundtheater mit Plastik-Musicals befüllt: Das ist am Abgang. Hier wieder auf Überraschendes, im Land Gewachsenes zu setzen wie einst unter der fabelhaften Musical-Intendantin Kathrin Zechner: Das wäre ein Weg, den vielleicht auch schon eine neue VBW-Geschäftsführung beschützen könnte.

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