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Naomi Campbell - das lauteste der Supermodels

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Naomi Campbell

©Marco Bahler
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Erstmals widmet das Londoner Victoria and Albert Museum einem Model eine Soloausstellung. Mehr als 100 Exponate illustrieren Naomi Campbells Aufstieg zur Ausnahmeerscheinung im Quintett der Supermodels. Vier Jahrzehnte in der Modebranche stählten sie zur Aktivistin. Im Kampf für Diversität beobachtet sie große Rückschritte

Die Karriere der 54-jährigen Britin gleicht einem spektakulären Tête-à-Tête mit den legendären Designern der jüngeren Modegeschichte. Naomi Campbells Leben folgt dem 80er-Jahre-Narrativ vom amerikanischen Traum, wiewohl ihrer im Süden Londons begann. Dort wuchs sie als Tochter einer jamaikanischen Balletttänzerin ohne Vater auf. Sie war 15 Jahre alt, als sie beim Shoppen in Covent Garden von Modelagentin Beth Boldt entdeckt wurde.

Als Tänzerin hatte sie in Videos von Bob Marley und Culture Club Erfahrung mit Rampenlicht gesammelt. Ihr Bühne wurden jedoch die Laufstege und Magazincovers der Fashionwelt, die in den 90er-Jahren Hand in Hand mit der Popkultur zum massentauglichen Entertainment und Sehnsuchtsort avancierten. Im Alter von 17 Jahren bezog Campbell mit Kollegin Christy Turlington ein Apartment in New York.

Er wollte uns zusammen in der Show. Gage plus Concorde-Flug war der Deal

Naomi Campbell
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Supermodel dank Thierry Mugler. Sein Bustier aus der Kollektion "Roulé Comme une Buick" 1989 (Drive Like a Buick) ist einer der denkwürdigsten Looks, die Campbell für Mugler trug. Der Designer half, sie mit Cindy Crawford, Linda Evangelista, Christy Turlington und Tatjana Patitz zur Superstar-Riege aufzubauen

 © Courtesy Vivienne Westwood. Photo Victoria and Albert Museum, London

Sie war 18 Jahre alt, als Gianni Versace sie nach Mailand holte. Ein Jahr später lancierte Thierry Mugler das Supermodel-Quintett der 90er-Jahre: Naomi Campbell, Cindy Crawford, Christy Turlington, Linda Evangelista und Tatjana Patitz. "Er wollte uns alle zusammen in seiner Show. Der Deal war die Gage plus Flüge in der Concorde", erzählt Campbell in der Ausstellung im Londoner Victoria and Albert Museum über die Geburtsstunde der Supermodels.

Botschafterin für Diversität

In der Riege der Model-Hochkaräter – damals eine der raren Branchen, in denen Frauen höhere Gagen als Männer kassierten – erlangte Campbell eine Ausnahmestellung. Sie schrieb Geschichte, als sie im August 1988 als erstes schwarzes Model auf dem Cover der französischen Vogue erschien. Den historischen Moment führt sie auf die Unterstützung des französischen Designers Yves Saint Laurent zurück sowie auf die Meilensteine, die Vorreiterinnen wie Dorothea Towles, Bethann Hardison oder Iman als erste Models of Colour auf Laufstegen und Magazincovers gesetzt hatten.

Campbell schaffte es auch als erstes schwarzes Model auf das Titelblatt des Time Magazins sowie auf die russische und britische Vogue. Sie präsentierte Kollektionen von Chanel, Azzedine Alaïa, Christian Dior, John Galliano, Karl Lagerfeld, Vivienne Westwood, Versace und Kampagnen für Burberry, Prada, Versace, Chanel, Dolce & Gabbana, Marc Jacobs, Louis Vuitton, Yves Saint Laurent und Valentino. Auftritte in Musikvideos und als Autorin eines biografischen Romans sowie ihr eigenes Parfüm verbreiterten ihren Superstarstatus.

Nun ist sie das erste Model, dem das Victoria and Albert Museum eine Solo-Ausstellung, "NAOMI: In Fashion", widmet. Bei der Ankündigung betonte die Protagonistin den hohen Stellenwert, den ihr Kampf für Diversität in der Modebranche, für sie immer gehabt habe.

"Gute Fee" und Afrika-Aktivistin

Kurator Sonnet Stanfill vom Londoner Victoria and Albert Museum (V&A) zeigt Campbells prägenden Einfluss während der letzten vier Jahrzehnte in der Fashionindustrie anhand von rund 100 Looks und Accessoires. Dazu kommt eine vom Ex-Chefredakteur der britischen Vogue, Edward Enninful, kuratierte Sonderschau mit Fotos von Lichtbildnern wie Steven Meisel, Patrick Demarchelier oder David Bailey.

"Naomi Campbells außergewöhnliche Karriere überschneidet sich mit dem Besten, was die Modewelt zu bieten hat", so Stanfill, leitender Kurator für Mode im V&A. "Sie ist weltweit als Supermodel, Aktivistin, Philanthropin und kreative Mitarbeiterin berühmt, was sie zu einer der produktivsten und einflussreichsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Kultur macht."

Campbells Rolle als Aktivistin webt Stanfill gekonnt durch die Ausstellung. Bereits 1989 – ein Jahr nach ihrem Aufstieg – trat das Supermodel der von Bethann Hardison gegründeten Organisation Black Girls Coalition bei, die bis heute People of Colour in der Modelbranche unterstützt. 2007 war Campbell das Gesicht der "Black Issue" der italienischen Vogue.

In den vergangenen zehn Jahren machte sie sich als Unterstützerin afrikanischer Designer, wie Kenneth Ize und Tiffany Amber aus Nigeria oder Thebe Magugu und Rich Mnisi aus Südafrika, einen Namen. Seit 2018 ist sie für die ARISE Fashion Week im nigerianischen Lagos aktiv. Dort traf sie 2018 Kenneth Ize und verhalf ihm zum Debüt bei der Pariser Fashionweek 2019. "Naomi hat das möglich gemacht. Sie ist meine gute Fee", schwärmt Kenneth Ize. Das Victoria und Albert Museum zeigt den rot-grünen Mantel aus handgewebtem Stoff, hergestellt von den Yoruba im Südwesten Nigerias, den Campbell zum Finale seiner Show trug.

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AFRIKA-ENGAGEMENT FÜR KENNETH IZE. Der nigerianische Designer debütierte 2020 bei der Paris Fashion Week, Campbell bestritt das Finale seiner Show in diesem Mantel (links). FUNKELN IN MCQUEEN. Sarah Burton entwarf die kristall- und perlenbesetzte Robe für Alexander McQueen (2. v. li.), Campbell trug sie 2019, als ihr der Fashion Icon Award. STURZ BEI WESTWOOD. Im Jahr 1993 stürzte Campbell bei der Vivienne-Westwood-Schau am Laufsteg in über 21 cm hohen Plateaus

 © 2024 Dave Benett/Getty Images

"Die Mode macht Rückschritte"

Als Aktivistin sei sie bis heute gefordert, sagte Campbell der "Times". Wenn sie aktuelle Fashionshows auf sich wirken lasse, spüre sie "große Nervosität". "Wird die Diversität Bestand haben? Das ist eine Frage, die mich nervös macht, denn ich fürchte die Branche macht gerade große Rückschritte, was das betrifft", sagte Campbell der "Times". "Meine Arbeit ist nicht getan. Ich habe das Gefühl, dass ich laut bleiben muss im Kampf für Diversität."

Mutter-Sein, Verlust und Krisen

Die Arbeit an der Ausstellung habe sie sehr gefordert, gab die zweifache Mutter und Alleinerzieherin zu. Im Jahr 2021 wurde Naomi Campbell Mutter einer Tochter, vor einem Jahr kam ihr Sohn zur Welt. Während die Namen der Kinder und deren Vater unbekannt bleiben, bestätigte sie nach Gerüchten über eine Leihmutterschaft gegenüber der "Times", die Kinder nicht selbst zur Welt gebracht zu haben. "Die Kinder haben für mich 110 Prozent Priorität. Ich muss am ersten Schultag für sie da sein", so Campbell.

Zweimal sei sie unter dem Druck, das Lebenswerk in eine Solo-Schau zu packen, weinend zusammengebrochen, beschreibt sie. Erinnerungen an tragische Geschichten kamen zu Tage. Ihr Wegbegleiter Alexander McQueen, der sie 1997 in seiner ersten Show für Givenchy über den Laufsteg schickte, nahm sich 2010 im Alter von 40 Jahren das Leben. Ihr enger Freund John Galliano, 63, verlor sein Lebenswerk, nachdem er 2011 in Paris in volltrunkenem Zustand Restaurantgäste mit antisemitischen Aussagen beleidigt hatte und gerichtlich verurteilt worden war. "Es gibt die sehr private Seite meines Lebens, die niemand kennt. Diese Arbeit war für mich, wie die Büchse der Pandora zu öffnen", beschreibt Campbell in der "Times".

Nach der Show gab Gianni immer ein Dinner. Ich trug dieses Laufsteg-Kleid

Naomi Campbell
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Im Alter von 18 Jahren traf Campbell Gianni Versace und wurde für die Frühling/Sommer-Show 1991 in Mailand gebucht, die ihren Superstar-Status festigte.

 © 1991 George Rose/Getty Images
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Versace-Kleid in der Ausstellung

 © Courtesy VERSACE. Photo Victoria and Albert Museum, London

Stürze als Teil ihres Lebens

Die Anekdote aus ihrer Jugend, als ihr die Reiseschecks gestohlen wurden und ihr Azzedine Alaïa anbot, bei ihm und seinem Partner zu wohnen, gehört auch zu den privaten Einblicken. Alaïa bat damals überkorrekt Campbells Mutter um Erlaubnis und eine wunderbare Freundschaft begann.

Auch Campbells legendärer Sturz in 21-Zentimeter-Plateaus am Laufsteg für Vivienne Westwood wird im Museum thematisiert. "Der Sturz ist ein Teil von mir, also stehe ich dazu. Menschen machen Fehler", so Campbell. Nach der Episode baten sie zahlreiche Designer, in ihren Shows ebenso zu stürzen, um auch in die Schlagzeilen zu kommen, so eine weitere Erinnerung.

Beleuchtet werden auch Krisen in Campbells Karriere. Die erste aus dem Jahr 2007, als sie in New York zu fünf Tagen gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde, nachdem sie ein Telefon nach ihrer Angestellten geworfen hatte. Ein Jahr später wurde sie nach einem Wutausbruch und Attacken auf die Polizei in einem Flugzeug in London zu 200 Stunden Sozialdienst verdonnert. Damals war ihr Gepäck verloren gegangen. "Wichtig war für mich, nach dem Sturz wieder aufzustehen", sagte Campbell zum Hinfallen bei Westwood. Ein Satz von allgemeiner Gültigkeit.

"NAOMI: In Fashion" im Victoria and Albert Museum, London, 22. Juni 2024 bis 6. April 2025

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25+26/2024 erschienen.

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