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Nils Strunk: Über Nacht ein Magnet

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Nils Strunk

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Seit 2019 leistet der deutsche Schauspieler Nils Strunk am Burgtheater Beachtliches. Mit einem furiosen Solo nach Stefan Zweigs „Schachnovelle“ wendete sich am Wahltag sein Schicksal: Das Brillanzereignis ist auf Monate ausverkauft. Und im ZDF läuft demnächst der achtteilige Wirtschaftsthriller „Affäre Cum-Ex“ mit Strunk als Hauptdarsteller an.

Dass Zutrittswillige, den Finger auf der Shift-Taste, der digitalen Kassaeröffnung entgegenfiebern, um das Billett ihres ­Begehrens zu erzocken: Zumindest im Sprechtheatersegment war das seit Besuchergedenken ein weher Direktorentraum, maximal ein Sehnsuchtsblick auf den exterritorialen Domplatz oder hinüber zur Oper, wenn die Netrebko singt.

Die Lage hat sich allerdings mit dem Antritt des Burgtheaterdirektors Stefan Bachmann geändert. Fünf Minuten, bestätigt der Direktor, und man bekommt für einzelne Ereignisse keine Karte mehr. Das Verfahren ist einfach: Der ­Direktor hat vertriebene oder verärgerte Großformate in den Ensemblekosmos zurückgeholt.

Und da mit dem Abschwellen der Grippewelle auch die Hoffnung auf Rückgaben schwindet, wird die Situation noch angespannter, wenn man ­Nicholas Ofczarek („Holzfällen“), Caroline Peters („Egal“) oder Joachim Meyerhoff („Der Fall McNeal“) wiedersehen will.

„Ich bin ja ein No Name“

Und Nils Strunk, versteht sich. Wer? „Ich bin ja ein No Name“, übt sich der spät berufene Publikumsmagnet in Bescheidenheit. Aber wer das furiose Solo sehen will, das er auf der großen Bühne um Zweigs „Schachnovelle“ entfesselt, muss noch eine Idee flinker zugreifen als auf die Genannten. Als akrobatisch skurriler Stummfilmpianist nimmt Strunk die Aufgabe allein auf sich. Die todtraurige Geschichte eines Nazi-Opfers auf dem Seeweg in ein Exil ohne Erlösung als Brillanzsolo von unterhaltsamen zwei Stunden? Und wie das geht! Strunk nimmt sich für jede der handelnden ­Personen Zeit. Er bemüht brachialen Slapstick, verwandelt ein Schachturnier in ein Klaviersolo von surrealem Irrwitz, weiß aber auch, wann das Ende aller Pointen gekommen ist.

Dass man ihm pianistisches Ausnahmeformat nachsagt, erheitert ihn: Er habe als Kind nach einer Klavierstunde verweigert, Noten seien für ihn schwarze Punkte auf Papier. Ausgebildet habe er sich als Mitglied mehrerer Bands. Dass man ihm seinerzeit die Freiheit des Verweigerns gelassen habe, sei einer der Glücksfälle seines Lebens.

Kollegen als Idole

Ofczarek, Peters, Meyerhoff? „Dass Sie mich mit denen vergleichen! Nichts könnte mir mehr schmeicheln und mich gleichzeitig zum Zittern bringen. Das sind Idole“, sagt er und will auch ­Michael Maertens, Roland Koch und Birgit ­Minichmayr mitgemeint haben. „Die ­kochen nicht mit Wasser. Ich weiß nicht, was es ist, aber Wasser ist es nicht.“

Nils Strunk, geboren 1990 in Bad ­Oldesloe, Schleswig-Holstein, bildungsbürgerlich aufgewachsen in Lübeck, ausgebildet im dortigen humanistischen Katharineum, wo die Brüder Mann, der Anarchist Erich Mühsam und der Industrielle Werner von Siemens in die Weltgeschichte eingewiesen wurden.

Blickt man auf das künstlerische Werden des rasend beredsamen, Fragen im Stakkato parierenden Zöglings Strunk, so staunt man. Was der an der Burg schon alles gespielt hat, seit er von Martin Kusej geholt wurde! Er konnte erfolgreich die Aura des Zwielichtigen mobilisieren, war im „Sturm“ zu sehen, in „Engel in Amerika“ und „Bunbury“, immer um einen Deut besser als die Inszenierung. Debütiert hat er 2019 als Schillers Don Karlos, Kusej brachte seine finstere Kreation mitsamt dem Titelhelden vom Dienstort München mit. Aber wer erinnert sich an Kusejs „Karlos“, wer an den Direktor selbst?

Ein Phänomen ist die pfiffige „Zauberflöte“-Adaption, die er 2023 mit seinem künstlerischen Alter Ego Lukas Schrenk gefertigt hat: Sie hat sich vom Nebenschauplatz Kasino unauffällig ans große Haus vorgearbeitet, war schon fast abgespielt und ist jetzt ausverkauft – als offenbarer Ausweichtermin zum noch ausverkaufteren Zweig.

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Schachnovelle

Stefan Zweigs Abschiedswerk vor dem Suizid im brasilianischen Exil als Solo im Burgtheater, erarbeitet von Lukas Schrenk und Nils Strunk. Strunk verwandelt sich in alle Personen der Novelle und brilliert mit surrealen Klavier­eskapaden. Karten zu bekommen, ist eine Herausforderung.

www.burgtheater.at

Inhalte haben dem Theater schon länger gefehlt. Meine Generation befand sich in einem Scherbenmeer. Doch dann kam Corona, und das subventionierte Theater musste plötzlich Karten verkaufen

Theater wird wieder Theater

Den Sturm auf die „Schachnovelle“ führt er bescheiden auf einen Trend zurück, befeuert durch die Pandemie. „Inhalte haben dem Theater schon länger gefehlt, unsere Generation befand sich in einem Scherbenmeer, auf das andere noch weiter draufprügelten. Dann kam die Pandemie, und die Theaterleitungen haben sich plötzlich erinnert, dass es ein Publikum gibt, das nicht von selbst kommt. Das Stammpublikum wurde weniger, das Laufpublikum war weg. Und plötzlich hatte das subventionierte Theater dasselbe Problem wie der Broadway: Man musste Karten verkaufen.“

Der Arbeitsauftrag, branchenweit: „Mach doch mal schnell was ohne Kosten. – Und Monologe“, fährt Strunk fort, „sind doch eine Art Urform des Theaters: ein Schauspieler, der sich nicht ­hinter, sondern auf der Bühne verwandelt. Das Ganze braucht Tempo, das ich oft auf der Bühne vermisst habe, dazu Klang und Sprache.“

Von Stefan Zweig, sagt er, sei er seit Jahren besessen gewesen. Noch am ­Premierenabend habe er befürchtet, die über Schülergenerationen zertifizierte Nationalpretiose werde ihm, dem ­Deutschen, um die Ohren fliegen.

Zweig als Bekenntnis

Und dann diese explodierende Begeis­terung am Premierenabend, der noch dazu mit dem Termin der Nationalratswahl zusammenfiel! „Was ist denn die letzten 50 Jahre mit Herrn Zweig gewesen? Warum wurden seine Stücke nie gespielt? Wir haben uns gefragt, ob man in Österreich überhaupt wissen will, dass die größte Gestapo-Leitzentrale der Nazis 900 Meter vom Burgtheater auf dem Morzinplatz stand.“

Am Morgen nach der Premiere wurde er dutzendfach aufgefordert, das selbst komponierte Schlusslied „Europe is Lost“ gegen den Wahlausgang zu verwenden. Das wies er zurück: Nie würde er eine demokratische Wahl beeinspruchen. „Es kann mir ja nicht behagen, dass bestimmte Parteien Mehrheiten haben. Aber viele Kräfte vom Mitte-links-Bürgertum haben zu lang drauf bestanden, zu wissen, was man nicht soll. Und wo ist die Werbung für das Richtige? Die Begeisterung, die man ­wecken will für das, woran man glaubt? Die Klassenbesten“, fährt er fort, „gehen alle in die Privatwirtschaft. Dabei müssten wir wollen, dass die Begeisterten, die klugen Köpfe, in die Politik gehen.“ Seine Schwester, Politikerin an der ­grünen Basis im Problembezirk Berlin-­Lichtenberg, könne da etwas erzählen.

Wirtschaftsthriller im ZDF

Am Burgtheater bliebe er gern, zumal er in Wien familiär gebunden ist. Und ­ungeachtet der nun lockenden Karriere im Seriengeschäft: Ab März läuft Jan Schomburgs ZDF-Achtteiler „Die Affäre Cum-Ex“ über einen singulären Fall internationalen Steuerraubs, der auch den damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz und später Finanzminister Christian Lindner in Vertuschungsverdacht brachte: Banker, Anwälte, Unternehmer und Investoren hinterzogen nicht etwa Steuern. Sie ließen sich vielmehr Steuern, die sie nie entrichtet hatten, zurückzahlen. Und das in der Höhe von 28,5 Milliarden. Strunk spielt an der Spitze eines exquisiten Ensembles einen jungen Anwalt, Spezialist für „Steuer­optimierung“.

Strunk hat für die Rolle wirtschaftliche Winkelzüge gebüffelt, die bis heute keiner durchschaut. Als die Requisite anbot, das Diagramm für ein kompliziertes Steuermodell vorzufertigen, lehnte er ab und kritzelte das Schurkenstück selbst an die Tafel.

Die Lehre daraus? „Die Serie hat meine Wut auf die Politik der Union, leider auch der Sozialdemokraten, noch gesteigert. Die haben den Bürger nicht vor der Macht der Banken und Steuerräuber ­geschützt. Als Geld am billigsten war, haben die Finanzminister und die Kanzlerin entschieden, die schwarze Null sei wichtig. Damit wurde Generationen enorm viel kaputtgemacht. Jetzt ist Geld wieder teuer und wir werden über Generationen hoch verschuldet.“

Weiter zu drehen, wäre erwünscht, aber die Heimat bleibt das Theater, schon weil sich Netflix-Ruhm schnell in Luft auflösen kann. „Ich sage dem Theater eine große Zukunft voraus, wenn man es nicht gehörig verkackt. Menschen sind auf der Suche nach Begegnung. Die antike Idee, gemeinsam zu schweigen und sich auf eine Sache zu konzentrieren, ist großartig. Mir fällt kein anderer Ort ein, wo die Menschen ihre Handys ausmachen. Sogar bei Beerdigungen höre ich es klingeln“, übermittelt er auch dem nun geltenden Handyverbot an Schulen ein aufmunterndes Chapeau.

Zum Finale noch ein Kolloquium in halsbrecherischem Tempo? „Alle sagten mir immer, das Besondere am Film sei: Wenn Action gesagt wird, muss alles auf diese eine Sekunde gerichtet sein. Aber das machen wir im Theater ja jeden Abend ab 19.30 Uhr! Da sind wir doch die Spezialeinheit! Nur dass wir nicht nachdrehen können.“

Konnte er denn aus der Serie gar nichts mitnehmen? „Doch. Ich habe ein Faible für Anzüge gewonnen.“ Das sollte man nicht geringschätzen.

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 © Pedro Domenigg/ZDF

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/25 erschienen.

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