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„Monster’s Paradise“: Trump als tödlicher Kasperlkönig

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16 min

©Martin Vukovits/News
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Die Hamburger Oper gibt eine Sensation bekannt, und News weiß die Einzelheiten: Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth schreiben nach 23 Jahren wieder eine gemeinsame Oper. Im apokalyptischen Kasperlspiel sind sie selbst die Vampiretten, die den nach der amerikanischen Realität porträtierten König/Präsidenten mit Unterstützung eines Gegenmonsters ausschalten.

„Überspitzt gesagt“, so formuliert Tobias Kratzer und rechtfertigt im selben Atemzug die Wortwahl, sei er nur deshalb Intendant geworden, um als „langjähriger Fan“ ein Werk von Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek in Auftrag geben zu ­können. „Ich habe mich direkt am Tag nach meiner Vertragsunterzeichnung mit Olga Neuwirth, die ich zuvor gar nicht persönlich kannte, in Verbindung gesetzt.“

Das Resultat der Mühewaltung steht im Zentrum von Kratzers erster Saison als Intendant der Hamburgischen Staatsoper: Am 1. Februar 2026 wird „Monster’s Paradise“ uraufgeführt, die dreieinhalbte Gemeinschaftsarbeit ­zwischen der Nobelpreisträgerin und der weltweit gefragten österreichischen Komponistin (wenn man ein Miniopern-Projekt aus der gemeinsamen Frühzeit einrechnet). Dass der Chef selbst inszeniert, ist selbstverständlich. Und sollte die Welt dann noch stehen, wird das Werk böse auf dem Punkt sein.

Trump als Operngestalt

Als „Grand Guignol Opera“ hat Olga Neuwirth das Werk in die Gattungs­geschichte eingetragen, nach einem im 19. Jahrhundert in Frankreich blühenden Kasperltheater für Erwachsene. Kratzer: „Also ein sogenanntes ,niederes Genre‘, das den Kern der Sache mehr trifft als ein klassisches Melodram.“

Zwei Vampiretten blicken da auf die dem Untergang entgegentaumelnde Welt. „Vampi und Bampi“, wohl Avatare Jelineks und Neuwirths selbst, versuchen, „weil’s eh schon wurscht ist“, noch etwas aufzuhalten. Und dieses Etwas ist eine Person, der „König/Präsident“. ­Elfriede Jelinek hat das monströse Vorbild schon 2017 in der Theatergroteske „Am Königsweg“ der Kenntlichkeit überantwortet. Dabei agierte es damals noch in grenzzivilisierten Umständen, wohingegen es jetzt im Begriff ist, die reale Weltkatastrophe auf den Weg zu bringen.

Elfriede Jelinek auf Anfrage: „Ja, der König trägt, man kann es nicht leugnen, eindeutige Züge Trumps, angelehnt an Jarrys König Ubu, der für mich die treffendste Zeichnung eines verfressenen, mit dem Besteck auf den Tisch klopfenden bösen Kindes ist. Er kriegt ja auch immer eine Kugel Eis mehr als alle andren zum Dessert. Darauf legt er Wert. Natürlich gibt es in der Literatur Muster für ­solche Monster, die zwar etwas Putziges an sich haben, doch wenn man sie näher anschaut, stockt einem der Atem. Man kann sie nur monströs überzeichnen, obwohl man jemand wie Trump eigentlich gar nicht karikieren kann.“

„Putin ist Dreck und Feuer“

Dem Monster kann nur ein Gegenmonster Einhalt gebieten: Gorgonzilla ist das, aus einer Reaktorkatastrophe geboren und auf einer einsamen Insel seiner eigenen Agenda folgend. Kratzer: „Man kann das auch dialektisch sehen: Ist das Ungeheuer gut oder ungeheuer böse, Retter der Menschheit oder Vollender ihrer Vernichtung? Vielleicht ist ja der König auch Putin und Trump Gorgonzilla? Oder umgekehrt? Was bedeutet es für die Welt, wenn nur noch ein Monster ein Monster besiegen kann?“

Und Elfriede Jelinek in obligat alter Rechtschreibung: „Gorgonzilla ist der Gegenspieler, der aber auch Züge des Monsterkönigs trägt. Nein, Putin ist das nicht. Putin ist eine Spottgeburt von Dreck und Feuer aus einer so tiefen ­Hölle, daß nicht einmal mehr das Feuer die Wände erhellen kann. Nein, Gott ­Zilla ist eine Art Weltenretter, etwas ungeschickt, weil Monster ja meist sehr groß und unförmig sind, aber er ist schon eher eine positive Figur, der die Zerstörung der Welt durch die Menschen sieht, aber natürlich auf seinem Eiland davon verschont bleibt. Er sagt, er herrsche durch seinen Geist, der ­König (Präsident) aber durch Wahl­ergebnisse. Da machen sich sicher beide Illusionen. Aber in einer Welt, in der ­Klimakleber und andre engagierte junge Leute nur noch verachtet, verspottet und gehaßt werden, müssen Monster wahrscheinlich so auftreten. Wo man sich an die atomare Bedrohung gewöhnt hat, können nur noch Monster die Welt noch retten. Oder auch nicht.“

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Operngeschichte: Olga Neuwirth (li.) und Elfriede Jelinek im bis dato letzten gemeinsamen Foto, von Martin Vukovits 2003 für News gefertigt. Ein Jahr später erfolgte mit dem Nobelpreis Jelineks Rückzug.

 © Martin Vukovits/News

Olga Neuwirth, Weltstar

Das Libretto ist fertig, Olga Neuwirth an der Arbeit. „Ihre Opern haben das Musiktheater neu definiert“, greift Kratzer in die Saiten wie der Minnesänger Tannhäuser, den er ins Bayreuther Festspielhaus gestellt hat. „Die historische Nachwirkung Olga Neuwirths auf die Opernkunst ist noch nicht einmal ­erahnbar. Ihre Werke stehen für unsere Epoche wie ,Fidelio‘ für den Beginn des 19. Jahrhunderts. Ich zitiere bewusst ,­Fidelio‘ als Rettungsoper, denn auch ,Monster’s Paradise‘ könnte man als eine solche lesen, aber halt nicht als Utopie, sondern eher in einem dystopischen Sinne. So weit würde ich gehen.“

Tatsächlich vermengt sich in Neuwirths Schaffen scheinbar Unverein­bares zu einem neuen Universum: Sie durchrast ironisch die Musikgeschichte vom Barock bis zur Populärkultur und überschreitet dabei mit Dissonanzen und monumentalen Clustern die ­Gesetze auch der elektronischen Avantgarde.

In den Jahren 2021 und 2022 empfing sie die höchstmöglichen Auszeichnungen der Musikwelt. Erst den israelischen Wolf Prize, dann, geteilt mit Stevie ­Wonder, den amerikanischen Grawemeyer Award, beide mit je 100.000 Dollar dotiert. Prognostizierbar, beinahe schon schicksalhaft folgte da der deutsche ­Siemens-Preis, 250.000 Euro schwer und allseits als Nobelpreis der Musik ausgewiesen. Olga Neuwirth rückte damit, um die Dimensionen auszumessen, in die Nachfolge Brittens, Karajans, ­Boulez’, ­Ligetis, Pollinis und Harnoncourts. Ihre Werke werden nahezu unausgesetzt ­zwischen New York, Paris, Berlin und ­anderen Metropolen gespielt.

So entsteht Musik

Dass „Monster’s Paradise“ in Venedig entstehen sollte, dem Sehnsuchtsort der Kindheit an der steirischen Grenze zu Italien, war vereinbart und wird nun durch herausfordernde familiäre Umstände durchkreuzt.

Also sind die Idealzustände, soweit eben möglich, daheim herzustellen, am Wohnsitz Wien, wo sie an der Musik-Uni lehrt. „Am besten komponiere ich in ­einer Wohnung, in der ich Ruhe habe, um mich konzentrieren zu können, um nach Stunden langer Arbeit am Schreibtisch in frischer Luft spazieren gehen zu können, um das Hirn auszulüften. Am liebsten an einem Ort am Wasser. Für elektronische Arbeiten in meinem Studio oder in professionellen Studios“, beschreibt sie das kreative Wunschambiente.

Die 78-jährige Literaturnobelpreisträgerin, die sich im Einfamilienhaus an der Hütteldorfer Peripherie, dem Wohnsitz seit Jugendjahren, jeglicher Öffentlichkeitszumutung entzieht, ist heute die vielleicht einflussreichste Dramatikerin Europas, sicher des deutschen Sprachraums.

Olga Neuwirth, Tochter des steirischen Jazzpianisten Harry Neuwirth, ist um eine Generation – 22 Jahre – jünger als die Lebensfreundin und schon habituell ihr Gegenteil: Heftig aufbrausend Gehör gegen die Ungerechtigkeiten der Kunstwelt und der Welt drumherum fordernd, hat sie sich zu Zeiten, da noch Clara Schumann für die letzte namhafte Komponistin gehalten wurde, einen Platz in der Musikgeschichte reserviert.

Elfriede Jelinek war da Pendant und Gegenentwurf in einem. „Eine wunderbare, treue Begleiterin in menschlichen und künstlerischen Belangen seit über 40 Jahren“, sagt Olga Neuwirth. „Ich bewundere sie, seit ich mit 15 ,Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr‘ gelesen hatte.“

Die Arbeit mit der graduierten Organistin begann 1989 mit zwei „Miniopern“, setzte sich in den Neunziger­jahren mit „Bählamms Fest“ ins Horror- und 2002 mit „Lost Highway“ nach David Lynch ins Thriller-Genre fort.

„Putin ist eine Spottgeburt von Dreck und Feuer aus einer so tiefen Hölle, daß nicht einmal das Feuer die Wände erhellen kann“

Elfriede Jelinek
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"Orlando“, ein Auftragsstück der Wiener Staatsoper an Olga Neuwirth aus dem Jahr 2019, wurde von der neuen Direktion nicht übernommen

 © Bild: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Der Wurst-Skandal

Dann sollte sich endlich auch in der österreichischen Heimat, in der Elfriede Jelinek von braunen Kretins bepöbelt und Olga Neuwirth ignoriert wurde, Entscheidendes anbahnen: Der eben bestellte Intendant der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka, gab für das Mozart-Jahr 2006 einen Gegen-„Don Giovanni“ in Auftrag. Wie das Projekt scheitern konnte, blieb bis heute ungeklärt. Offiziell waren Kostengründe verantwortlich, in Wahrheit befürch­tete man einen Skandal von festspielsprengender Vehemenz: „Hans W.“, ­Titelheld des projektierten Werks, war nicht etwa der Kasperl, sondern der einst verehrte Klagenfurter Kinderarzt Franz Wurst, der am Ende als multipler Päderast und Notzüchter einsaß. ­Wiens Staatsoperndirektor Ioan Holender wollte übernehmen und verabredete sich dazu mit Ruzickas Vorgänger ­Gerard Mortier, der mittlerweile Intendant in Paris war.

Doch auch diese Virtuosen der präzise gesetzten öffentlichen Erregung schraken vor dem bereits fertigen ­Libretto zurück: Man wolle nicht ein von Ruzicka den Damen „eingeredetes“ Textbuch zweifelhafter Qualität übernehmen, zumal das Thema Pädophilie „total ausgeschöpft“ sei. Gern werde man dafür mit der Komponistin über eine Oper zum Nazi-Euthanasiepsychiater Heinrich Gross sprechen (dazu kam es nie).

Die klassische Musikwelt ist weiterhin eine männlich dominierte. Schon früher sagte ein Regisseur zu uns, als Valie Export die Bühne machen sollte: ,Drei Frauen sind zu viel

Olga Neuwirth

Nie wieder Oper

News brachte die Causa im Juni 2004 an die Öffentlichkeit, und Elfriede Jelinek wurde bei dieser Gelegenheit deutlich: „Ich will das Wort Oper nicht mehr ­hören. Wenn es einer in meiner Nähe ausspricht, ohrfeige ich ihn. Und wenn ich es in der Nähe von jemandem ausspreche, darf derjenige mich ohrfeigen.“ Ein halbes Jahr später wurde ihr der Nobelpreis überantwortet.

Und jetzt? „Ich habe mir geschworen, nie wieder eins zu schreiben. Aber mit der Olga zusammen mach ich das ­natürlich. Ich hätte es nicht für jemand anderen getan. Es ist, bedenkt man mein ­Alter, sicher das letzte Mal, daß es ­Gelegenheit dazu gibt.“

Olga Neuwirth: „Dass wir wieder mitsammen arbeiten, haben wir einzig und allein Tobias Kratzer zu verdanken. Aber es lag nicht an uns: Es wurde über 25 Jahre lang verhindert, indem man uns hergenommen und wieder weggestellt hat. Die klassische Musikwelt ist weiterhin eine männlich dominierte. Wie sagte doch ein Regisseur bei einer Besprechung 2002, als auch noch Valie Export das Bühnenbild machen sollte für ,Lost Highway‘: ,Drei Frauen sind zu viel.‘“

Womit sie sachte auf ein weiteres noch nicht planiertes Konfliktfeld lenkt: Die Wiener Staatsoper brachte 2019, in den Schlussminuten der Direktion ­Dominique Meyer, Neuwirths furioses Auftragswerk „Orlando“ (mit anderer Librettistin) zur Uraufführung. Die ­Erfolgsproduktion erlebte fünf Aufführungen und wurde von Meyers Nach­folger Bogdan Roscic nicht wieder ins Programm genommen.

Kratzer hingegen kooperiert von Hamburg aus mit Zürich und einem anderen maßgeblichen Haus. „Diesen drei Institutionen für die neue Oper bin ich äußerst dankbar“, sagt Olga Neuwirth. „Denn: Sie glauben an mich. Im Gegensatz zur Staatsoper.“

Wenn das nur kein Cliffhanger für ein größer besetztes Ohrfeigenstück ist.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.10/2025 erschienen.

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