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Zum 80. Geburtstag von Peter Turrini "Ein hoffnungsloser Romantiker"

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©Ricardo Herrgott
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Seine Parzelle in der Literaturgeschichte ist geräumig, sein Werk lebt und hat Dissertationen befüttert. Zu Peter Turrinis 80. Geburtstag noch Gebrauchsfähiges herzustellen, ist demnach eine Herausforderung. Wir haben die Aufgabe delegiert: an zwei Literaturnobelpreisträger und fünf weitere Gratulanten aus der Bel Etage

Was noch an Persönlichem anzufügen wäre, aus der sensiblen Existenz zwischen Kritiker und Freund: Das wird in die dieswöchigen "Spitzentöne" verlegt. Abdruckbare – nicht persönliche – Gespräche zum stürmisch aufziehenden 80. Geburtstag verweigert der Jubilar pauschal. Aber als es darum ging, seinen Freund Herbert Föttinger vor einer sich aufbauenden Kampagne aus anonymen Anschuldigungen zu schützen, verfasste der große, sehr große Dramatiker Peter Turrini eine leidenschaftliche Philippika, die wir in voller Länge veröffentlicht haben.

Nun antwortet Föttinger via News als einer von sieben Gratulanten, die dem auch diesbezüglich ausdekorierten Jubilar mehr als bloß die Ehre, nämlich Zuneigung und Wertschätzung erweisen. Die beiden einzigen österreichischen Literaturnobelpreisträger treffen da auf den amtierenden Kardinal, zwei Schauspiellegenden und eine begeisterte Kollegin, die Turrini nie begegnet ist.

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Herbert Föttinger, Jg. 1961, brachte als "Josefstadt"-Direktor acht Stücke Turrinis zur Uraufführung

 © Alexander Tuma/picturedesk.com

Herbert Föttinger, Direktor des Theaters in der Josefstadt

Mein geliebter Dichter!

Es fühlt sich nicht an, als ob es gestern gewesen wäre. Nein, es fühlt sich an, als ob es 18 Jahre her ist (und das ist es auch!), dass der Applaus am Ende der Eröffnungspremiere meiner Intendanz aufbrandete. Wir standen auf der Seitenbühne, hörten den Jubel, die Bravos, schritten dann einträchtig an die Rampe und nahmen den Salut gerne und dankend an. Solche Momente kann man nicht planen, in solchen Situationen überrascht man sich oft auch selbst– ich jedenfalls beugte mich an Dein Ohr, und flüsterte, nein, eigentlich schrie ich Dich an, denn der Beifallssturm war ja noch nicht abgeflaut: "Jetzt müsste es aufhören."

Und vermutlich habe ich das für den Bruchteil einer Sekunde auch genau so gemeint. Aber es war nicht vorbei, "Mein Nestroy" war der fulminante Beginn einer Zusammenarbeit, wie sie sich ein jeder Theaterdirektor nur wünschen kann. Doch nicht nur, weil sie dem Theater grandiose Uraufführungen eines der größten österreichischen Dichter beschert hat. Vor allem auch, weil ich den Austausch mit Dir um nichts in der Welt missen möchte. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir diskutiert, debattiert, gelacht, gestritten (und wie!) und uns wieder versöhnt. Am Ende stand und steht immer ein außergewöhnliches Stück Literatur, eine im Deckmantel der Dramatik verschleierte Dichtung.

Der Facettenreichtum Deiner Themen und die grenzenlose Empathie, die Du Deinen Figuren und damit auch Deinem Publikum entgegenbringst, haben Dich – zu diesem noch nicht näher definierten Anlass darf man das sagen – jung gehalten. Die Neugier, Themen und Figuren zu ergründen, die Gesellschaft zu betrachten, ist Dir uneingeschränkt erhalten geblieben. Was Dein Theaterschaffen dabei eint, ist die Kompromisslosigkeit in moralischen Fragen, die sich aber eben nicht im moralisierenden Fingerzeig erschöpft, sondern die das Aushalten von Widersprüchlichkeiten, das Aufeinander-Zugehen, das einander wirklich Verstehen-Wollen sucht. Die Poesie Deiner Sprache macht uns diese wunderbare, komische und tragische, schöne und geheimnisvolle Welt, in der wir leben, nicht unbedingt leichter, aber verständlicher – und das ist schon viel.

Im Grunde Deines Herzens bist Du ein hoffnungsloser Romantiker, der die Liebe – zumindest ein kleines Fünkchen Liebe, eine Ahnung der großen, dauernden Liebe – mittels seiner feinfühligen Sprachgewalt an unvorhergesehenen Orten, bei unerwarteten Figuren zu finden vermag.

Und das – unvermindert! – mit 80! Jetzt ist es raus, das ist der Grund, weshalb meine Ehrerbietung ausnahmsweise nicht im Privaten erfolgt, weshalb ich die öffentliche Leserschaft nur zu gerne daran teilhaben lasse. Du feierst Deinen 80. Geburtstag im Zustand der unerschütterlichen literarischen Jugend und ich sehe es als Privileg, nach wie vor von diesem Zustand profitieren zu dürfen.

Ich danke Dir, lieber Peter, von ganzem Herzen für Dein Talent, Deinen Geist, Deine Freundschaft und wünsche Dir alles Gute zum Geburtstag! Welch Segen, dass es damals nicht aufgehört hat, mein Freund.

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Peter Handke, Jg. 1941, ist wie sein Landsmann Peter Turrini früh in die Weltliteratur aufgebrochen

 © Matt Observe

Peter Handke, Nobelpreisträger für Literatur

"Wir betreiben ein ernstes Spiel"

Ich habe Peter Turrini nur einmal getroffen, an seinem damaligen Wohnort Schöngrabern in Niederösterreich mit der herrlichen romanischen Kirche. Damit und mit seiner Gastlichkeit verbinde ich ihn am meisten.

Zwei Dinge, die ihm zugestoßen sind, bedaure ich, obwohl sie nicht wichtig sind. Erstens kommt mir beim Gedanken an ihn Heinrich Böll in den Sinn: Es gibt Schriftsteller, die durch ihre Position, durch den Moment, in dem sie erschienen sind und sich geäußert haben, genausoviel gelten wie durch das, was sie geschrieben haben. Oder es ist fast mehr die Gestalt, die bleibt, und das Werk rückt in den Hintergrund. Deshalb habe ich Böll mit meinen 25, 26 Jahren gesagt: "Ich bin stolz auf den Schriftsteller Heinrich Böll."

Das betrifft auch Turrini: Er ist eine notwendige Gestalt, aber zugleich auch eine spielerische. Weil wir ja, wie Goethe sagt, ein ernstes Spiel betreiben.

Das Zweite ist der Große österreichische Staatspreis, der ihm längst gebührt. In jeder Literaturzeitschrift findet man eine Milliarde junger Autoren, die alle schon Superpreise bekommen haben, mindestens den dritten Preis der Wanderausstellung "Die Kuh vom Felde". Das ist wie mit den Olympischen Spielen, wo schon die Goldmedaille für das Schuhzubandeln vergeben wird, statt sich auf die antiken olympischen Disziplinen zu konzentrieren. Dieses Preisgehabe ist desillusionierend und vom Lesen abhaltend. Ich würde gern eine Biografie junger Dichter lesen, in der steht "Träger keines einzigen Preises". Aber der Staatspreis für Peter Turrini, der ist eine Selbstverständlichkeit. (Nach einem Telefonat)

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Elfriede Jelinek, Jg. 1946, ist eine der einflussreichsten Autorenpersönlichkeiten der Gegenwart

 © ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin für Literatur

"Wahrheit, die vor sich selbst erschrickt"

Der Peter Turrini ist ein originär dramatischer Künstler, er hat am Theater seine literarische Erfüllung gefunden. Vielleicht weil er an Menschen wirklich interessiert ist und weiß, wie sie miteinander kommunizieren und einander anlügen oder immer etwas mehr als die Wahrheit sagen, die dann vor sich selbst erschrickt, weil sie eben zuviel von sich preisgegeben hat.

Er vergißt keinen Menschen, den er je auf die Bühne gestellt hat (mir passiert das leider öfter, wenn ich überhaupt Menschen verwende). Das ist es, glaub ich: Er verwendet, vernutzt die Menschen eben nicht und beschämt sie nicht, wenn sie dann halt trotzdem nicht nützlich sind (er sagt ja, welchem System sie nützen!), sondern er läßt ihnen Raum, ohne sie in dort aufgehäuftem Gerümpel zu ersticken. In der Rozznjogd macht er einem das wiederum bewußt, weil am Schluß nackte Menschen und ihr Glumpert die Bühne bedecken, eine Dekostruktion sozusagen, aber von der Maschekseite her. Das was die Figuren ausgemacht hat, war eben Gerümpel, sie haben es sich abmontiert (und sich selbst gleich mit). Dieses Stück (und andere) versteht man überall auf der Welt, und es ist auch überall gespielt worden.

Das ist Turrinis große Qualität: daß man ihn überall versteht, nicht weil er simpel wäre, sondern weil er auf das Wesen des Wesentlichen kommt, bis es ein Unwesen geworden ist. Ein universales Drama, darin ist er, auf ganz andre Weise, dem Wolfi Bauer ähnlich. Das muß man erst mal können!

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 © Ricardo Herrgott
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Christoph Schönborn, Jg. 1945, beherbergte Turrini zum Schreiben im Kloster Retz

 © Stefan Fürtbauer/picturedesk.com

Christoph Schönborn, Kardinal

"Dieser lange Weg der Freundschaft"

Wir kennen uns seit 40 Jahren, also die Hälfte unseres Lebens. Jetzt sind wir beide nahe am 80er. Unsere Freundschaft entstand durch ein Kloster, in dem Turrini einige seiner Stücke schrieb und ich der Gastgeber war. Seine Stücke bereiteten mir manchmal Bauchweh. Er selbst hat mich immer berührt durch seine echte Menschlichkeit. Sie ist auch der Nährboden seiner Stücke. Fasziniert hat mich immer sein Sprachwitz und die Kraft seiner Bilder. Schön, einen so langen Weg der Freundschaft gehen zu dürfen!

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Anna Baar, Jg. 1973, Kärntnerin wie Turrini, ist Staatspreisträgerin für Literatur

 © Johannes Puch

Anna Baar, Schriftstellerin

"Sätze, wie Speile aus einem Herzen gezogen"

Nie sind wir uns leibhaftig über den Weg gelaufen. Aber es gab die Begegnung Anfang der 90er-Jahre. Ein paar Schritte zurück in meine unbesonnte Josefstädter Bude. Das rosa-rot-schwarz-weiße Büchlein im spärlich bestückten Regal. "Wie lange noch" – unterstrichen mit dem Kugelschreiber. Nie auch nur ein Zuckerl von einem Fremden genommen, immer nur das Bittere, mit dem er mir vertraut wird. Sätze, wie Speile aus einem Herzen gezogen, und die Fantasie, sie ausnahmslos zu verbrennen als Zeugnisse der Schwermut. Das traurige Lagerfeuer in meiner Duschkabine. Mein Beileid und die Einsicht: gerade im Alleinsein bist du in bester Gesellschaft. Diesem nahen Fernen wünsche ich viel Gutes.

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Otto Schenk, Jg. 1930, war Turrini als „Josefstadt“-Direktor und Schauspieler verbunden, Turrini-Spezialist

 © Ricardo Herrgott

Otto Schenk, Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor

"... weil er ein Unbedingter ist"

Peter Turrini ist ein Meister der Regellosigkeit, der immer wieder Wunder gebiert. Die Qualität seines Schaffens ist der ungetrübte realistische Blick und die Unfähigkeit, einer Mode zu folgen. Wenn man ihn in der Hand zu haben glaubt, ist er einem am weitesten weg. Die Rollen, die er schreibt, sind wundervoll, wenn man sich als Schauspieler auf sie einlässt. Man muss nur alles andere vergessen, weil er ein Unbedingter ist.

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Martin Schwab, Jg. 1937, spielte in der Uraufführung von Turrinis "Tod und Teufel" (1990) einen sündigen Priester, der sich selbst kreuzigt

 © IMAGO/Rudi Gigler

Martin Schwab, Burgschauspieler

"Peter, du musst noch viele Antworten geben"

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 © Martin Schwab

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2024 erschienen.

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