Die Begeisterungsfähigkeit, mit der die Künstlerin Mercedes Helnwein auf die Welt blickt, wurzelt im Aufwachsen zwischen Österreich, Deutschland, Irland und den USA – überall als „Original“. Freiheit bei der Selbstfindung war beim Aufwachsen mit Renate und Gottfried Helnwein als Eltern ihr höchstes Gut. Nun zeigt die renommierte Künstlerin in ihrer Geburtsstadt Wien eine Soloausstellung.
Sie sind seit über zwanzig Jahren Künstlerin, hatten Soloausstellungen in den USA, in Irland und Deutschland, Ihre Werke finden sich in Sammlungen von Damien Hirst, Wim Wenders oder der Colección Solo in Madrid. Warum kommt die erste Soloausstellung in Ihrer Heimatstadt so spät auf Ihrem Weg?
Das hat sich ergeben. Als Kind habe ich es geliebt, in Wien zu leben. Ich habe viele schöne Erinnerungen und deshalb eine tiefe Zuneigung zu Wien. Als meine Familie nach Deutschland gezogen ist, war ich sechs Jahre alt, danach habe ich in Irland und in den USA gelebt. In den letzten acht Jahren habe ich Wien bei Besuchen als Erwachsene neu entdeckt und mich wieder in die Stadt verliebt. Wenn man, wie ich, aus Los Angeles kommt, fasziniert einen die hohe Lebensqualität in Wien. Das beginnt mit einfachen Dingen, wie dass man das Leitungswasser trinken kann. Wenn man durch die Stadt geht, ist es, als würde man sich in einem Kunstwerk bewegen. Wien hat sich seit meiner Kindheit stark entwickelt und ist kulturell eine spannende Stadt mit viel Bewegung. So hat sich die Ausstellung ergeben.
Ihre Arbeit stellt Frauen in den Mittelpunkt, die Soloschau eröffnet den neuen Standort der Galerie Kovacek & Zetter, der sich zeitgenössischer und weiblicher Kunst widmet. Wie wichtig ist es Ihnen, feministische Anliegen zu transportieren?
Es gibt definitiv eine feministische Note in meiner Arbeit, aber sie ist so sehr ein Teil von mir, dass ich sie nicht missionarisch vor mir hertragen muss. Ich fand Frauen einfach schon immer faszinierend. Schon als Kind wollte ich sie zeichnen und Geschichten über sie schreiben. Wenn ich mit meinen Eltern auf einer Hochzeit eingeladen war, habe ich nur die Frauen und ihre Kleider betrachtet. Meine Eltern haben mir nie vermittelt, dass ich als Mädchen Einschränkungen unterliege. Es gab keine Erwartungen, wie ich sein sollte oder was ich zu werden habe. Ich konnte tun, was ich wollte. Mir ist bewusst, dass ich Glück hatte, weil viele Frauen Diskriminierung erleben.
Das patriarchale System wird zunehmend in Frage gestellt. Verändert sich dadurch die Wahrnehmung Ihrer Werke?
Ja, definitiv. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt und hinterfragt heute stärker. Aber das verändert mich als Künstlerin nicht. Ich mache, was ich immer gemacht habe. Für mich geht es in dieser Ausstellung nicht darum, eine Mission zu verfolgen. Ich habe Frauen schon immer als Charaktere gemocht, egal ob sie gut oder schlecht sind. Beide Extreme finde ich faszinierend. Ich freue mich, dass es hoffentlich heute eine gleichberechtigtere Ausgangslage für alle gibt, aber letztendlich geht es mir um Kunst. Es ist keine Mission. Gleichzeitig ist es erfreulich, wenn ein Bild von einem Mädchen in einem Ballkleid, das früher vielleicht als „weibliche Kunst“ belächelt wurde, heute ernst genommen wird und ein größeres Publikum erreicht. In meinen Zwanzigern hatte ich manchmal das Gefühl, nicht seriös genug zu wirken, wenn ich zu viele Mädchen male. Heute fühle ich mich in meinem Universum sicherer.
Ob ein Modell zu Ihrer Arbeit passt, erkennen Sie erst im künstlerischen Prozess, sagen Sie. Welche Eigenschaften reizen Sie an einem Modell?
Es ist schwer, das vorherzusagen. Manchmal merke ich es sofort, manchmal erst, wenn ich mit der Person arbeite. Ich style die Modelle, beleuchte sie, gebe ihnen Requisiten und weise sie an, bestimmte Posen einzunehmen. Dadurch kommt oft eine neue Persönlichkeit zum Vorschein. Manche Menschen haben eine Ausstrahlung, die sofort sichtbar wird. Das ist der Moment, in dem es aufregend wird – wenn ich das Gefühl bekomme: „Ich möchte die Geschichte dieser Frau kennen.“ Mit manchen habe ich so oft gearbeitet, dass enge Freundschaften entstanden sind.
Sie arbeiten auch mit alten Fotografien. Was genau suchen Sie in Fotos?
Es geht immer um die Menschen und um die Komposition des Bildes. Ich sehe zweimal hin, wenn ich etwas Ungewöhnliches entdecke. Manchmal ist es der Humor eines Fotos. Viele dieser alten Fotos sind Familienbilder, oft sind sie seltsam inszeniert, wenn am unteren Bildrand ein Kopf zu sehen ist und oben ganz viel von der Wohnzimmerdecke.
Spielt Schönheit für Sie eine Rolle?
Schönheit spielt deshalb eine Rolle, weil sie so stark mit Frauen assoziiert wird. Schönheit hat etwas Hypnotisches und verleiht jungen Frauen Macht. Mit dem Alter verlieren sie angeblich an Schönheit. Mädchen sind oft überwältigt, wenn sie die Macht der eigenen Schönheit entdecken. Es ist ein dynamischer Prozess. Schönheit allein reicht aber nicht aus. Ein Kunstwerk muss eine Stimme, eine gewisse Kraft haben. Oft macht eine Mischung aus Schönheit, Realität und sogar Makel ein Werk lebendig. Makel können unglaublich schön sein.
Sie haben ein Faible für vergangene Dekaden wie die 20er- oder die 60er-Jahre, als Kind liebten sie Mode aus dem viktorianischen Zeitalter. Was finden Sie in der Vergangenheit, das gegenwärtig fehlt?
In meinen Teenagerjahren habe ich mich oft fehl am Platz gefühlt. In der damaligen Jugendkultur habe ich kein Zuhause gefunden. Ich habe 60er-Jahre-Mode geliebt und mittelalterliche Kleidung und Bluesmusik aus den 1930ern. Die damals moderne Mode oder Musik waren für mich enttäuschend und es hat eine Weile gedauert, bis ich die Kraft der 90er-Jahre-Musik erkannt habe. Ich liebe noch immer vergangene Epochen. So bin ich einfach.
In den USA haben Sie sich wie eine Außenseiterin gefühlt, aber auf die gute Art, sagten Sie einmal. Wie ist man auf gute Art eine Außenseiterin?
Indem du es als Abenteuer betrachtest. Es ist ein Vorteil, weil ich die amerikanische Kultur als Außenseiterin mit viel Begeisterung aufgenommen habe. Ich kannte sie nur aus Filmen. Dinge wie Highways, die für andere banal sind, waren für mich aufregend. Feste wie Halloween oder Thanksgiving empfinde ich als faszinierende Rituale. Man erlebt intensiv, was für andere alltäglich ist. Das macht Spaß. Ich fühle mich überall als Außenseiterin. In Irland, weil ich keinen irischen Akzent habe. In Deutschland habe ich mich nie als Deutsche gefühlt. Wien war als Kind mein Zuhause, aber selbst dort bin ich eine Art „Original“, weil ich nicht dort aufgewachsen bin und mich in der englischen Sprache viel beheimateter fühle.
Hat es etwas verändert, als Damien Hirst 2010 eine ganze Serie Ihrer Werke gekauft hat?
Die Kunstwelt ist ihre eigene Welt, und ich versuche, mich nicht davon beeinflussen zu lassen. Als ich gehört habe, dass Damien Hirst meine Werke gekauft hat, hat es sich unwirklich angefühlt. Sein Name ist wie ein Mythos in der Kunstwelt, auf einem völlig anderen Planeten als ich. Es war eine spannende Erfahrung, aber es hat meine Arbeit nicht verändert.
Mercedes Helnwein
1979 in Wien geboren und Tochter des Künstlers Gottfried Helnwein und seiner Frau Renate, wuchs in Wien, Deutschland und Irland auf und pendelt seit 2000 zwischen Tipperary und Los Angeles. Ihre Werke, oft mit weiblichen Protagonistinnen, verbinden narrative Tiefe mit expressivem Ausdruck und thematisieren unterdrückte Emotionen sowie das Anbahnen von Ereignissen. Ihre Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, u. a. in Berlin, London, Dublin, Los Angeles und New York. 2010 erwarb Damien Hirst ihre gesamte Londoner Ausstellung.
Sie haben immer die Freiheit gehabt, Kunst auf Ihre Weise zu schaffen, haben von Ihrem Vater nie Tipps oder Feedback bekommen. Wie essenziell war diese Freiheit für Ihre Entwicklung als Künstlerin?
Das war unglaublich wichtig. Meine Geschwister und ich haben enormes Glück mit unseren Eltern. Beide haben uns viel Freiheit gelassen, sie haben uns nie vorgeschrieben, wer wir sein oder was wir tun sollten. Deshalb konnte ich mich frei in meiner Kunst entwickeln und Künstlerin werden: weil es ist, was ich schon als Dreijährige gemacht habe, und nicht weil es logisch schien, einen vom Vater vorgegebenen Weg zu gehen. Unsere Eltern haben es uns Kindern ermöglicht, unsere Interessen auszuloten, und uns darin ernst genommen. Hier ist ein gutes Beispiel: Als ich begonnen habe, sehr viel zu zeichnen, hat mir mein Vater entsprechende Künstler gezeigt, damals die Cartoons von Robert Crumb. Ich habe sie genau studiert und daraufhin unzählige Tuschezeichnungen gefertigt. Die Freiheit und das Vertrauen waren unschätzbar wertvoll – auch als ich entschieden habe, nicht auf eine Kunstuniversität zu gehen. Ich wollte üben und experimentieren. Niemand spürt besser als man selbst, was richtig ist.
Hat es Mut erfordert, den Weg in die Kunst zu wählen?
Es erfordert Mut, weil es keinen festen Weg gibt. Es ist kein normaler Job
mit einem sicheren Gehalt. Man muss herausfinden, wie man überlebt, und es braucht Durchhaltevermögen. Aber damals habe ich nicht so gedacht. Als ich mit 20 nach Los Angeles gezogen bin, war ich sehr naiv in Bezug auf das echte Leben. Meine Freunde und ich sind mit wenig ausgekommen – ein verkauftes Kunstwerk hat gereicht, um eine Weile zu überleben. Wir waren mehr mit Shootings und Ausstellungen beschäftigt als mit „normalen“ Lebensplänen. Wenn man älter wird, kommt die Verantwortung, man muss professioneller werden, sich um die geschäftliche Seite kümmern, trotzdem der Kunst treu bleiben. Nicht jeder bleibt auf diesem Weg, weil er schwieriger wird.
Was ist für Sie persönlich der Zweck von Kunst?
Kunst zeigt die beste Seite der Menschheit. Sie ist der Beweis dafür, dass es etwas Besonderes am Menschsein gibt. Denkt man an Musik von Mozart oder an großartige Filme, merkt man, was Menschen fähig sind zu denken und zu erschaffen. Künstler, die ich schätze, sind für mich wie Götter. Kunst macht das Leben lebenswert. Musik zu hören, Geschichten zu lesen, Architektur zu bestaunen, mit Mode zu experimentieren – wie würden wir ohne all das überleben? Kunst verleiht dem Leben Qualität. Einfache Dinge wie Volkstänze bereichern das Leben der Menschen seit Ewigkeiten. Egal, was vorher passiert ist, am Abend spielt jemand die Fidel und es bedeutet Leben.
Soloshow: Galerie Kovacek & Zetter
Mit Mercedes Helnweins Werkschau (Ölgemälde und Pastellzeichnungen) „Sometimes“ eröffnet Kovacek & Zetter einen zweiten Galerie-Standort in der Plankengasse. Bis zu fünf Ausstellungen jährlich legen dort den Fokus auf zeitgenössische und weibliche Positionen und machen die Plankengasse zum Meilenstein für die kuratorische Vision von Sophie Zetter-Schwaiger und Claudia Kovacek-Longin („Sometimes“, 29. 11. bis 28. 12., -Kovacek & Zetter, Plankengasse).