News Logo
ABO

Psychotherapeut Markus Rogan: Grenzerfahrungen für die Seele

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
13 min

©Ricardo Herrgott/News
  1. home
  2. Aktuell
  3. Menschen

Olympiaschwimmer Markus Rogan begleitet als Psychotherapeut einflussreiche Gestalter unserer Zeit mit einem unkonventionellem Therapieansatz: Heilung durch radikale Selbsterfahrung und das Wiederentdecken der eigenen Stärke. Wer sich in Wüsten, auf Bergen oder unter Wasser darauf einlässt, erlebt Transformation auf neue Weise

Markus Rogan ist ein Mann der Extreme. Als Schwimmer hat er Weltrekorde aufgestellt, olympische Medaillen erkämpft und Welt- und Europameister-titel errungen. Privat bringt er noch immer sportliche Höchstleistungen. Im Februar lieferte er beim Apnoe-Tauchen unter Eis eine Rekordleistung. Berufliche Herausforderungen sucht der 42-Jährige heute als Psychotherapeut. Wenn er antritt, um anderen zu helfen, dann nicht auf herkömmliche Weise. 

Seine Praxis liegt in Kalifornien, wohin ihn bereits als 18-Jähriger das Stanford-Studium geführt hat. Mit seiner Frau Leanne, Geschäftsführerin beim Immobilientwickler Compass, und den Söhnen Kayde, 7, und Asher, 6, hat sich Rogan in Los Angeles sein Leben nach der Schwimmkarriere aufgebaut. In seiner Praxis in Beverly Hills steht die obligatorische Couch. Seine Therapieansätze führen ihn und seine Klienten meistens weit in die Ferne auf Berggipfel, in Wüsten oder auf Ozeane, die Rogan zur Heilung nutzt.

In der U-Bahn ein Gedicht rezitieren

Die unkonventionellen Methoden der „Experiential Performance Psychology“– zu übersetzen etwa mit „Erlebnistherapie“ – fordern Klienten heraus, sich selbst neu zu erleben. Ungefilterte Erfahrungen in der realen Welt helfen, Fähigkeiten wiederzuentdecken, zu stärken, und bringen so Heilung. Rogan legt den Fokus bewusst auf physische Erfahrungen, um Emotionen wie Angst, Traurigkeit oder Scham greifbar zu machen. 

„Bei Menschen mit sozialer Phobie reicht es oft nicht, sie in einer Gruppentherapie zu betreuen. Wenn sie erst einmal die anderen Menschen in der Gruppe kennen, verschwindet die Angst vor dem Neuen. Daher setze ich auf ,Exposure Therapy‘, eine Konfrontation mit Ängsten in realen Situationen. Wir gehen zusammen in ein Café und bestellen einen Kaffee. Später lesen die Klienten vielleicht Gedichte in einer vollen U-Bahn vor oder halten vor einem kritischen Publikum eine Rede.“ Selbstvertrauen könne man nicht lernen, sagt Rogan, man müsse es erleben.

„Oft merken Klienten, dass sie im Leben alles kontrollieren, aber nicht glücklich sind.“

Selbstermächtigung erleben

Erste berufliche Erfahrungen sammelte er diesbezüglich nach dem Abschluss an der Stanford University und drei Jahren Forschung zur Leistungspsychologie am Psychologischen Institut der UCLA bei der Arbeit mit Suchtkranken und Obdachlosen als Leiter eines stationären Rehabilitationszentrums. Diese „Menschen mit großen Traumata“ begleitete er in alltägliche Situationen wie in einen Supermarkt, um ihnen zu helfen, ihre Scham zu überwinden. „Wie wirst du gesehen?“, „Wie geht es dir damit?“ „Was könntest du tun, um das zu ändern?“ waren wegweisende Fragen. „Viele Obdachlose fühlen sich vorverurteilt. Dann merken sie: ‚Wenn ich dusche, ändert sich etwas. Ich bin handlungsfähig.‘ Durch gezielte Erfahrungen im Alltag gewinnen sie langsam ihr Selbstwertgefühl zurück“ erzählt Rogan. 

Durch das Erleben von Selbstermächtigung seien viele psychische Krankheiten heilbar, betont Rogan und zitiert das Konzept der „erlernten Hilflosigkeit“ des Psychologen Martin Seligman. Es bezieht sich darauf, dass Menschen, die wiederholt negative Erfahrungen machen mussten, auf die sie keinen Einfluss hatten, oft eine Art Resignation entwickeln, die bis in die Handlungsunfähigkeit führen kann. Dieses „Schwungrad, das sich in die negative Richtung dreht“ hilft Rogan umzukehren. „Es ist, als ob man jemanden daran erinnert, dass er springen kann, nachdem er so lange stillgestanden ist, dass er vergessen hat, dass es überhaupt möglich ist.“

Blurred image background
 © Ricardo Herrgott/News

Therapieerlebnis in der Wüste

Die Klientel, die Markus Rogan begleitet, ist vielfältig und hochkarätig. Sein spezifisches Angebot gönnen sich mächtige CEOs und politisch entscheidungskräftige Personen, viele von ihnen millionenschwer. Ein Wochenende in der Wüste als Überlebenstraining gehört zum Portfolio. Auf die Frage, für welche Art von Klientel der Wüstentrip heilsam sein kann, sagt er: „Oft sind das Menschen, die ihre ureigene Macht abgegeben haben und extrem von Personal abhängig sind.“ 

Vor Jahren absolvierte er das mit einem einflussreichen Geschäftsmann. Vor dem Wochenende musste dieser im Supermarkt für 48 Stunden Wüste einkaufen. „Er ist mit zwei Litern Wasser und ein paar Keksen zurückgekommen“, erinnert sich Rogan. Den Rest werde jemand anderer bringen, hatte er gedacht, obwohl klar gewesen sei, dass sonst niemand komme. „Das Wochenende hat dem Klienten Selbstvertrauen gegeben, weil er aus eigener Kraft überlebt hat, und nicht, weil sein 50-köpfiges Personal das erledigt hat. Das ist ein Schritt zurück aus der Entfremdung vom Selbst und vom Hausverstand“, erklärt Rogan. „Es gibt kein Psychologengespräch, das dieses Gefühl des Selbstvertrauens ersetzen kann. Selbstvertrauen bekommst du durch Erleben.“

Macht, Wut, erektile Dysfunktion

Die Nachfrage liegt nahe: Vermutet man nicht just bei mächtigen, entscheidungskräftigen Personen ein hohes Maß an Selbstvertrauen? „Das haben sie in einem bestimmten Bereich, dort haben sie Expertise. Aber es gibt viele Männer mit großer Macht, die an erektiler Dysfunktion leiden“, nennt Rogan ein Symptom, das nicht ignoriert werden sollte. „Ignoring symptoms makes you sick. Facing them makes you come alive“, lautet ein Leitsatz auf seiner Website (deutsch: „Symptome zu ignorieren, macht krank. Sich ihnen zu stellen, lässt dich lebendig werden.“). Es sei leicht, sich diesem Symptom mit Viagra zu stellen, führt Rogan aus. Mit den richtigen Fragen zur heilsamen Therapie zu finden, sei freilich nachhaltiger. 

Unkontrollierte Wutanfälle nennt er als weiteres verbreitetes Symptom. „Gerade erfolgreiche Männer schaffen sich oft ein Umfeld, das ihre Wut erträgt. Dann sind die anderen sogar schuld, wenn die Eiswürfel nicht kalt genug sind“, verdeutlicht Rogan. Selbstbild und Fremdbild würden sich so immer mehr verschieben. Wut als ein Symptom einer Depression wird dann möglicherweise übersehen. Auszusprechen, was sonst niemand wagt, liege oft an ihm, dem Therapeuten: „Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Kaiser ohne Kleider herumlaufen.“

Beim Heliskiing in den „Flow“ finden

Welche Art der Erlebnistherapie zur Heilung führt, klärt ein Vorgespräch. Ein Highlight für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in -Rogans Portfolio ist die bis zu siebentätigen Erfahrung beim Heliskiing in Kanada. Dort macht sich Rogan das Konzept des „Flows“ zu Nutze, eines Zustands, den der ungarische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi erforscht hat. 

Wer im Flow ist, erlebt ein hohes Maß an Konzentration und Freude an einer Tätigkeit, die zwar herausfordert, aber nicht überfordert. „Oft merken Klienten, dass sie in ihrem Leben alles kontrollieren, aber nicht glücklich sind. Sie haben das spielerische Element verloren. Der Flow hilft, diese Balance zwischen Kontrolle und Loslassen wiederzufinden“, erklärt Rogan. „Beim Skifahren im Tiefschnee finden Klienten erfahrungs-gemäß schnell in den Flow, diesen magischen Punkt zwischen Kontrolle, Nervosität und Erregung.“

Beim Haitauchen Emotionen heilen

Schwierigen Emotionen wie Scham, Wut, Traurigkeit und Schuld geht der Psychotherapeut mit seinen Klientinnen und Klienten auch beim Haitauchen auf den Bahamas auf den Grund. „Diese Gefühle werden oft als negativ angesehen und deshalb vermieden. Man glaubt, es sei besser, diesen Gefühlen nie zu begegnen, dabei ist das Gegenteil der Fall: Wenn wir den Mut haben, uns zu stellen, macht das innerlich frei.“ 

Käfigtauchen in Mexiko zählt darüber hinaus zum Therapieportfolio. Bei einer mehrtägigen Meditation auf einem einsamen Berggipfel ohne Bildschirme und Telefone stellen sich Lösungssuchende auch „dem Terror und der Freiheit der fehlenden Ablenkung vom Ich“. 

Vater-Sohn-Beziehungen widmet sich Rogan in speziellen Retreats. Jungen Erwachsenen, die mit Suchtverhalten oder fehlendem beruflichen Erfolg kämpfen, hilft er, durch den Verzicht von Komfort persönliche Stärken zu entdecken und Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.

Blurred image background
 © Philipp Leister

Siege ausstellen – und das Scheitern

Der Weg, den der Ex-Profisportler hinter sich hat, ist weit. Als junger Schwimmer brauchte sich Rogan nie um seine Identität zu sorgen – er war einfach „der Schwimmer“, reflektiert er. Nach seiner aktiven Sportkarriere begann er, die psychologischen Aspekte von Erfolg und Scheitern zu ergründen. 

„Als Athlet musst du dich nicht mit der Frage beschäftigen, wer du bist – deine Leistung spricht für sich. Sobald du aufhörst, ist es gut, diese Identitätsbestimmung, die andere in der Pubertät erleben, nachzuholen.“ Rogan hat selbst zweieinhalbtausend Stunden Therapie hinter sich. 

Neben seinen Siegen stellt er auf seiner Website auch sein Scheitern aus: in Form der Schlagzeilen, die sein Rauswurf samt Rauferei in einer römischen Diskothek einst nach sich zog. Verstecken könne er es ohnehin nicht, erklärt er. Zudem treffe er oft Klienten und Klientinnen, die ähnliche Skandale erlebt hätten, da sei Transparenz für eine vertrauensvolle Verbindung hilfreich. 

Unterm Eis das Ego ablegen

Die Summe seiner Erfahrungen unterstützt Rogans Arbeit, wie er sagt. „Bei der Arbeit auf einer Therapeutencouch bin ich vermutlich nicht besser als viele andere Psychotherapeuten, aber auf diesem Gebiet der Erlebnistherapie kann ich Patienten wirklich besser helfen.“ 

Seine Faszination für die menschliche Psyche treibt ihn beruflich an, aber auch ganz persönlich. So beschreibt er seinen Grenzgang beim Weltrekord im Apnoe-Eistauchen mit der Lust auf das Glücksgefühl, wenn er unter der Eis-decke sein Ego ablegen könne: „Es gibt nichts Spannenderes als die menschliche Psyche.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 41/2024 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER