Aus unserer vorwöchigen Exklusivgeschichte entstand eine neue: Olga Neuwirth, die gerade mit Elfriede Jelinek eine Trump-Oper für Hamburg schreibt, nimmt sich zum Internationalen Frauentag in einem Gastbeitrag den Umgang ihrer österreichischen Heimat mit kreativen Künstlerinnen vor: „Ich wurde bestraft und aus dem Verkehr gezogen.“
Die Neuigkeit, in der Vorwoche von News prominent verbreitet, machte sich mit Riesengeschwindigkeit auf den Weg durch die Medien: Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth, Trägerin der renommiertesten Auszeichnungen der Musikwelt, und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreiben für Hamburg eine gemeinsame Oper. Zwei Vampiretten, davon erzählt „Monster’s Paradise“, bekämpfen einen trottelig brutalen König, hinter dem Donald Trump erkennbar ist.
Die letzte Antwort, die uns Olga Neuwirth zum Thema übermittelte, war allerdings zu umfangreich und zu bedeutend, um im Artikel unterzugehen. So entstand die Idee eines nachträglichen Gastbeitrags zum internationalen Frauentag: Wie geht Österreich mit kreativen Frauen aus der musikalischen Avantgarde um? „Monster’s Paradise“ gelangt am 1. Februar 2026 in Hamburg zur Premiere und wird von zwei bedeutenden Bühnen übernommen. Die Wiener Staatsoper hatte schon zuvor, erstmals in ihrer 150-jährigen Geschichte, eine Frau mit der Komposition einer Oper beauftragt: Olga Neuwirths „Orlando“ wurde 2019 zum riesigen Erfolg. Aber nach fünf Vorstellungen war Schluss – die neue Operndirektion hat das Werk nicht übernommen. Und am neuen waren u. a. die Festwochen nicht interessiert.
Zwei von vielen Indizien für den Status quo, die Olga Neuwirth in ihrem Gastbeitrag namhaft macht.
„Schön brav sein und alles hinnehmen“


Den drei Bühnen, die „Monster’s Paradise“ aufführen, bin ich äußerst dankbar, denn: Diese Institutionen glauben an diese neue Oper und an mich. Im Gegensatz zur Wiener Staatsoper. Nachhaltigkeit bei Komponistinnen existiert weltweit nach wie vor so gut wie nicht. Für eine jüngere Generation ändert sich langsam etwas. Aber bei über 50-Jährigen, so wie ich, die durchgehalten haben trotz „bleierner Zeiten“, findet eine Art Alten-Bashings statt.
Die Wiener Festwochen wurden gefragt, diese Oper zu koproduzieren, haben aber abgelehnt. Und der Umgang mit der ersten Komponistin, die in 150 Jahren von der Wiener Staatsoper beauftragt wurde – noch dazu einer österreichischen –, war und ist höchst unrühmlich. „Orlando“ nach Virginia Woolf (ich hatte das Thema 2014 bei Vertragsunterschrift gewählt) wird in Theater, und Film sowieso, abgefeiert. In den letzten zwei bis drei Jahren besonders intensiv. Mein musikalischer „Orlando“, 2019 an der Wiener Staatsoper, wurde trotz vollem Haus nach nur fünf Vorstellungen abgesetzt. Nicht aber die Aufträge an meine Kollegen. Die wurden alle weitergespielt.
Meine Oper als „Schaaaaaß“
Ich bekam für „Orlando“ den großen amerikanischen „Grawemeyer Award“ – nach einem Mitschnitt, den ich selbst ediert habe. Das dauerte Tage, denn ich musste u. a. verbale Bösartigkeiten wie die in ein Aufnahme-Mikrofon hineingesprochene Aussage eines Musikers: „So a Schaaaaaß“ rausschneiden. Nach der Preisverkündung sagte mir der jetzige Intendant, er könne das Stück nicht wieder aufnehmen (als entscheidender Intendant?), da „das Haus dagegen ist“. Ach so, sagte ich sarkastisch, die Türklinke, das Fenster? Aber natürlich wusste ich, wen er meinte: den entscheidungstragenden Herrn, der mir am Tag vor der Generalprobe die Musiker, die laut meiner Partitur rund um das Publikum herumstehen sollten (was mir schon von Direktor Holender im Jahr 2002 gezeigt wurde, und in der Intendanz Meyer nochmals), von diesen Plätzen abgezogen hat.
Natürlich habe ich mich beschwert und versucht, dass er seine Entscheidung zurücknimmt. Immerhin saß ich täglich zwei Jahre lang am Schreibtisch, um diese große Partitur zu schreiben, und natürlich kämpft man um seine Ideen. Dann sagte er mir „Sie sind ja verrückt, verrückt!“ und zeigte mir den Vogel. Ha, weil ich auf meiner Kunst beharrte, sie verteidigte? Bei Kollegen wie Ligeti und Kurtag – und da war ich oft Zeugin, wie hart die waren und sind – akzeptiert man das Eingreifen, aber als Frau darf man nichts sagen. Schön brav sein und alles hinnehmen.
Wir haben keine Lobby
Komponistinnen haben keine Lobby wie Schauspielerinnen in Theater oder Film. Man ist Alleinläuferin und wird auch so behandelt. Dies zur viel beschworenen Gleichheit von Mann und Frau in der klassischen Musikwelt. Das Ganze ist besonders absurd, denn genau darum geht es u. a. in „Orlando“: um Bewusstmachung von Missständen, um Gleichheit und Diversität und die Unterdrückung von Frauen über Jahrhunderte hinweg. Verfasst bereits 1928!
Sogar an so einem „geschützten“ Ort wie der Staatsoper, die das gar nicht nötig hätte, agiert man weiterhin intolerant einer Frau und Komponistin gegenüber. Anstatt dass man stolz sein könnte, als österreichische Institution dies ermöglicht zu haben (wie das z. B. die Finnen mit Kaija Saariaho taten und tun). Nein, im Gegenteil: abwürgen. Gleich wieder ins Vergessen zurückschicken, als ob es dieses Werk nie gegeben hätte. So viel zum gern gepredigten Wort „Nachhaltigkeit“ und zum Status von erschaffenden Frauen an der Staatsoper, aber auch im österreichischen klassischen Musikleben an sich.
Pierre Boulez, der mit den Wiener Philharmonikern jahrelang viel zu tun hatte und den ich gut kannte, wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt. Er sagte: „Eine Kultur, die nicht mit ihrer Tradition bricht, stirbt“. Das habe ich ohnehin nur zart gewagt, und nicht als Provokation, wie ein Musiker in einer Zeitung vor der Uraufführung behauptet hatte. Aber das darf man eben anscheinend als Frau nicht in der klassischen Musikwelt des 21. Jahrhunderts in Österreich. Ich wurde bestraft und aus dem Verkehr gezogen. Diese Aussage von Boulez, der ich absolut zustimme, bedeutet überhaupt nicht, dass man die Wiener Philharmoniker oder auch die Wiener Staatsoper nicht bewundert und schätzt. Was für ein großes Missverständnis!
Ein Unrecht wie im Frauensport
Hier herrscht ein Ungleichgewicht wie z. B. auch im Frauensport. Und auch wenn einiges besser geworden ist – das muss man auch festhalten –, besteht in Österreich weiterhin ein Ungleichgewicht. Hat man mir alle möglichen Ehren umgehängt, nur um mich dann erst recht unsichtbar zu machen?
Meine jüngere hochgelobte schwedische Kollegin Lisa Streich bekam von der Swedish Royal Academy of Music (in die ich vor Jahren als Mitglied gewählt wurde) ein Zehnjahresstipendium, um frei ihre Kunst entfalten zu können. Das ist der gravierende Unterschied zu Österreich: Wertschätzung, nicht Dauerheruntermache einer der ganz wenigen österreichischen Komponistinnen.
Mir hat man nicht nur jahrelang keine Professur in meinem eigenen Land zugestanden (bis 2022 – trotz dreier Bewerbungen), sondern mich auch noch 2010 aus meiner Arbeits-Wohnung geworfen, weil die zehnjährige Befristung ausgelaufen war. Ich bekam damals gerade den Großen österreichischen Staatspreis, aber der Hausherr teilte mir mit: „Ich will keine freischaffende Künstlerin in meinem Haus haben.“ Dabei war ich die Leiseste im Haus, und mein Dauerauftrag wurde immer pünktlich abgebucht. Draußen war ich, was für jede/n Komponist/in schlimm ist, denn man sitzt ja ausschließlich von früh bis spät in der Wohnung und komponiert, wenn man nicht zu Proben fahren muss.
Ich hatte nichts mehr, da alles ins Depot musste: keine Schreibtische mehr, keine Noten mehr, kein Mischpult, keine Standcomputer mit meinen Musikprogrammen mehr, kein Archiv zum Nachsehen, geschweige denn meine persönlichen Sachen. Ich musste dennoch unter widrigsten Umständen komponieren. Selbstausbeutung bis zur völligen Erschöpfung. Sogar die Amerikaner haben Unmengen an Stipendien und Fördermittel für ihre Komponisten und Komponistinnen. Und den großen „Genius-Award“. Wir haben das alles nicht im sogenannten Musikland Österreich.
Hat man mir alle möglichen Ehren umgehängt, um mich dann erst recht unsichtbar zu machen?
Zehn Jahre gemobbt
Archiv und Studio wollte ich dann in einem alten Bierdepot, das ich in Gars am Kamp gekauft habe, unterbringen. Man hat mich aber zehn Jahre lang mit immer neuen Schikanen und Auflagen gemobbt, die auch mit hohen Kosten verbunden waren. Nach dieser langen Zeit hat ein St. Pöltner Richter, ohne das Grundstück auch nur besichtigt zu haben, mir die Baugenehmigung wieder entzogen und ich musste quasi zwangsverkaufen. Nach mir durfte ein bekannter Winzer 23 Wohnungen für die Gemeinde bauen.
Dann die Geschichte um das Rom-Stipendium des BMUK: Eine Familie hat ein berühmtes Bild von Kandinsky der Republik Österreich geschenkt, um diese Wohnung an der Piazza Navona für ein Stipendium an Komponist/innen zu vergeben. Aber ausgerechnet für Komponist/innen stand es dann nicht mehr zur Verfügung. Man braucht nur nachzusehen, was es für bildende Künstler, Literaten und verschiedene Medien an Aufenthaltsstipendien gibt – und dann mit den Zuwendungen an Komponist/innen zu vergleichen. Diese Musik ist halt nicht cool, und man kann sie schwer werbewirksam einsetzen.
Aus der Versicherung geworfen
Und jetzt? Wurde ich vor Weihnachten als Staatspreisträgerin mitsamt dem Großen Ehrenkreuz der Republik aus der Künstlersozialversicherung geworfen. Ich soll mich erst wieder als Künstlerin ausweisen! Entstanden durch die Tatsache, dass der deutsche Finanzminister Lindner seit 2022 keine Tantiemen mehr an nicht-deutsche Künstler auszahlen lässt. Es betrifft viele Künstler/innen. So z. B. auch Elfriede Jelinek.
Das ist keine Jammerei, wie in Österreich offenes, kritisches Hinterfragen gern abgetan wird, um sich mit Themen nicht auseinandersetzen zu müssen. Direktheit wird hier als Affront und Ehrlichkeit als Schwäche angesehen. Man wird als querulierende Nervensäge hingestellt, um sich mit dem Überfälligen nicht beschäftigen zu müssen und weiterzumachen wie immer. Das Einfachste ist, das Gegenüber zu desavouieren. Geschichte erledigt.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.11/2025 erschienen.