Die Stunde der Kardinäle. Die 138 wahlberechtigten Purpurträger wählen nach jahrhundertealten Regeln den neuen Papst.
Nach dem Papst ist vor dem Papst. Der Tod von Papst Franziskus ließ den Betrieb im Vatikanstaat nur für Minuten stillstehen. Dann wurde ein zum Teil jahrhundertealtes Regelwerk in Gang gesetzt, an dessen Ende es in spätestens einem Monat heißen soll: „Habemus Papam!“, „Wir haben einen Papst!“
Der starke Mann im Vatikan ist bis dahin der in Irland geborene US-Kardinal Kevin Farrell. Er bekleidet das Amt des sonst im Hintergrund agierenden Kardinalskämmerers (Camerlengo). Unmittelbar nach dem Dahinscheiden von Papst Franziskus am Ostermontag war es seine erste Aufgabe, die Todesurkunde auszustellen und die päpstlichen Gemächer zu versiegeln. Außerdem musste er den Siegelring dieses Papstes mit einem Hammer zerstören. Nach skandalträchtigen Umtrieben früherer Jahrhunderte hat man immer noch das Bedürfnis, sich vor Urkundenfälschungen in der Zeit der Sedisvakanz zu schützen.
Der Camerlengo verwaltet zurzeit die Weltkirche, organisiert das Begräbnis des verstorbenen Papstes und ruft die 138 zur Papstwahl berechtigen Kardinäle nach Rom. Denn 15 Tage nach dem Tod des Pontifex (also am 6. Mai), nur in Ausnahmefällen 20 Tage danach, gehen die Kirchenfürsten daran, in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan den neuen Primus zu wählen.
Wie im Mittelalter. Die Regeln dafür sind faszinierend und beweisen, dass die Kirche bei Reformen in Jahrhunderten denkt. Auch im dritten Jahrtausend mutet die Papstwahl mittelalterlich an.
Wahlberechtigt sind nur jene der derzeit 252 Mitglieder des Kardinalskollegiums, die am Todestag des Papstes, dem 21. April, das 80. Lebensjahr nicht vollendet hatten. Sie werden unter strengster Abgeschiedenheit im Vatikanstaat kaserniert. Freilich kommen sie in den Genuss einer der wenigen Neuerungen, die Johannes Paul II. – 1978 bis 2005 im Amt – bei der Novellierung der Wahlordnung 1996 zuließ. Die Kardinäle müssen nicht mehr in spartanischen Zellen mit gemeinsamen Sanitäranlagen nahe der Sixtina darben. Bei der Wahl des 33-Tage-Papstes Johannes Paul I. im Hochsommer 1978 soll es dort unerträglich stickig gewesen sein.
Johannes Paul II. ließ das Gästehaus der heiligen Martha im Vatikanstaat renovieren. Zwischen den strapaziösen Wahlgängen umfängt die Purpurträger dort gediegenes Ambiente: weißer Marmor, Restaurant, Bad und Minibar sind Standard. Nur auf Telefon, Zeitungslektüre und TV müssen die Kirchenmänner in der Vier-Sterne-Abgeschiedenheit verzichten, denn während des Konklaves ist jeder Kontakt zur Außenwelt tabu.
Per Bus zur Wahl. Nur logisch also, dass die wenigen hundert Meter zwischen Unterkunft und Apostolischem Palast im eigenen Shuttlebus zurückgelegt werden müssen. Andernfalls könnten sich ja als Handwerker oder andere dienstbare Geister verkleidete Journalisten den Kardinälen unbotmäßig neugierig nähern.


Mit „Alle raus!“ beginnt die Wahl im Konklave
Am Tag eins der Papstwahl legen die Kardinäle ihren Talar mit der roten Schärpe an. Nach einer Eucharistiefeier ziehen sie in feierlicher Prozession in die Sixtinische Kapelle ein. Sie verpflichten sich mit Eid zu absoluter Geheimhaltung von allem, was in den nächsten Tagen innerhalb dieser vier Wände passiert. Zwei Techniker untersuchen, ob die heiligen Hallen von unbefugten Lauschern verwanzt worden sind. Danach ertönt das Kommando: „Extra omnes!“, „Alle raus!“, für alle, die nicht unmittelbar mit der Papstwahl befasst sind. Die Sixtinische Kapelle wird abgesperrt – von „cum clave“, also mit dem Schlüssel, kommt der Name Konklave. Die Fenster bleiben geschlossen, die Vorhänge werden zugezogen, um jeden Kontakt zur Außenwelt zu vermeiden. Neben den Wahlberechtigten sind nur mehr einige Sekretäre, Ordenspriester für die Beichte und zwei Ärzte für Notfälle zugelassen. Vor der Tür wacht die Schweizergarde.
Gewählt wird mit genormten Stimmzetteln in geheimer Abstimmung. Die ohnehin nur selten genützte Möglichkeit, dass die Kardinäle unter Michelangelos „Jüngstem Gericht“ quasi vom Heiligen Geist beseelt einmütig einen Kandidatennamen ausrufen und diesen „per acclamationem“ zum Papst erklären, wurde von Johannes Paul II. abgeschafft.
Ebenso sorgte er dafür, dass sich das Wahlprozedere nicht zu lange hinziehen kann. Hat nach 33 Wahlgängen (bei maximal vier pro Tag) kein Kandidat die nötige Zweidrittelmehrheit erlangt, kann mit absoluter Mehrheit entschieden werden. Wenn sich also in den ersten Tagen eine knappe Mehrheit für einen Kandidaten findet, müssen seine Unterstützer „nur“ noch Nerven bewahren und die Kollegen bis zum 34. Wahlgang auflaufen lassen.
Am Ende des Zeremoniells siegen die Nervenstärksten
Der Wahlvorgang selbst folgt einem alten Zeremoniell. Wahlreden sind verboten. Die Kardinäle müssen mit verstellter, aber deutlich lesbarer Schrift den Namen ihres Favoriten auf den Stimmzettel mit der Aufschrift „Eligo in Summum Pontificem“ („Zum Papst wähle ich“) schreiben und das Papier falten. Danach muss jeder Kardinal seinen Stimmzettel für alle gut sichtbar zum Altar tragen, auf dem die mit einem Hostienteller abgedeckte Urne steht. Dort spricht er die Eidesformel: „Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, dass ich den gewählt habe, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden sollte.“ Er legt den Zettel auf den Teller, lässt ihn von dort in die Urne gleiten, verbeugt sich vor dem Altar und geht zurück an seinen Platz.
Schwarzer Rauch. Nach jedem Wahldurchgang werden von den Wahlhelfern zunächst die Papiere gezählt. Stimmt deren Anzahl nicht mit der der Wahlberechtigten überein, wird alles sofort verbrannt. Ist die Zahl korrekt, werden die Stimmzettel geöffnet und verlesen. Jedes Blatt muss mit einer Nadel genau beim Wort „Eligo“ durchstochen und auf einem Faden aufgefädelt werden. Nach jedem Durchgang wird die so entstandene Kette sofort verbrannt. Das Stimmenverhältnis soll nie bekannt werden. Nur so viel: Gibt es keine Mehrheit, fügen die Wahlhelfer dem Feuer Pech hinzu, und über dem Petersplatz signalisiert schwarzer Rauch den Gläubigen, dass noch kein Nachfolger für Franziskus gefunden ist.
Jahrhunderte bewährt. Schon im 13. Jahrhundert ließ Papst Gregor X. einige perfide Neuerungen in die Wahlordnung aufnehmen, um die Kardinäle auf Trab zu halten. Nach drei ergebnislosen Wahltagen wird demnach nur mehr eine Hauptmahlzeit pro Tag serviert, ab dem fünften Tag werden die Kirchenmänner auf Wasser, Wein und Brot gesetzt.
Das Besetzungsverfahren für den Chefposten der Kirche ist in seinen Grundzügen 800 Jahre alt. Zuvor schacherte der römische Adel um den Posten, wobei Schmiergeld und Mord an der Tagesordnung waren. 1059 beschloss die römische Geistlichkeit, ihr Oberhaupt nur noch von Kardinälen wählen zu lassen. Weil Zank und Hader immer wieder zu Kirchenspaltungen und Gegenpäpsten geführt hatten, verordnete Alexander III. 1179 die Zweidrittelmehrheit für die Wahl seines Nachfolgers. Das wiederum hatte zur Folge, dass sich die Wahlgänge und damit die papstlosen Zeiten viel zu lange hinzogen. 1241 dauerte dem Senator von Rom die Sedisvakanz zu lange, und er ließ kurzerhand das Kardinalskollegium inhaftieren. Dennoch stritten die Würdenträger zwei Monate weiter, einer von ihnen starb sogar in seiner miefigen Zelle.
Das war noch nicht Abschreckung genug: In den Jahren 1268 bis 1271 fand in Viterbo ein nicht enden wollendes Gezerre um den Papst statt. Die ungeduldigen Bürger vermauerten im zweiten Jahr das Wahllokal, setzten die Kardinäle auf Wasser und Brot und deckten das Dach ab. Genützt hat das wenig. Doch der hier gewählte Gregor X. wurde davon zu jener Wahlordnung inspiriert, die auch im Jahr 2005 gilt.
Das Ende: Weißer Rauch über den Petersplatz
Gut erfundene Legende ist hingegen, dass im Konklave einmal „versehentlich“ eine Frau zum Kirchenoberhaupt gewählt worden und der Schwindel erst aufgeflogen sei, nachdem diese bei einer Prozession niedergekommen war. Lang ging die Mär, dass künftige Päpste deshalb nach der Wahl auf einem Plumpsklo Platz nehmen mussten, wo ein beherzter Kirchenmann die Zeichen der Männlichkeit kontrollierte und mit einem „Habet!“ („Er hat welche!“) vermeldete. Zwar war es tatsächlich einmal Brauch, die Päpste auf den Kotstuhl zu setzen – dies aber als Symbol dafür, dass auch der Kirchenfürst, wie alle Menschen, aus Staub geworden sei.
Derlei Folkore bleibt dem Papst heute erspart. Haben sich die Kardinäle geeinigt, werden die Stimmzettel so verbrannt, dass weißer Rauch aufsteigt, und der Gewählte wird gefragt, ob er die Wahl annimmt. Danach betritt der neue Papst das „Zimmer der Tränen“ nahe der Sixtinischen Kapelle. Dort hängen seit Beginn des Konklaves drei weiße Papstroben der Papstschneiderei Gammarelli in verschiedenen Größen. Das Kirchenoberhaupt wählt die Passende. Die Kardinäle geloben Gehorsam. Danach schreitet der Pontifex auf die mittlere Loggia des Petersdoms, und der dienstälteste Kardinalsdiakon, derzeit Dominique Mamberti, verkündet: „Habemus Papam!“