News Logo
ABO

Spitzentöne: Palmers ist Weltkultur, Benko nicht

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
6 min

©Wienbibliothek/Palmers
  1. home
  2. Aktuell
  3. Menschen

Mit der Firma Palmers, die schon wieder in existentieller Bedrängnis ist, verbindet mich nichts Geschäftliches. Aber zwei Kapitel Kulturgeschichte, ein großes von H. C. Artmann und ein mittleres von den Salzburger Festspielen. Das hebt Palmers gegen Benko und KTM ab

Es wird Sie vielleicht überraschen, dass mein Zugang zum Weltkulturerbe ein von Fall zu Fall verschiedener ist. Benko zum Beispiel hat sich, seinen Gepflogenheiten folgend, offensiv selbst auf die Liste befördert (so wie auch auf die der reichsten Menschen der Welt). Jetzt ruht er, so wie die Mona Lisa im Louvre, als Mahnmal des anonymen Leiner-Angestellten in einem Separatbereich und kann nur in Kleingruppen (Anwalt, Justiz, Essensausgabe) besichtigt werden. Den Verlust halte ich für verschmerzbar.

Anderes Beispiel: Sollten künftig mehrheitlich Motorräder der Marken Harley-Davidson oder Suzuki durch die Landschaft preschen, werde ich die Geräte von KTM nicht vermissen. Nur um die Menschen, die jetzt die Arbeit verlieren, ist mir leid. Aber nicht um den Verursacher, der sich noch wie ein heulender 220-PS-Motor in das Scheitern der Koalitionsverhandlungen eingebracht hat.

Aber Palmers, jetzt nicht zum ersten Mal in existentieller Bedrängnis: Da jagt der Puls, und das Nasse steigt in die Augen. Gut, da war etwas mit FFP2-Masken und Corona-Krediten, die jetzt schlagend werden, obwohl sie möglicherweise gar nicht hätten gewährt werden dürfen.

Aber darüber sollen Kundige mutmaßen. Ich bitte Sie vielmehr, mir in die Literaturgeschichte zu folgen. Sie müssen dabei das Folgende laut lesen. Sonst glauben Sie sich – kein Einzelfall in H. C. Artmanns unsterblichem Gedichtband „Med ana schwoazzn Dintn“ – in papuanisch-neuguineische Sprachwelten entrückt.

„Die Empörung im konservativen Österreich war so groß, wie sie heute im progressiven wäre“

In Kurzem bittet da ein schwer Verlegener, vom unbedienten Trieb Gerittener, einen Hawara, ihm ein Plakat für daheim zu beschaffen. Ein übriggebliebenes – „iwrechbliwanas“, welch betörende Südseefarbe im Breitenseer Idiom! –, das in praktikabler Perspektive über dem Bett des Brünftigen Platz finden soll.

Blurred image background

Palmers Plakat 1953

 © Wienbibliothek/Palmers

Palmers und der Kulturskandal

Das Plakat hatte 1953 die Firma Palmers affichiert, deren Name sich im Wiener Idiom schon zur Gründung anno 1914 zärtlich zu „balmas“ gerundet hatte. Und es bewarb die „balmas neilaun“ in jener pulsbeschleunigenden Indirektheit, mit der man heute unverzüglich vor den Werberat zitiert würde.

Beworben wurden „2 Paar Perlons in der neuen Zwilling-Packung“, und man sah nichts als „zwei lange, schöne, bestrumpfte Beine, die den Blick von links unten nach rechts oben (lenken), wo zwei zarte, gepflegte Damenhände mit rot lackierten Fingernägeln den einen Strumpf sachte nach oben zum Saum des kurzen Unterkleids ziehen“.

Das Zitat entnehme ich dem Wien-Museum, denn das „blagat“ wurde tatsächlich ein Stück Kulturgeschichte. Die Empörung im stockkonservativen Österreich des Jahres 1953 war so groß, wie sie heute aus konträrer Perspektive wäre (und ich überlasse es Ihnen, zu entscheiden, in welchem Ausmaß sich ideologische Positionen einander annähern, wenn es um die gemeinsame Lust an Verbot und Regulierung geht). So war das also mit den „balmas neilaun“ und dem unsterblichen H. C.

Palmers und „Don Giovanni“

Und noch einmal fusionierte die Marke Palmers mit der Kulturgeschichte. 2002 war das bei den Salzburger Festspielen. Peter Ruzicka hatte damals seine auf lange Zeit unerreichte Intendanz angetreten. Er musste schon vier Jahre später aus Verschulden der lokalen SPÖ nach parteipolitischen Provinzkabalen abtreten. Aber was er in dieser Frist, maßgeblich durch das Wirken seines genialen Besetzungsdirektors Josef Hussek, in die Welt schickte, blieb lang ohne Beispiel. Der Tenor Jonas Kaufmann betrat in einer von Empörungsstürmen umtobten „Entführung aus dem Serail“ erstmals die Weltbühne. Regie führte der wenig bekannte Stefan Herheim, heute Intendant des Theaters an der Wien. Elina Garanca schlug in Mozarts „Titus“ ein, Nina Stemme in Zemlinskys „Kandaules“, Anja Harteros fiel als Erste Dame in der „Zauberflöte“ auf.

Nichts aber konnte sich mit Ruzickas Eröffnungspremiere vergleichen: Nikolaus Harnoncourt dirigierte und der damals kraftstrotzende Martin Kusej inszenierte „Don Giovanni“. Die erotisch aufgeheizte Atmosphäre hatte er mit einem riesigen Palmers-Plakat erzeugt, dessen Personal sich dann leibhaftig in die Ereignisse einbrachte. Genau die Atmosphäre, um eine zarte, atemberaubend singende Russin im kurzen, wehenden Fähnchen aus der Unbekanntheit auf den Himalaya der Opernwelt zu befördern. Anna Netrebko war das, und ich wünsche Palmers noch ein langes, halbwegs unbehelligtes Leben.

Blurred image background

Dirigent Nikolaus Harnoncourt im Orchestergraben vor einem überdimensionalen Werbeplakat während der Probe zu Mozarts "Don Giovanni" 2002, Salzburger Festspiele.

 © Barbara Gindl / APA / picturedesk.com

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

Neuer Newsletter! Heinz Sichrovsky informiert Sie direkt: Melden Sie sich hier zu seinem Newsletter an!

Ihre Leserbriefe zu Kulturthemen finden Sie hier: zu den Leserbriefen!

Kolumnen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER