Literaturpreise zählen schon zur Berufsroutine des ingeniösen Steirers Ferdinand Schmalz. Als Teil einer dreiköpfigen Jury durfte ich ihm den Gert-Jonke-Preis zuerkennen. In Deutschland ist er eine Theater-Großmacht. In Österreich bald auch.
Als libidinös getriebener Ressort-Autist und genetischer Gschaftlhuber lasse ich mich stets geschmeichelt in Jurys bitten. (Nur nicht in die zum Nestroy-Preis, für die parvenühafte Oscar-Parodie habe ich mich schon während der paar Jahre als Gründervater anno 2000 ff. geniert und jeder Anfechtung zur Wiederkehr unter maximal symbolischem Wehklagen widerstanden.)
Die Jury, deren Wirken am vergangenen Sonntag in einer atmosphärisch bezwingenden Klagenfurter Theaterbaracke an ein feines Finale befördert wurde, war eine der schönen, denen ich angehören durfte: Der Gert-Jonke-Preis, seit 2011 abwechselnd für Dramatik, Prosa und Lyrik ausgelobt, dankt seine Eleganz nicht nur der Dotierung mit 15.000 Euro.
Friederike Roth, Händl Klaus und Ewald Palmetshofer haben im Dramensegment schon reüssiert, womit der Auftrag an die jeweils wechselnde, jeweils dreiköpfige Jury ohne Tadel erfüllt war. Im Geist Gert Jonkes (1946–2009) zu schreiben, heißt: dem Identitätsstiftenden der österreichischen Literatur verpflichtet sein. Also dem Spiel mit der Sprache, ihrer Unauslotbarkeit, Unberechenbarkeit und Musikalität. Es ist kein Zufall, dass Österreich in der endlosen literarischen Bedeutungslosigkeit zwischen dem Sänger Walther von der Vogelweide und dem von Schnitzler, Freud und Mahler instrumentierten Fin de siècle die Singschauspieler Raimund und Nestroy aus der Vorstadt in die Kulturgeschichte importiert hat.
So einer war Jonke, der unter der multivisionären Volkstheaterdirektorin Emmy Werner das Inspirierendste, Abgründigste zeitgenössischer Dichtung geschaffen hat. Dabei hat er auch Musikgeschichte weiterfabuliert, den im Wahnsinn wütenden Beethoven mit zwei Theaterstücken, Franz Schreker mit dem Roman „Der ferne Klang“.
Ferdinand Schmalz, Sieger
So jemanden hatten wir also zu finden: die frühere Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann, der Wiener Germanistikprofessor Stefan Krammer und ich.
Und solch eine Einigkeit, ohne untereinander statutengemäß auch nur Kontakt genommen zu haben, gab es nie: Karin Bergmann und ich führten den bald vierzigjährigen Steirer Ferdinand Schmalz als Erstplatzierten, Krammer als Zweiten, weil ihm Elfriede Jelinek nachvollziehbar als ideale Laureatin erschien. Ich hatte bei ihr auch schon nachgefragt und erwartungsgemäß dies empfangen: „Ja, klar, lieber Heinz, ich nehme keine Preise mehr an, das sollen jetzt jüngere KollegInnen bekommen, die es nötiger brauchen. Die Entscheidung für Ferdinand Schmalz ist genau richtig, er ist ein großartiger Autor, er verdient es wirklich. Auch der Gert Jonke würde sich freuen, ich war sehr mit ihm befreundet, wir haben uns sehr gern gehabt, ihm wäre das so absolut recht, da bin ich mir sicher. Es ist jedenfalls schön, daß den Preis ein Autor bekommt, der mit Sprache kreativ und phantasievoll umgeht und sie auch ständig nach ihrem Ideologiecharakter, nach ihren falschen Wahrheiten, befragt. Dazu ist Theater auch da. Die Antwort gibt dann schon er, drauf kann man sich verlassen. (und mir kann er seinen Hut geben!) herzlich e.“
„Ein Autor, der mit Sprache phantasievoll umgeht, sie nach falschen Wahrheiten befragt“
Einfluss bis an die Burg
Zur Grußadresse umgewidmet, wurde der nobelpreiszertifizierte Text beim Finale der Feierstunde vorgetragen. Landeshauptmann Kaiser, als Repräsentant des Kärntners Jonke, überreichte die Trophäe. Hätte der steirische Kollege derlei beabsichtigt, wäre vermutlich niemand, der steirische Laureat inbegriffen, zur Zeremonie erschienen. Wobei die Option eine theoretische ist, denn Kunasek hätte den Preis eher abgeschafft, als ihm die zweifelhafte Würdigung seiner Anwesenheit zukommen zu lassen.
Tatsächlich ist Ferdinand Schmalz der nach Elfriede Jelinek einflussreichste Dramatiker des Sprachraums. Der unerreicht treffsichere Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann – auf seinem einschlägig prall gefüllten Konto ist auch die Entdeckung Nikolaus Habjans gebucht – hatte den Debütanten über die hauseigenen Kleinschauplätze bis ins Akademietheater entwickelt. Dann übernahm Karin Bergmann, und gleich fiel ihr ein, mit wem sie den persönlichen Traum eines neuen „Jedermann“ realisieren wollte. Der andere war Hartmanns endlos aus der Burg geschiedener Hausregisseur Stefan Bachmann. „jedermann (stirbt)“ wurde ein Triumph und Bachmann, an den niemand mehr gedacht hatte, leitet jetzt die Burg.
Zwei Stücke, ein Roman
Schmalz schreibt seither im Akkord. Seine für die branchenentlegenen Nibelungenspiele von Worms geschriebene „Hildensaga“, ein Wunder millimetergenau ausschweifender Fabulierkunst, wird seit 2022 durch beste deutsche Bühnen gereicht. An Martin Kusejs Akademietheater entledigte man sich des österreichischen A-Ligisten mit einer unbeachteten B-Produktion.
Bachmann hingegen hat den Dichterprinzen Minuten nach seiner eigenen Designierung kontaktiert. „bumm tschak oder der letzte henker“ wird als Koproduktion mit den kommenden Bregenzer Festspielen uraufgeführt und im Herbst ans Akademietheater übernommen. Es geht realdystopisch um die erste Kanzlerin Österreichs und ihre Verdienste um die Wiedereinführung der Todesstrafe. Frankfurt erwidert mit dem Singspiel „Sanatorium zur Gänsehaut“ über Entgleisungen der plastischen Chirurgie. Auch darf der 2017 mit dem Bachmann-Preis bedankte Roman „Mein Lieblingstier heißt Winter“ nicht folgenlos bleiben. Ein generationenüberspannendes Wirtshaus-Epos ruht beim Unerledigten.
Das Werk wird sich, scheint’s, gedulden müssen.


Ferdinand Schmalz
Geboren am 18. Dezember 1985 in Graz als Matthias Schweiger, Studium der Theaterwissenschaft in Wien, Regieassistent und Komparse. Seit 2014 in ständigem Aufstieg als Erzähler und vor allem Dramatiker begriffen und mit zahlreichen Preisen geehrt (Bachmann-Preis 2017, Nestroy-, Rosegger-, Schnitzler-Preis).
Er lebt in Wien.
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