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Michael Mittermeier: Der Comedian und sein Endgegner

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Der bayrische Comedian Michael Mittermeier wuchs streng katholisch auf. Nachdem seine Frau und er vier Kinder verloren, ging er mit der Kirche hart ins Gericht. Zur Audienz beim Papst fuhr er trotzdem – mit Humor als wichtigstem Verbündeten. Im neuen Programm erzählt er davon.

„Ich bin ein zerrissener Katholik. Wenn du vier Kinder verlierst, ist es nicht so, dass du zum ,Lieben Gott‘ betest“

Stimmt es, dass Sie als einziger von 105 Comedians den Papst bei einer Audienz zum Lachen gebracht haben?

Das war meine Prämisse. Zumindest ab dem Moment, als klar war, dass die Einladung kein Scherz war. Da mussten wir ein bisschen rumtelefonieren, ich dachte zuerst an einen Scherz von „Verstehen Sie Spaß?“. Dann war das Ziel, den Papst zum Lachen zu bringen, denn am Ende des Tages ist der Papst der Endgegner. Wie mir das gelungen ist, verrate ich im Programm. Das muss ein Cliffhanger bleiben. Du bist dort in einer Ausnahmesituation. Der Mensch Mittermeier und der Comedian Mittermeier gehen ja zeitgleich durch den Vatikan. Eine Situation wie im Film. Der Bayer in mir hat immer gedacht: Den Fliesenleger hätt’ ich gern. Als Mensch bin ich ein sehr zerrissener Katholik. Wenn du vier Kinder verlierst, ist es nicht so, dass du zum „Lieben Gott“ betest.

Über Ihre vier Sternenkinder haben Sie im letzten Programm gesprochen und sind mit der Kirche hart ins Gericht gegangen. Wie haben Sie als Katholik das Treffen mit dem Kirchenoberhaupt für sich eingeordnet?

In meiner Historie habe ich gelernt, dass du einen politischen Gegner akzeptieren, aber trotzdem seine Meinung kritisieren kannst. Zu einer Audienz fährst du nicht, um die Meinung des Papsts zu ändern. Aber man kann ein Gespräch führen und, sagen wir, einen Geruch hinterlassen. Ich bin ein offener Mensch. Selbst wenn eine Tür zu ist, möchte ich sie aufmachen, in den Raum gehen und spüren, was dort ist. Wenn jemand der Hirte von zwei Milliarden Schäfchen ist, also der größte Bauer im Dorf, dann besuche ich den natürlich. Das war mein Zugang. Es war dann in beide Richtungen ein sehr krasser Moment.

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Wie leben Sie Glauben vor dem Hintergrund Ihrer Erziehung im katholisches Klostergymnasium und erlebter Krisen?

Wir beten am Abend immer zu Gott und zum Universum. Vielleicht sind es sogar 52 Prozent Universum, aber Gott nehme ich zur Sicherheit auch mit. Sonst habe ich später ein Problem, wenn ich mal vor ihm stehe.

In Situationen, in denen nicht gelacht wird, stimmt etwas nicht, haben Sie einmal gesagt. Können Sie diese Überlegung erklären?

Es war in der Schule schon so: Wenn ein Lehrer keinen Humor zulässt, fühlst du dich unwohl. Wo du ernst sein musst, fühlst du dich unwohl. Wenn es um Länder geht, die Humor verbieten, sprechen wir von Diktaturen. Sie können Humor nicht erlauben, weil Humor immer gegen Obrigkeit geht. Das habe ich in Burma deutlich erlebt, als wir dorthin gereist sind, um den inhaftierten Comedian Zarganar zu unterstützen und am Ende geholfen haben, ihn aus der Haft zu holen. Humor ist wie Wasser. Du kannst ihn nicht aufhalten, er findet immer seinen Weg. Ein lustiger Witz über einen Diktator wird sich immer seinen Weg bahnen. Das haben wir damals durchexerziert. Er hat drei Mithäftlingen im Gefängnis an der chinesischen Grenze einen Witz erzählt. Der Witz machte über die Wärter und deren Familien seinen Weg und war zwei Wochen später in der Hauptstadt.

Daraus ist Ihr Film „This Prison Where I Live“ entstanden. Verstehen Sie ihn auch als Beweis für die gesellschaftspolitische Bedeutung von Humor?

Die grundsätzliche Frage ist ja: Würdest du in einer Situation, in der Humor nicht zugelassen ist, Humor machen? In Zeiten des Nationalsozialismus haben es nicht viele gewagt. Werner Finck, den ich sehr verehre, war einer der wenigen. Von ihm stammt der Satz über das Dilemma des Komikers: Wenn man die Menschen zum Lachen bringt, wird man nicht ernst genommen; wird man aber ernst genommen, ist man ein schlechter Komiker. Es ist nie etwas Besseres über Humor gesagt worden.

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„Humor ist wie Wasser. Du kannst ihn nicht aufhalten. Ein lustiger Witz über einen Diktator bahnt sich seinen Weg“

Welchen Stellenwert hat im neuen Programm „Flashback – die Rückkehr der Zukunft“ die gesellschaftspolitische Komponente?

Meine Programme sind seit mindestens 20 Jahren bewusst so gestaltet, dass man reingehen, zwei Stunden lachen und danach sagen kann: Ich war in einer Welt des Lachens. Punkt. Man kann aber auch reingehen und alle paar Minuten Denkanstöße auf einer Metaebene finden. Das ist fast unvermeidbar in einer Zeit, in der Wissenschaftsskeptiker im Parlament sitzen. Es ist krass, wie geistig minderbemittelt man mittlerweile sein kann und trotzdem als hoher Politiker tätig. Trump ist mit seiner Behauptung über die Einwanderer, die angeblich Haustiere essen, das Paradebeispiel. Sein Vizepräsidentschaftskandidat ist ja damit konfrontiert worden, dass die Behauptung nachweislich falsch ist, und er sagte diesen unfassbar krassen Satz: „Wenn ich Geschichten konstruieren muss, um auf das Leiden des amerikanischen Volkes hinzuweisen, dann werde ich das weiterhin tun.“ Früher mal gab es Fakten, dann waren es alternative Fakten, nun wird Politik gemacht, um ein Gefühl zu erzeugen. Solche Überlegungen finden sich in meinem Programm.

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Einer der Protagonisten darin ist Ihr Urgroßvater Michael Bartmann, ein Erfinder, der Anfang des 20. Jahrhunderts nach Ägypten ausgewandert ist und begonnen hat, eine Zeitmaschine zu bauen. Was stimmt denn an der Geschichte?

Die ist wahr! Er war verliebt, und diese Liebe durfte nicht sein, deshalb sind seine Frau und er ausgewandert, über die Mittelmeerroute nach Ägypten. In den 20er-Jahren wollte er eine Solarheizung bauen. Hätte er die fertiggebracht, wäre ich jetzt Chef von Mittermeier Solar Incorporated und statt hier zum Interview würde ich mit Elon Musk am Tisch sitzen und ihm Solar Panels für seine Raketen verkaufen. Mein Urgroßvater war ein leidenschaftlicher Erfinder. Er hat auch den ewig blutenden Jesus erfunden, eine Büste, die dank eines speziellen Mechanismus dauerhaft blutet.

Wie bitte? Wo würden wir diese Büste des blutenden Jesus finden?

Die gibt es tatsächlich. Sie steht in meiner Heimatstadt in Dorfen. Nur hat jemand das Glas beschädigt, und nun blutet der Jesus nicht mehr, weil der Mechanismus nur im luftdicht abgeschlossenen Raum funktioniert. Aber davor hat er zwanzig Jahre lang ohne Energiezufuhr geblutet. Diesen Mechanismus meines Urgroßvaters konnte niemand rekonstruieren.

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Die meisten von uns kennen ihren Urgroßvater gar nicht und wissen nicht, was er beruflich gemacht hat. Was bedeutet Ihr Wissen über diesen außergewöhnlichen Menschen für Ihr Selbstverständnis?

Schrägerweise hat der Uropa immer einen starken Einfluss auf mich gehabt. Ich fühle mich schon sehr seelenverwandt mit ihm. Und die Bühne ist mein Ort, um Dinge zu verarbeiten. Das war schon bei unseren vier toten Kindern so. Ich habe gewusst, dass ich irgendwann mit diesem Thema auf die Bühne gehen werde, weil es mein Mechanismus der Aufarbeitung ist. Ich spüre das Thema, wenn es auf die Bühne soll. Jetzt war es beim Urgroßvater so weit. Wenn ich etwas erzähle, muss es für mich Sinn machen. Als er gestorben ist, war ich drei Jahre alt, und ich kann mich trotzdem an ihn erinnern. Ich war das einzige Kind, das er auf den Schoß genommen hat, er war kein Kinderfreund.

Kommt aus dieser Seelenverwandtschaft Ihre Lust am Ausprobieren, Ihre Neugierde?

Das bin total ich. Schon von Anfang an, als ich nach New York gezogen bin, dort gewohnt habe und auf Englisch Comedy gemacht habe. Ich gehe gerne neue Wege. Das habe ich von meinem Urgroßvater. Ich will nie irgendwo hingehen, wo schon ein Fußabdruck ist. Ich gehe immer gerne dorthin, wo noch keiner ist.

Und Ihre Selbstsicherheit schon früh, als Jugendlicher auf eine Bühne zu gehen – ist die im Ahnen-Vorbild verwurzelt?

Das hat gar nichts mit Selbstsicherheit zu tun. Ich habe nicht nachgedacht. Der Urgroßvater hat bestimmt auch nicht lange überlegt, warum er den blutenden Jesus baut. Er hat es gemacht, weil es vielleicht funktioniert. So geht es mir auch. Das könnte funktionieren, also probiere ich es aus. Wie oft habe ich gehört, dass man als deutscher Comedian nicht um die Welt touren kann. Ich habe es einfach gemacht. Jetzt weiß ich, dass man das tun kann. Würde ich meine Heimat – und da zähle ich Österreich und die Schweiz dazu – nicht so lieben, und hätte ich hier nicht meine Familie, würde ich schon längst von drüben winken. Aber so bin ich, als ich gewusst habe, dass es funktioniert, wieder zurück nach Hause gegangen.

Haben Sie sich in den über drei Jahrzehnten Ihrer erfolgreichen Karriere irgendwann an etwas so richtig die Finger verbrannt?

Ich habe einen eigenen Wertekompass. Den wende ich immer an, egal, was ich mache. Manchen geht der zu weit, deswegen bin ich in meinen 38 Jahren auf Tour auch immer beschimpft worden. Es gab immer eine Seite, die mich beschimpft hat. Aber das ist okay, wenn es die richtige Seite ist. Wenn sich Comedians heute beschweren, dass man nichts mehr sagen darf, dann rate ich ihnen, einen anderen Beruf zu wählen, denn dann haben sie den falschen Job. Dass wir keine Meinungs- und Redefreiheit hätten, ist ein alternatives Faktenkonstrukt. Man muss sich nur anschauen, wie Elon Musk die Meinungsfreiheit mit seinen 200 Millionen Followern gerade auslebt. Amerikanische Politik ist mein Rabbit Hole. Andere schauen Pornos, ich schaue amerikanische Politik. Am Ende des Tages kommt das Gleiche raus, du sitzt davor und denkst: Nein, das glaub ich nicht, das macht er jetzt nicht!

Ihr neues Programm dreht sich um Zeitreisen. Spielen Sie auch mit dem Aspekt, aus der Geschichte zu lernen? Funktioniert das überhaupt?

Man kann lernen. Ich habe eine neunteilige BBC-Dokumentation, jede Folge
90 Minuten, über den Vietnamkrieg gesehen und wahnsinnig viel gelernt. Dabei habe ich davor geglaubt, dass ich gut informiert bin zum Thema. Ich habe Amerikanistik studiert. In dieser Doku habe ich jede Folge wie eine Metapher für die einzelnen Dekaden empfunden, weil die Mechanismen der Entscheidungsfindung sich wiederholen. Natürlich kannst du nur mitnehmen, was du mitnehmen möchtest, und für viele ist das auch das Falsche. Zeitreisen funktionieren leider nicht linear. Du erinnerst dich nicht, woher du kommst und wieso du hier bist. Möglich sind sie immer, zum Beispiel bei der Deutschen Bundesbahn: Wenn du in einen Zug einsteigst, ist der Anschlusszug schon in der Vergangenheit.

Was machen vier Jahrzehnte auf der Bühne mit dem Selbstbild und dem Blick auf das eigene Werk? Wie ordnen Sie das selbst ein?

Eingeordnet werde ich von anderen seit 40 Jahren. Mittlerweile bin ich einer der Urväter der Stand-up-Szene, was schön ist. Als sich in Berlin die Open-Mic-Szene entwickelt hat, bin ich hingefahren und habe dort gespielt. Die Comedians haben sich gefragt, was ich da mache vor 20 Zuschauern, weil die mich gekannt haben. Aber die jungen Menschen im Publikum, die wussten nicht, wer ich bin. Die wussten nur: Ah, der war lustig. Da werden Alter und Herkunft egal. Die Challenge bleibt, das Publikum zum Lachen bringen, das ist meine Challenge, und die wird sich nie ändern.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2024 erschienen.

Michael Mittermeier im Programm "Flashback".

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