Mit seiner "Moonswatch" führt der CEO der Swatch Group, Nick Hayek, den Konzern in ein prognostiziertes Rekordjahr. Ein Jahr nach ihrer Markteinführung stehen noch immer weltweit Menschen stundenlang an, um die Uhr zu ergattern. Was hat Hayek richtig gemacht?
Steckbrief Nick Hayek
voller Name: Georges Nicolas Hayek
Geboren am: 23. Oktober 1954
Wohnt in: Zug (Schweiz)
Ausbildung: Marketing-Studium an der Universität St. Gallen (ohne Abschluss); Studium an der Filmakademie in Paris
Beruf: CEO der Swatch Group
Vater: Nicolas Hayek (1928 - 2010), Gründer der Swatch Group
Familienstand: verheiratet
Es war in der Zeit der ausklingenden Pandemie, als der Swatch-Boss nach neuen Ideen suchte. Spaß sollten sie machen und Raum für Provokation bieten, so Nick Hayeks Vision im Sommer 2021. "Alle rennen dem Luxus nach, die Produkte werden immer teurer, man bedient bald nur noch eine Elite. Das gefällt mir nicht", beschrieb er die Ausgangslage im Interview mit "Blick-TV" vergangenen Sommer.
Der CEO der Swatch Group gefällt sich als Enfant terrible der Schweizer Uhrenindustrie. Sein Büro am Hauptsitz des Unternehmens in Biel ziert eine Piratenflagge. An der Adresse Nicolas-G.-Hayek-Straße - zu Ehren von Hayeks Vater - wurde nach fünf Jahren Bauzeit 2019 eine der weltweit größten Holzkonstruktionen nach dem Plan des japanischen Stararchitekten Shigeru Ban fertig gestellt. Der auf maximale Nachhaltigkeit ausgelegte Bau soll der Zukunft der Schweizer Uhrenbranche eine Heimat geben. Der Einstand ist geglückt.
Der Uhrenkonzern, zu dem insgesamt 17 Marken, darunter prestigeträchtige wie Breguet, Glashütte, Harry Winston, Omega, Longines oder Rado, gehören, ist im Vorjahr trotz Krisen gewachsen.
Prognose: 2023 wird ein Rekordjahr für Swatch
Anfang 2023 ließ die Swatch Group wissen, dass sie den Umsatz 2022 um 2,5 Prozent auf 7,5 Milliarden Euro steigern konnte. In Europa, Amerika, dem Mittleren Osten und vielen asiatischen Märkten waren die Wachstumsraten sogar zweistellig. Für 2023 erwartet der Konzern ein neues Rekordergebnis.
Verantworten sollen es vor allem jene zweistellig wachsenden Märkte, aus denen seit elf Monaten Bilder von Warteschlangen vor einem der 180 weltweiten Swatch-Geschäfte kommen. Seit knapp einem Jahr stehen Menschen stundenlang an, um den neuesten Coup von Hayek und seinem Team, die "Moonswatch", kaufen zu dürfen. Über eine Million Stück des neuen Modells wurden seither erworben. Und der Hype hält an.
Potenzielle Käufer brauchen immer noch starke Nerven und Geduld - oder das nötige Kleingeld, um über einschlägige Börsen überteuert bei einem Wiederverkäufer zuzuschlagen. Zwar werden sämtliche Geschäfte regelmäßig mit neuen Uhren beliefert, doch die Nachfrage übersteigt das Angebot. Was auch den florierenden Wiederverkauf der "Moonswatch" auf Onlinebörsen wie StockX erklärt.
Das Erfolgsgeheimnis der "Moonswatch" ist als Spruch auf der Piratenflagge in Hayeks Büro zu lesen. "Brich die Regeln und provoziere", ist das Motto, das der Firmenchef gut sichtbar für alle Mitarbeiter angebracht hat. Das neue Swatch-Modell verkörpert es wie kein anderes seit der skandalösen Erfindung der Billiguhrenmarke in den 80er-Jahren.
Moonswatch: Ein Prestigeobjekt für jedermann
Die "Moonswatch" ist nichts anders als eine günstige, schicke Version des prestigeträchtigen Klassikers "Speedmaster" der Schwestermarke Omega. Die Tradition des Omega-Originals "Speedmaster Moonwatch" reicht bis ins Jahr 1957. Buzz Aldrin trug sie beim Mondspaziergang 1969.
Die Swatch-Version mit Original "Speedmaster"-Schriftzug und in gleicher Größe - 42 Millimeter Durchmesser, 13 Millimeter Dicke - unterscheidet sich durch das Material vom teuren Vorbild. So werden bei der "Moonswatch" Acrylglas und ein neuer Biokeramikkunststoff verarbeitet. Statt mechanischem Uhrwerk arbeitet eine Batterie. Die traditionelle Omega "Speedmaster Moonwatch" ist ab 6.700 Euro zu haben, die Swatch "Moonswatch" kostet 260 Euro und wird in elf Farben, benannt nach Himmelskörpern, angeboten.
Nick Hayek erreichte viele Ziele auf einen Schlag
Vorwürfe bewusster Verknappung der Uhr, um die Nachfrage hoch zu halten, schmettert Hayek ab. "Es gibt keine limitierte Auflage, die Uhr wird laufend produziert. Aber die Nachfrage ist so groß", sagt er. Dass die "Moonswatch" nur im Geschäft verkauft wird und nicht online bestellt werden kann, sei Hayeks Wunsch einer Aufwertung des Kauferlebnisses nach der Pandemie geschuldet, erklärt er: "Es ist die Chance, den stationären Handel wiederzubeleben. Die Leute wollen auch wieder rausgehen, die eigenen vier Wände verlassen, in realen Geschäften einkaufen. Es braucht nach der Pandemie wieder gemeinsame Erlebnisse."
Als weiteren Grund für die Umsetzung des revolutionären Modells nennt er die Einführung des neuen Werkstoffs Biokeramik. Das Material besteht zu 70 Prozent aus Keramik, zu 30 Prozent aus pflanzenbasiertem Kunststoff, bringt zwar die Leichtigkeit von Plastik mit sich, ist jedoch härter und nachhaltiger.
Die Luxusmarke profitiert von der Moonswatch
Letzten Endes profitiert selbst das luxuriöse Omega-Original vom Hype um die günstige Kopie. Denn wer es sich leisten kann, scheint statt der "Moonswatch" gleich die bis dato unter der Vielfalt der Luxusuhren dümpelnde "Speedmaster Moonwatch" zu kaufen.
Vom Original wurde laut Angaben von Konzernboss Hayek in den eigenen Geschäft über 50 Prozent mehr abgesetzt, seit die "Moonswatch" auf dem Markt für Wirbel sorgt. "Es wurde mir klar, dass eine Kollaboration von zwei Ikonen -"Speedmaster" von Omega und Swatch - einen Kulturschock auslösen kann. Das haben wir von A bis Z im Geheimen geplant und verwirklicht", sagt Hayek der "Schweizer Handelszeitung".
Ein Tabubruch der Uhren-Historie
Der Sohn des 2010 verstorbenen Swatch-Firmengründers Nicolas G. Hayek wiederholte mit seinem waghalsigen Manöver den disruptiven Kurs, der einst den Vater zum Erfolg geführt hatte. "Wir haben die Schweizer Uhrenindustrie gerettet", stellt Hayek über seine Familie fest.
Er übertreibt kaum. Dennoch verursachte der Vater einst einen Skandal, der orkanartigen Gegenwind der Branche entfachte. Man versteht ihn, wenn man auf die Historie und das Selbstverständnis der Schweizer Uhrenerzeuger blickt. Die eidgenössische Industrie dominierte mit teuren, präzisen, höchstwertig gearbeiteten Zeitmessern bis in die 50er-Jahre mühelos den Weltmarkt. Schweizer Uhren hatten den besten Ruf und galten weltweit als Wertanlagen, die in Testamenten angeführt wurden.
Die Einführung von US-Einweguhren der Marke Timex mit billiger Wegwerfmechanik sowie von Uhren mit Quarzwerken der Marken Seiko und Citizen wurden dennoch ab den 70er-Jahren zur Bedrohung des Schweizer Geschäftsmodells. Die neue Konkurrenz designte schicke, glamouröse Modelle in Gold und Silber, die nur noch einen Bruchteil kosteten und reißenden Absatz fanden. Traditionellen Schweizer Unternehmen widerstrebte diese Idee der Wegwerfuhren naturgemäß. Sie waren so gebaut, dass man sie nicht reparieren konnte - und damit diametral zum Schweizer Geschäftsmodell entworfen.
Der Tabubruch eines Schweizers Ingenieurs und die Strategie von Nicolas Hayek sollte alles ändern.
"Wir haben alle gegen uns gehabt"
Die größten Schweizer Uhrenhersteller standen Anfang der 80er-Jahre vor dem Konkurs, als Ingenieur Elmar Mock ohne Genehmigung seines Chefs eine Kunststoffspritzgussmaschine um sagenhafte 500.000 Schweizer Franken bestellte. Er träumte von einer neuen Generation hochwertiger Plastikuhren. Und wurde bald zum Chef Ernst Thomke bestellt, um sich für den Alleingang zu rechtfertigen.
Die Legende will es, dass Mock mit seinem Ingenieurskollegen Jacques Müller in dieser Notsituation kurz vor dem Cheftermin die erste Skizze der Uhr fertigte, die drei Jahre später, 1983, ihren Siegeszug um die Welt antreten sollte. Das Geheimnis lag in der billigeren Produktion durch die Reduktion der Bauteile auf 51. Das Uhrwerk wurde ins Gehäuse integriert, alles in einem Block montiert und verschweißt. Widerstandsfähig, aber irreparabel.
"Wir haben die ganze Belegschaft gegen uns gehabt", erinnert sich Mock im "Spiegel"-Gespräch. "Das Gehäuse aus Kunststoff zusammenzuschweißen, sodass es später nicht mehr repariert werden konnte, war ein Tabubruch." Obwohl sich Schweizer Uhrmacher anfangs weigerten, das Wegwerfprodukt anzubieten, wurde die Erwartung von 50.000 verkauften Swatch-Uhren im ersten Jahr um das Zehnfache übertroffen.
Aus "Suisse Watch" wird Swatch
Es war Nicolas Hayek, Nicks Vater, der den Weg gegen alle Widerstände ermöglichte. Der studierte Mathematiker und Physiker mit amerikanisch-libanesischen Wurzeln war ab 1980 als strategischer Berater des - erst später in Swatch Group umbenannten - Konzerns tätig. Ab 1986 bis 2010 verantwortet er als Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates der Swatch Group die innovativen Strategien und das schrille Marketing der Pop-Art-Uhr, das der gesamten Branche zur Renaissance verhelfen sollte. Aus der Uhr, für die das Kunstwort Swatch erfunden wurde - es steht für "Second Watch" sowie für "Suisse Watch" -, wurde dank geschickter Werbeinszenierung und Kooperationen mit Sport- und Musikevents ein Lifestyleprodukt. Zur Markteinführung in Deutschland überzeugte Hayek den Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank, eine riesige, funktionsfähige Swatch-Uhr auf dem höchsten Wolkenkratzer in Frankfurt aufhängen zu lassen. Swatch-Uhren wurden an ungewöhnlichen Orten verkauft wie die "Veggie-Linie" des australischen Künstlers Alfred Hofkunst auf Gemüsemärkten. Die Uhr wurde Modeartikel. Mit einer jungen Zielgruppe, für die Uhren zuvor Ausdruck verstaubten Lebensgefühls gewesen waren, wurde eine immens große neue Käuferschaft erschlossen.
Nick Hayek, Chef mit Film-Vergangenheit
Nick Hayek huldigt mit seiner Vermählung von Tradition und Moderne dem geistigen Erbe des Vaters. "Wir brauchen diese Geisteshaltung, dass wir nicht alles akzeptieren, wie es war, sondern den Mut haben, auch mal Risiken einzugehen. Es gilt, die Regeln zu brechen, um etwas Neues zu schaffen", sagt der Swatch-CEO zu "Blick-TV". Es helfe ihm auch, dass er als Quereinsteiger aus der Filmbranche gelernt habe, den Überblick zu behalten, beschreibt er.
Bevor er 1994 im Alter von 40 Jahren bei der Swatch Group anfing - zunächst als Marketingleiter -, hatte er an der Filmakademie in Paris studiert. Höhepunkt seines Schaffens als Regisseur ist der Film "Family Express" mit Peter Fonda in der Hauptrolle. Er wisse mitnichten alles besser, sagt der Mann hinter der "Moonswatch"."Wenn Sie einen Film machen, geht es nicht darum, mehr zu wissen, dann müssen Sie alle Fäden in der Hand halten." Wichtig sei der kreative Input: "Der Regisseur muss die Crew motivieren. Die Motivation geschieht über Lust, Spaß und Risikobereitschaft. Bei der 'Moonswatch' haben alle mitgezogen, weil sie begeistert waren und nicht zuerst an die Risiken gedacht haben."
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 04/2023 erschienen.