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Otto Schenk: "Ich muss die Augen, die nicht mehr so gut funktionieren, möglichst weit offenhalten"

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Dass der singuläre Otto Schenk einer der gefeiertsten Opernregisseure der Welt war, wissen viele nicht mehr. Am Donnerstag nahm er für sein Lebenswerk einen sehr begehrten Preis entgegen. Eine kleine Tournee mit seinen Erinnerungen folgt

So ist das mit dem leidigen Redaktionsschluss, dem das Wochenmagazin unterworfen ist und der selbst dem zur Gutartigkeit entschlossenen Journalisten beim Jubeln ins Wort fällt.

So kann hier also nur mit dem höchsten Wahrscheinlichkeitsquotienten vermutet werden, dass die Verleihung des Österreichischen Musiktheaterpreises am Abend vor Erscheinen dieser Ausgabe das Wiener Rathaus überglänzt haben wird. Drei der größten Wagner-Sänger unserer Zeit, Nina Stemme, Camilla Nylund und Andreas Schager werden ihre Auszeichnungen erfreut entgegengenommen haben, wohingegen der Dirigent Christian Thielemann leider in Amsterdam unabkömmlich gewesen sein wird.

Und alle werden bedauert haben, dass die Träger des heuer zweifach vergebenen Lebenswerkpreises diese Königstrophäe nicht gemeinsam entgegennehmen konnten: Ileana Cotrubas, eine der größten Sopranistinnen der Operngeschichte, Wahrheitsfinderin, Herzensanrührerin und streitbare Regietheatergegnerin singulären Ausmaßes, musste aus Gesundheitsgründen absagen und bat auch, auf Zuspielungen zu verzichten.

Sie wäre auf den zwischen Wien, München und New York stilbildenden Opernregisseur Otto Schenk getroffen, mit dem sie 1971 in der Wiener Staatsoper eine über Jahrzehnte beispielhafte "Traviata" gefertigt hat.

Ein Gespräch mit dem 93-jährigen Großmeister, der im Vorjahr seine Ehefrau Renée verloren hat, ist wie ein Gruß aus großer Geschichte.

Herr Schenk, konnte man Sie mit dem Musiktheaterpreis erfreuen?

Ich freu mich über alle Preise. Über die Titel weniger. Die benutze ich gar nicht.

Und die Orden? Haben Sie die alle auf dem Opernball getragen?

Ich war nie auf dem Opernball.

Warum nicht?

Weil ich nicht gern Opernball hab. In der Oper hab ich gern Oper.

Kommen wir also zu Wichtigerem. Als wir zuletzt vor einem Jahr gesprochen haben, waren Sie traurig und müde. Wie geht es Ihnen jetzt?

Traurig und müde bin ich immer noch ein bissl. Aber man sagt mir, dass ich wieder etwas besser aussehe. Das weiß ich aber nicht, weil ich den Spiegel vermeide. Ich lasse mich lieber von den Vorurteilen meiner Umgebung leiten. Ich bin für mein Alter recht fit, sagt man mir zumindest. Nur gehen kann ich schlecht, aber das scheint mir ertragbar, wenn ich auf den Taufschein schaue und sehe, dass die meisten in meinem Alter schon unter der Erde sind.

Kann es sein, dass Sie der Wunsch, auf ein Podium zu gehen, am Leben hält?


Überhaupt nicht. Ich habe mich von der Bühne verabschiedet und führe mit meinem ehemaligen Manager nur noch ein Interview voll von altem Zeug, ohne das ich nichts bin. Aber am Leben hält es mich nicht.

Der alte, schwülstige Wunsch, auf der Bühne zu sterben, scheint nicht der Ihre zu sein? Ich stelle mir das jedenfalls enorm mühsam, auch peinlich vor.

Dazu muss ich nichts sagen. Sterben ist ja nicht in unseren Händen. Sterben ist für mich deshalb etwas Grauenhaftes, weil die anderen gehen. Wenn ich einmal sterbe, passiert das ja relativ automatisch. Kündigt es sich an? Kündigt es sich falsch an? Das ist nicht das Problem. Das Problem ist die Liste der Menschen, die mir fehlen. Partner brauche ich im Leben. Man muss in einem gewissen Alter Partner erziehen, Leute um sich scharen, mit denen man gerne redet und die einen gernhaben. Ich lebe davon, dass mich Leute gernhaben. Ich könnte ohne Zuhörer nicht existieren.


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 © Ricardo Herrgott/News

Ich finde es nicht richtig, wenn sich eine Inszenierung von dem, was der Dichter meint, entfernt

Jetzt sind Sie ein Verbliebener aus einer großen Generation, denken wir an Hugo Portisch, Arik Brauer und Lotte Tobisch. Ist das nicht eine Verpflichtung?

Ja, man hat eine gewisse Verantwortung.

Welche?

Falsche Begeisterung im Zaum zu halten. Die Menschen dazu zu bringen, Zweifel zu hegen. Ich muss die Augen, die nicht mehr so gut funktionieren, möglichst weit offenhalten.

Sie meinen die 30 Prozent für die FPÖ bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust der früher großen Parteien?

Ja, das macht mir Sorgen. Aber erwarten Sie von mir keine Ratschläge. Die Situation ist viel komplizierter, als ein Ratschlag sie erfassen kann.

Nun haben Sie an sich vor einem Jahr definitiv von der Bühne Abschied genommen, Sie haben da aus Ihrem Leben erzählt. Jetzt sehe ich mit dieser Veranstaltung sogar eine kleine Tournee angekündigt.

Das ist doch keine Veranstaltung, nur eine Überprüfung, ob die alten Dinge noch herzeigbar sind! Ich kreiere nichts, ich imitiere, und es wurde erstaunlicherweise sehr nachgefragt, sodass wir es wiederholen müssen. Ich bin ein Mensch, der sich sehr nach dem Publikum richtet. Es ist eine große Instanz des Reagierens. Nicht als Fachmann oder Auskunftgeber. Befragen darf man ein Publikum nicht, da kommt meistens nur ein Blödsinn heraus. Aber reagieren tut es wie kaum ein anderes Reagens. Es ist ein ganz merkwürdiges Wesen: Es ist eigentlich nicht gescheit, nicht einmal fleißig. Bildung und Forschung schwänzt das heutige Publikum. Aber es ist da und reagiert in der Sekunde wie ein heißhungriges, auf Wirkung ansprechendes Tier.

Bestimmte Inszenierungen erwecken aber den Eindruck, dass ihnen das Publikum nicht so wichtig ist. Ja, und ich finde es nicht richtig, wenn es sich von dem, was der Dichter meint oder gemeint hat, entfernt.

Wie haben Sie sich denn auf Ihre großen, heute schon historischen Inszenierungen vorbereitet? Durch Quellenstudium?

Gelebt habe ich die Stücke. Ich bin aufgewachsen in einer Märchenzeit. Mein Vater hat mir den "Ring" erzählt, und ich habe ihn so zu inszenieren versucht, wie mein Vater mir die Märchen erzählt hat.

Aber kennen Sie noch viele Väter, die ihren Kindern den "Ring" erzählen?

Wenige, und sie werden das irgendwann auszubügeln haben. Wenn es ihnen nicht überhaupt wurscht ist in einer uninteressierten, illusionslosen Welt. Und was einmal weggeschmissen ist, kriegt man nicht mehr wieder.

Halten Sie denn das Theater, die Oper für gefährdet, wenn sich beide auch noch vom Publikum entfernen?

Es fragt sich, wie gesund ein Publikum ist. Im Moment ist es noch heißhungrig auf Erzählungen, eine schlecht erzählte Aufführung ist ihm noch lieber als ein theoretisierender Abend.

Gehe ich in Kenntnis Ihres Lebenswerks falsch in der Annahme, dass die Oper eine Ihrer zentralen Lebensmaterien ist?

Die zentrale überhaupt. Sie war mein erster Schritt neben meinem Talent. Ich war ein talentierter Nachwuchsschauspieler. Dann wurde ich durch Dreinreden zum Nachwuchsregisseur. Und dann hat mir was gefehlt, ich hab noch gar nicht gewusst, was. Aber eine Dimension, etwas, was nicht erklärbar ist, hat gefehlt. Dann habe ich bemerkt, dass das in der Oper der Fall ist. Dass man durch die Musik über Gefühle aufgeklärt wird, die man nicht beschreiben kann. Da bin ich musikalisch geworden, in dem Sinn, als mir die Musik was erzählt hat. Es war mir dann wichtig, dass lebendig gesungen wird, dass man nicht singt, was man nicht fühlt. Oder dass nicht Gefühltes nicht gut gesungen ist. Nicht theoretisch, sondern durch Hinhören habe ich das begriffen und zu meiner Verpflichtung als Regisseur gemacht. Es hat sich in mir ein Talent entwickelt, dass mir die Musik etwas erzählt über den Stoff, aus dem die Märchen sind, die Musik und überhaupt die Kunst, und der uns alle überleben wird. Ich kann keine Partitur lesen, aber ich glaube zu hören, was eine Musik meint. Nur dem Pop gegenüber bin ich etwas unempfänglich.

Und haben Sie eine persönlich liebste Inszenierung?

Ja, die "Meistersinger" in New York.

Warum?

Ich kann es nicht sagen. Ich weigere mich, über Gefühle analytisch zu sprechen. Gespür, Gefühl, Fantasie, Zynismus und Ekelhaftigkeit gehen andere Wege im Dschungel des Herzens.

Wie kommentieren Sie denn die Angriffe auf Maria Happel, die von der Leitung des Reinhardt Seminars zurücktreten musste, weil ihre Stellvertreterin die "Studierendenschaft" im Privatgespräch zum Weinen gebracht haben soll?

Wenn ich die Orte verlassen hätte, wo ich zum Weinen gebracht worden bin, wäre ich schon längst in der Wüste Gobi umgekommen. Das ist aber nur ein Vorschlag, es gibt auch andere Wüsten. Man muss in solchen Fällen genau hinhören: Wer wurde beleidigt, war es Absicht, war es Unaufmerksamkeit? Unempfindsamkeit ist ein großer Hemmschuh, aber man muss als Künstler auch eine harte Haut haben. Wenn ich die Beschimpfungen meiner Lehrer in einem Buch aufschreiben würde, all die Fehlurteile, dann würde ich einen Kodex von mehreren Bänden herausgeben müssen.

Muss denn Kunst mit Konflikt und Widerstand verbunden sein?


Es muss nicht, und die Freiheit der Beleidung gibt es nicht. Aber verzeihen kann und muss man alles. Liebe deine Feinde ist ein Leitwort, das ein sehr gescheiter jüdischer Prophet geprägt hat.

Waren Sie eigentlich ein böser Regisseur wie Peter Zadek, mit dem Sie ja einmal für Ibsens "Rosmersholm" gearbeitet haben? Haben Sie Ihre Schauspieler gekränkt?

Sicher habe ich das, aber bösartig war ich nie. Im Gegenteil, ich habe immer drauf geschaut, dass alle sich gernhaben.

Regisseure wie der erwähnte Zadek haben aber einzigartige Resultate gezeitigt, indem sie Schauspieler gequält und gebrochen haben. Wäre das heute noch legitim?

Ich weiß es nicht. Ich hätte niemanden gern gequält, aber wenn ich dadurch ein Resultat erzielt hätte wie der Zadek, wäre ich der Verführung vielleicht erlegen. Zu mir war der Zadek übrigens besonders nett, aber wenn derjenige, den er gequält hat, nicht zugrunde gegangen ist, muss auch Verzeihen möglich sein. Denn er wollte dem, den er gequält hat, sicher auch helfen.

Das Resultat ist also das Höchste?

Das Resultat muss haltbar sein, wenn es Qualität hat. Unter wirkungsgeilen Eitelkeiten ist kein großartiges Resultat zu erzielen. Es muss irgendeinen Segen der Ewigkeit erweckt haben. Tut es das nicht, wird es hübsch, fesch, vielleicht interessant. Aber die Magie ist etwas anderes und mit den Regeln, die bisher erfunden sind, nicht erzeugbar. Da muss noch was dazukommen, irgendein schrecklicher Engel, den man nicht in der Hand hat, muss noch etwas dazu tun.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 36/2023

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