Mein Abschied nach zwölf Jahren an deiner Seite: Vatikan-Experte und Bestseller-Autor Andreas Englisch sagt dem Papst, dem er besonders nahestand, Adieu.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass du weißt, woran ich denken musste, als sie dich, Papst Franziskus, am Ostersonntag auf die Benediktionsloggia des Petersdoms in deinem Rollstuhl geschoben haben. An unseren Streit darüber, ob du ein Kämpfer bist, habe ich in diesem Augenblick gedacht. Damals wollteste du mich sprechen in deinem Dienstflugzeug und mir schwante Böses. Du warst ziemlich sauer. Mein Buch „Der Kämpfer im Vatikan“ war auf Platz eins der Bestsellerliste geklettert und irgendwer hatte es dir gesagt. „Zeig mal das Buch“, hast du gesagt und dann empört auf den Umschlag getippt: „Ich soll ein Kämpfer sein? Was schreibst du denn da? Ich bin ein Priester, kein Kämpfer.“
Du hast die ganzen langen zwölf Jahre in deinem Pontifikat gehofft, nicht kämpfen zu müssen. Du hast immer auf den guten Willen der Politiker und die Zuneigung der Gottesmänner im Vatikan gebaut, aber es kam anders. Jahre später hast du mich wieder in deinem Dienstflugzeug zur Seite genommen und gesagt. „Du hattest recht. Es ist ein Kampf, und der ist sehr schwer.“
Dein letzter Kampf
Zu Ostern habe ich deinen letzten Kampf gesehen. Er fand vor Millionen Zuschauern statt, als du den Urbi et Orbi Segen spenden musstest. Er bestand darin, dass deine Stimme es schaffen musste, zweimal vier Wörter zu sagen, und jedes einzelne von ihnen türmte sich vor dir auf wie ein gewaltiger Berg. „Benedicat vos omnipotens Deus“ musstest du sagen, es segne euch der allmächtige Gott. Aber deine Stimme schaffte das vierte Wort „Deus“ nicht mehr. Für das Wort für Gott hatten deine Lungen keine Luft mehr. Aber du hast nicht aufgegeben und hast weiter gekämpft um die letzten vier Worte, „Vater, Sohn, Heiliger Geist“ herauszupressen. Es waren deine letzten in der Öffentlichkeit. Aber du hast es tatsächlich geschafft, sie alle zu sagen, bevor du gegangen bist. Für immer.
Natürlich kann ich mich daran erinnern, als ich dich, Jorge Mario Bergoglio, zum ersten Mal gesehen habe. Ich war im Mai 2007 im Gefolge von Papst Benedikt XVI. nach Aparecida in Brasilien gekommen und da warst du, der traurige Bischof aus Buenos Aires, der bei diesem Besuch des Papstes als der große Gegenspieler der Mannschaft um Joseph Ratzinger galt. Die Mitglieder deiner Lateinamerikanischen Bischofskonferenz CELAM wollten sich nicht von den Machthabern aus dem Vatikan bevormunden lassen. Der Versuch, ihnen aufzuzwingen, was sie in ihrer Heimat in Lateinamerika tun sollten, empörte sie und vor allem einen von ihnen, dich.
Dass du es zum 265. Nachfolger des Heiligen Petrus schaffen könntest, schien damals aberwitzig. Ich war nicht der Einzige, der es nicht fassen konnte, als du tatsächlich dort auf der Benediktionsloggia des Petersdoms standest, als Papst der katholischen Kirche und du hast sofort gehandelt.
Dein Besuch auf Lampedusa
Dein Besuch auf der Insel Lampedusa kurz nach deiner Wahl, wo du den Begriff des Mittelmeers als Massengrab geprägt hast, machte dich schlagartig zum stärksten politisch engagierten Papst der modernen Geschichte. Die Katholiken der Welt waren auf der Stelle in zwei Lager gespalten: für dich oder gegen dich. Wer dabei helfen wollte, den Millionen Flüchtlingen eine sichere Zukunft zu gewähren, war auf deiner Seite. Wer das ablehnte, war gegen dich. Damals habe ich zum ersten Mal mit dir nach deiner Wahl zum Papst gesprochen. Ich war aufgeregt und sprach dich mit deinem neuen Titel an, „heiliger Vater“. Du nahmst mich einfach in den Arm und sagtest: „Wie geht es denn so, heiliger Sohn?“
Dann hast du mir gesagt. „Wir werden genau dorthin reisen, wo alle anderen wegsehen.“ Genau das haben wir getan. Wir haben ertrunkene Kinder gesehen, Frauen und Männer, die Fischer aus ihren Netzen im Mittelmeer holten und sie wieder ins Wasser warfen, um nicht mit der Küstenwache reden zu müssen. Wir haben Menschen gesehen, die sich durch die Sahara schleppten und in den Gefängnissen Nordafrikas vergewaltigt und jeder menschlichen Würde beraubt wurden. Menschen, die in Ländern wie Mosambik starben, weil sie sich die Medikamente nicht leisten konnten, die sie vor dem Tod durch das Aids-Virus bewahrt hätten. Tausende Christen, die aus Mosul im Irak vor den Mörderbanden des IS nach Erbil flohen, wo sie ohne jegliche Hilfe von den Abfällen auf den Märkten lebten. Die Bilder der ersten heiligen Kommunion ihrer Kinder versteckten sie sorgfältig, aus Angst, den freiwilligen Wärtern an den Eingängen ihrer Slums könnte es doch nicht gelingen, die Kämpfer des IS aufzuhalten.
Du hast nie aufgegeben
Das alles wolltest du sehen und versuchen zu helfen. Wir in deinem Gefolge hielten das für verrückt. Was bitte sollte ein Papst bewirken, wenn nicht einmal eine Friedensnobelpreisträgerin, San Suu Kyi, Oberhaupt dieses Staates Myanmar, in der Lage war, die Massenmorde zu stoppen? In all den Jahren, in all diesen Ländern, die wir mit dir bereist haben, hat mich eines am meisten beeindruckt. Du hast nie aufgegeben, selbst wenn es völlig aussichtslos schien. Ich erinnere mich an den Moment, als du in Dhaka in Bangladesch Familien der Rohingya in den Arm genommen hast, die dem Massaker in Myanmar entkommen waren. Das war nur eine Geste, mehr nicht. Du sagtest: „Wenn all diese Menschen wissen, dass ich sie wenigstens nicht vergessen habe, dass ich weiß, was hier geschieht, dann ist das ein Anfang.“
Dann hast du in der Kirche losgelegt. Menschen, die in einer katholischen Kirche geheiratet hatten, geschieden wurden und wieder heirateten, wolltest du nicht mehr aus der Kirche werfen. Statt sie als notorische Ehebrecher in einer neuen Liebesbeziehung zu sehen, galt für dich: Gott würde ihnen zweifellos vergeben. Das Ergebnis war ein wütender Proteststurm, angeführt von einem Mann, der sich emeritierter Papst nannte, Benedikt XVI., und der das Sakrament der Ehe bedroht sah. Als erster Papst der Geschichte hast du homosexuelle Menschen um Vergebung gebeten, für das, was deine katholische Kirche ihnen angetan hat. Dein Vorgänger Papst Johannes Paul II. hatte die Gay Pride im Jahr 2000 noch als Beleidigung der Kirche gesehen. Du hast gegen gewaltigen Widerstand durchgesetzt, dass homosexuelle Paare ein Recht auf den Segen eines Priesters haben.
Meine Welt wird ohne dich leerer sein und ich versuche, mich mit einem Gedanken zu trösten: Dass ich so stolz sein kann, dass ich dabei sein durfte.


Das Buch
„Das Vermächtnis von Papst Franziskus“ – die erhellende Analyse der Amtsjahre eines unvergleichlichen Papstes. Von unserem Autor Andreas Englisch
C. Bertelsmann, € 25,95
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/25 erschienen.