Während sich am Sarg des Papstes vielleicht Weltgeschichte anbahnte, war eine Delegation der vier wählbaren österreichischen Parlamentsfraktionen gerade aus dem ukrainischen Kriegsgebiet heimgekehrt. Die Botschaft gleicht einem Albtraum: Man möge die militärische Neutralität „ausreizen“.
Zu grellerer Unzeit als die Delegation österreichischer Parlamentarier hätte man sich nicht auf Reisen begeben können. Am Karfreitag waren die Kriegstouristen von SPÖ, ÖVP, Grünen und Neos ins schwer heimgesuchte Charkiw aufgebrochen – mit journalistischer Entourage, wie wir es aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ kennen. Im Südosten der ukrainischen Stadt hatte eine russische Rakete eingeschlagen, und jetzt galt es, die Weltmeinung weiter auf Krieg zu trimmen. Der außertouristische Zweck des Unternehmens blieb zwar im Dunkeln. Denn die damit zu beeindruckende Welt von 575 Kilometern Ausdehnung in Ost-West-Richtung hat sich infolge ihrer Neutralität von Kriegshandlungen fernzuhalten und sollte dafür dankbar sein. Nach all den Erfahrungen der martialischen Zeiten 1914 ff., deren 80 Jahre zurückliegendes vorläufiges Ende wir gerade feiern.
Dennoch watete die Delegation beherzt durch Verwüstungen, wie es unsere Politiker kamerabegleitet in Hochwassergebieten gelernt haben. Für die Unzukömmlichkeit belohnte sie sich durch minutenlanges Heraustreten aus der Unbedanktheit eines parlamentarischen Mittelbänklerdaseins.
„Neutralität ausreizen“
Oder kannten Sie „die Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Nationalrat, Petra Bayr (SPÖ)“? Wir sollten die Dame fortan besser im Augen behalten, verlangte sie doch namens der Vizekanzlerpartei, die Regierung möge die militärische (!) Neutralität Österreichs „in ihren Grenzen ausreizen“. Es bringe nichts, „sich selbst Fesseln anzulegen“. Der Entfesselungskünstlerin pflichtete ein weiteres Mitglied der parlamentarischen Subprominenz bei: Jawohl, ausreizen sei gefragt, echote aus dem sicheren Kiew „der ÖVP-Abgeordnete Andreas Minnich“, der sich wenigstens mit Resten von Scham und Vorsicht vom Frontbetrieb ferngehalten hatte. Atypisch dezent stimmte auch die Neos-Abgeordnete Henrike Brandstötter ein (möglicherweise, um nicht die Chefinnenmaterie zu touchieren).
Diesem Trio von der Oppositionsbank etwas Belastbares entgegenzusetzen, war keine Kleinigkeit. Zumal sich „der grüne Wehrsprecher David Stögmüller“ im monströsen Schatten der gottlob scheidenden deutschen Außenministerin Baerbock Sichtbarkeit verschaffen musste. Der Mann hat weiß Gott sein Bestes getan: Österreich dürfe sich nicht „hinter der Neutralität verstecken“. Die Menschen in der Ukraine verstünden nicht, warum „Europa den Kopf in den Sand steckt“. Außerdem appellierte er „direkt an Deutschland“, sich stärker für die militärische Verteidigung der Ukraine einzusetzen: „Die Taurus-Raketen müssen geliefert werden.“
Wer trotzdem marschieren will, der darf sich gern der Fremdenlegion anvertrauen
Ein Wunder in Rom?
Während Mandatare der vier wählbaren Parlamentsfraktionen Putin im Ton der Gegeneinladung auf den bevorstehenden Kriegseintritt Österreichs einstimmten, bahnte sich in Rom gerade Historisches an: Der große Papst Franziskus blickte mit schwindender Kraft der Zukunft des christlichen Westens ins Antlitz. Als JD Vance sein Foto im Kasten hatte, blieb dem Pontifex nur noch, die Stadt und den Erdkreis Gottes Segen anzuvertrauen und zu gehen.
Und dann, einen Samstag später, ohne Vance und ohne Kameras, saßen einander Trump und Selenskyj im Petersdom gegenüber, und offenbar wagte keiner, die heilige Stille des Ortes und des Anlasses zu stören. Vielleicht kamen sie einander bloß im gemeinsamen Schicksal als Angeklagte vor dem Internationalen Couture-Gerichtshof näher (Sorgen haben wir!). Oder Trump hatte sich gerade ein paar Seltene Erden erpresst. Oder die Trump’sche Gefühlsamplitude war wieder außer Kontrolle – gestern Stormy, heute Melania, gestern Wladi, heute Volody, fallweise gern mit dröhnender Maulschellenbegleitung für den Intimpartner von gestern.
Aber sie sprachen über den Frieden und taten damit nichts anderes als das, was einige der bedeutendsten Intellektuellen Europa gleich nach Kriegsausbruch gefordert hatten. Der Irre vom Roten Platz war damals noch nicht bis zum Äußersten gereizt und die Nato-Außengrenze noch nicht in stürmischer Mobilität begriffen. Hätte man nur auf Alice Schwarzer, Andrea Breth, Valie Export, Sahra Wagenknecht (richtig gelesen) und die Gründer der Friedensbewegung gehört! So wäre vielleicht ohne den Hintergrund Hunderttausender Toter und eines drohenden Weltkriegs miteinander gesprochen worden.
Von Trump lernen? Eine Schande
Erst einmal gesprochen, mit offenem Resultat, aber unter der Bedingung einer sofortigen Waffenruhe. Dann kam Trump mit dem pazifistischen Bihänder, dem ich gleich etwas abgewinnen konnte: verhandeln, sofort. Weigere sich Selenskyj, werde ihm nicht einmal mehr eine Winchester-Büchse geliefert. Weigere sich Putin, werde Selenskyj hochgerüstet bis an die Zähne.
Jetzt erzwingt Trump womöglich in der Tat den Frieden. Gerecht wird der nicht sein, aber den Weltkrieg, mit dem die Enkel der Friedensmarschierer hantieren, verhindert er eventuell.
Wir, das neutrale Österreich, können einen bewährten Verhandlungsort und freiwillige Teilnahme an einer UNO-Friedenstruppe anbieten. Noch ist es nicht zu spät, die schmerzlich benötigten Milliarden von der Rüstungsindustrie zu würdigeren Empfängern umzuleiten.
Wer trotzdem marschieren will, darf sich gern der Fremdenlegion anvertrauen. Dort dienen jene Spezialisten im Ausreizen, denen meine Kinder und Enkel nicht auf der Straße begegnen sollen.
Dass dies einem zivilisierten, neutralen Gemeinwesen von Trump kommuniziert werden muss, kann einen mit Verzweiflung erfüllen.
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