Historische Pfingsten auf Schloss Prinzendorf im Weinviertel: Rita Nitsch, die Witwe des Gesamtkünstlers, bringt das kosmische Projekt des Sechstagespiels zur Vollendung. Die weiteren Geschicke des Schlosses sind ungewiss.
Wenn die Kunstgeschichte es will – und die Chancen auf Fortbestand über den Tod des Schöpfers hinaus sind intakt –, wird man von den drei Pfingsttagen des Jahres 2025 noch seinen Enkeln erzählen. Und die sagen es vielleicht den ihren weiter: Am 7., 8. und 9. Juni tut der Wiener Aktionismus den letzten Schritt aus seiner vitalen, aufwühlenden Gegenwart in den Kanon. Zum letzten Mal, bestätigt Rita Nitsch, wird das Sechstagespiel unter ihrer Aufsicht auf Schloss Prinzendorf aufgeführt, dem Ort seiner Bestimmung und Entwicklung bis zur Vollkommenheit.
Das Ehepaar Nitsch hatte die Umsetzung schon 2019 geplant. Dann kam Corona, und am 18. April 2022 starb der epochemachende Gesamtkünstler nach schwerem Leiden. Die Witwe bestand darauf, ihm den letzten Willen zu erfüllen. Sie begann im Sommer 2022 mit
den beiden ersten Tagen, ließ 2023 den herausfordernden dritten Tag folgen und vollendet nun mit den drei letzten Tagen die Umsetzung der 1.559 Seiten starken Partitur.
Sechs Tage lang, nach dem Maß der Erschaffung der Erde, werden dort alle Sinne mobilisiert, alle Tabus aufgebrochen, Künste, Philosophien, Mythologien und Weltreligionen in den Sinn des großen Ganzen gestellt: Bildende Kunst, Literatur, Theater und Tanz vereinen sich zum Gesamtkunstwerk, wie es dem von Nitsch verehrten Richard Wagner vorgeschwebt ist.
Das Sechstagespiel
Ekstase und Angst, Krieg und weltumarmender Rausch im Gelage, Sexualität und Tod werden eins. Der 1938 geborene Nitsch hatte in den frühen Sechzigerjahren mit den Kollegen Günter Brus, Otto Mühl und Rudolf Schwarzkogler die Lügen, Verdrängungen und Beschwichtigungen der österreichischen Nachkriegszeit offensiv zu bekämpfen begonnen. Der Wiener Aktionismus wurde zum vielleicht einzigen kunsthistorisch relevanten Beitrag Österreichs seit dem Fin de Siècle.
Schwarzkogler entkräftete sich mit selbstzerstörenden Exerzitien, bis er aus dem Fenster stürzte. Mühl beförderte sich mit einem entgleisten Kommunenprojekt ins Kriminal und dann in den Kunsthandel. Brus experimentierte schockierend mit dem eigenen Körper und entwickelte sich dann zum Zeichner von romantischer Poesie und Anmut.
Nitsch aber errichtete im 1971 erworbenen Schloss Prinzendorf seine Gegenwelt. Dort konnte er sein Werk entwickeln, während vor den Mauern Pornojäger, religiöse Aktivisten und Tierschützer randalierten. Letztgenannte demonstrierten gegen die Erschießung eines immer zur Schlachtung bestimmten Stiers durch einen Metzger. Dieses emotionalisierende Detail hatte Nitsch zuletzt verworfen und sich mit einem Kadaver beholfen. Auch auf den verzichtet Rita Nitsch jetzt: Am fünften Tag wird ein mit 100 Kilogramm Tomaten, Trauben und Gedärmen gefüllter Jutesack tranchiert. Ansonsten folgen die 80 Akteure, die sich zur Mitwirkung gemeldet haben, getreu bis ans Kreuz den Anweisungen des Meisters.


Das Ehepaar. Hermann Nitsch mit Ehefrau Rita (oben). Links: Kreuzigungsritual als emotionaler Höhepunkt. Das Foto entstammt der ersten, bisher einzigen Aufführung des Sechstagespiels im Sommer 1998
© Martin VukovitsWas wird mit dem Schloss?
Warum es nun mit den Aktionen vorbei ist? Physisch, logistisch und kommerziell könne sie das nicht mehr öfter stemmen, sagt Rita Nitsch, die das Schloss jetzt mit ihren rumänischen Verwandten bewohnt. Die halbe Million, die ohne öffentlichen Zuschuss für die drei Tage aufzuwenden ist, finanziert sich auch aus einem gefragten, entsprechend teuren Œuvre nicht von selbst, zumal der Kunsthandel unter der Krise leidet.
Sie habe dem Land Niederösterreich das Schloss als Geschenk angeboten, unter der Bedingung, die Erhaltung zu übernehmen und das charismatische Gemäuer als Museum zu nützen. Landeshauptfrau Mikl-Leitner wollte nicht zugreifen, garantiert aber jedenfalls den Weiterbetrieb des Nitsch-Museums in Mistelbach. Anders als in der Steiermark, wo die blaue Landespolitik gegen die Kunst wütet, drohen Niederösterreich keine derartigen Entwicklungen.
Und das Schloss? Sie sei auf der Suche nach einem großen heimischen Museum, das eventuell eine Dependance benötige, deutet Rita Nitsch an. Eine Stiftung komme ebenfalls in Frage, doch ein Garant für Bestand sei auch die nicht. Aber sollte jemand künftig das Sechstagespiel in welcher Form immer aufführen wollen: Der wäre willkommen, je jünger, desto lieber.


Das Sechstagespiel
Zwischen 7. und 9. Juni werden auf Schloss Prinzendorf die letzten drei Tage von Nitschs Opus summum verwirklicht. Das Publikum hört Orchester und Blaskapellen, folgt Opferzeremonien nackter Akteure an Kreuzen, zieht in Prozessionen durch die Felder und isst gemeinschaftlich zu Abend.
Tickets von 139 Euro (ein Tag mit Ermäßigung) bis 499 Euro Vollpreis für die gesamte Dauer unter
verein@nitsch.org
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/25 erschienen.