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Neue Burg in finsterer Glut

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©Lalo Jodlbauer
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Ab 5. September ist nachprüfbar, was der freundliche Schweizer Stefan Bachmann dem rauen Kärntner Martin Kusej hinterherschickt: Die neue Burg-Direktion eröffnet mit einer "Hamlet"-Paraphrase. Michael Maertens ist mittendrin.

So tief und drohend, in solch finster glühenden Farben hängen die Wolken über den Verworfenen und Verlorenen. Betörend schön ist das Bühnenbild, das Katrin Brack für den Einstands-"Hamlet" der neuen Burgtheaterdirektion gefertigt hat. Selbst giftige Skeptiker der postdramatischen Faschiermaschine halten beim Anblick der Szenenfotos kurz in ihren Vorurteilen inne. Dabei wird Shakespeares Text von der Regisseurin Karin Henkel mit aller Konsequenz in die Mangel genommen, ohne dass dem Haus bis Redaktionsschluss mehr als dramatische Flurfunkverlautbarungen zu entlocken gewesen wären.

Das journalistische Selbsthilfekommando landet fernmündlich in einem Park an der Loire, ein Schloss im Hinter-, zwei Bronzehirsche im Vordergrund. Michael Maertens, ein Atout der alten wie der neuen Direktion, vergönnt sich hier ein letztes Atemholen, ehe am 5. September mit dem dekonstruierten "Hamlet" die Direktion des Schweizers Stefan Bachmann eröffnet wird.

Was uns da nun tatsächlich erwartet? "Es hat sich", hebt die markante Stimme in kantenscharfem Norddeutsch an, "ja schon herumgesprochen, dass es eine Hamlet-Bearbeitung oder -Interpretation oder, wie Kritiker das gerne bezeichnen, postdramatische Zerstückelung wird. Es ist aber tatsächlich so, dass ich mich gerne dramatisch und inszenatorisch verführen lasse und mich das sehr interessiert, was wir da machen, und mir auch großen Spaß bringt."

Sofern im dramaturgischen Gebilde Rollen festgesetzt sind, verkörpert Maertens den Erzschurken Claudius, der seinen eigenen Bruder – Hamlets Vater – umgebracht hat, um sich selbst zum König zu machen. "Im Endeffekt spiele ich die Rolle, die mir vom Alter her zusteht", übt sich Maertens, 60, in der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit. "Eine faszinierende Rolle, und ohne mir selbst nahetreten zu wollen, habe ich den Verdacht, dass wir dem Hamlet sehr viel näherrücken als damals, als ich ihn zu meinem Einstand in Wien gegeben habe.

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 © Lalo Jodlbauer

Hamlet, das Trauma

In der Tat berührt er da einen Nervenpunkt. Direktor Klaus Bachler hatte den jungen Mann aus erprobter Hamburger Theaterfamilie 2002 an die „Burg“ geholt und ihm gleich den Hamlet überantwortet, inszeniert vom großen Brandauer, mit Johannes Krisch, Birgit Minichmayr und Maria Happel als Partner. Die Causa geriet zäh. "Mir ist ja im Leben vieles missglückt", zeigt sich Maertens retrospektiv kleinlaut, "und dieser Hamlet gehört sicher dazu." Wer jetzt der Dänenprinz ist, lässt sich auch mit mehreren Sätzen nicht beantworten. Jens Harzer, der mit riesiger Vorfreude erwartete Träger des Iffland-Rings, hat sich von der Produktion jedenfalls zurückgezogen.

"Es gibt mehrere Hamlets", holt Maertens aus. "Am Anfang trete ich als Claudius vor mein Volk, aber es erscheinen immer mehr Hamlets in dieser Szene einer glatten politischen Lüge. Da gibt es einen weiblichen Hamlet, einen männlichen, einen dicken, einen dünnen, insgesamt fünf. Und dann erleben wir doch eine selbstreflektierende, sehr gespaltene Persönlichkeit, die sich selbst immer wieder Fragen stellt und sie auch beantwortet."

"Sein oder Nichtsein", die bekannteste dieser Fragen, wird als Zitat über das Geschehen verteilt. "Wir nähern uns dem Stück mehr philosophisch und versuchen, die essenziellen Themen zu bearbeiten. Meiner 15-jährigen Tochter", kommt Maertens auf die junge Dame aus der mittlerweile beendeten Ehe mit Mavie Hörbiger, "würde ich diesen Hamlet durchaus als Einstieg empfehlen, um Anstöße zu bekommen und das Stück danach vielleicht zu lesen oder es in einer 'konventionelleren' Ausführung nochmal anzuschauen."

Es gibt einen weiblichen Hamlet, einen männlichen, einen dicken, einen dünnen, insgesamt fünf

Michael Maertens

Jens Harzers Verschwinden

Aber wo bleibt Harzer? Jedenfalls am Berliner Ensemble und nicht an der "Burg". Maertens erklärt sich für unzuständig. Harzer sei nach einer Leseprobe nicht wieder gesehen worden, habe über das Konzept aber genau Bescheid gewusst. Er habe sich allerdings um diese Zeit für Berlin entschieden und vielleicht nicht viele Stunden im Flugzeug verbringen wollen. Und wenn er einfach den Hamlet spielen wollte? Da zögert Maertens. "Ja, das kann sein, wobei er doch ein paar Jahre über 50 ist. Das geht für den Hamlet, muss aber nicht zwingend sein."

Ergiebiger lässt sich das Thema Shakespeare an. Gut 20 Produktionen des Briten habe er schon gespielt, sagt Maertens, und sich geschworen, keine mehr zu machen. Man habe da ja nichts, woran man sich halten könne, nur die leere Bühne und die herrliche Sprache. "Aber im Endeffekt braucht man auch nichts anderes: Die Bühne sind die Bretter, die die Welt bedeuten."

Ein Haus atmet auf

Themenwechsel. Wie ist die Stimmung vor dem Neubeginn? Entspannter als unter dem ungern scheidenden Martin Kusej? "Ohne da jemandem im Nachhinein in den Rücken fallen zu wollen, und es gab ja auch 15.000 Gründe, warum er es schwer hatte, bei Corona angefangen. Aber in der Innen- und Außenwahrnehmung waren die vergangenen fünf Jahre nicht die besten aller Zeiten. Da sind wir natürlich alle froher Hoffnung, dass die Ausstrahlung positiver, spannender wird und die Menschen wieder neugieriger werden. Da kommt ein Team, das sehr neugierig ist. Das merkt man auch in der Art und Weise, wie man mit dem Ensemble umgeht."

Das wurde dankenswert überschaubar dezimiert. Den Kollegen, Freund und Tennispartner Christoph Luser, soeben mit Riesenerfolg im neuen "Jedermann" aktiv, vermisse er allerdings schwer, hält Maertens fest. So viele Österreicher, noch dazu mit Präsenz und Glamour, verzeichne das Haus ja nun auch wieder nicht. Wie fühlt sich Maertens, der zu Amtsan - tritt des Direktors Matthias Hartmann bis zu fünf Neuproduktionen und Übernahmen jährlich spielte, jetzt aufgehoben? Er könne alles andere als klagen, freue sich auch schon auf seine zweite Saisonpremiere, Molières "Tartuffe" im Jänner. Inszeniert von Barbara Frey, die ihn zuletzt beim Aufbruch ins Schnitzler’sche "Weite Land" angeleitet hat, ins Reich des Ungesagten und des Zwischentons.

Den Molière’schen Heuchler hat er vor Jahren in Zürich gespielt, jetzt über - nimmt er dessen Opfer Orgon. Als Tartuffe ist Bibiana Beglau aufgeboten, so wie in dieser Saison, einer rätselhaften Präferenz folgend, Männer fast flächendeckend von Frauen gespielt werden.

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 © Lalo Jodlbauer

Friede mit Salzburg

Der Orgon, holt Maertens aus, wäre ihm schon seinerzeit lieber gewesen. Und dass der Tartuffe, der eingebildete Kranke, der Medienzar Holtrop, sogar der Liliom Frauen anvertraut werden? "Das ist der Zeit geschuldet, da müssen wir alte Säcke uns dran gewöhnen. Meine Tochter hat überhaupt kein Problem damit, ob da was zwischen den Beinen hängt oder nicht. Das ist ja nur eine Figur, und alles im Theater ist Vorstellung. Da geht es mehr um Ausstrahlung, Charisma, Faszination, Überführung in ein anderes Wesen."

Um die Schlussfrage kommen beide Gesprächspartner nicht herum. Maertens musste zuletzt als Opfer einer unzureichenden "Jedermann"-Inszenieung nach einem Sommer den Domplatz räumen. Hat er die Neuinszenierung mit Philipp Hochmair gesehen?

Der Monolog bedarf keiner Einwürfe. "Bisher nur auf Fotos, und ich beneide das Ensemble um den tollen goldenen Mercedes. Ansonsten habe ich nur Gutes gehört und werde es mir schon wegen Christoph Luser ansehen. Die Probleme waren lange nicht ausgeräumt, aber es wurde ausführlich drüber gesprochen, und jetzt ist es vorbei."

Zumal es, nach einer Nawalny-Lesung im vergangenen Sommer, 2025 in Salzburg wieder auf die große Bühne gehen dürfte. Für eine Koproduktion mit dem Burgtheater, ein weiteres Indiz für entspannte Umstände.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2024 erschienen.

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