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Matthias Hartmann: „Ich passe einfach nicht ins Klischee“

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Das Burgtheater hat unter seiner Direktion geblüht wie selten davor und danach. Von der Verantwortung für den Finanzskandal des Jahres 2014 ist Matthias Hartmann vollinhaltlich exkulpiert. Dennoch hat ihn die immer publikumsfernere Theaterblase ausgesperrt. Darüber und zu seinem Schicksal schrieb er das erhellende Buch „Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt“

Auf dieses Jubiläum hätte die Welt gern verzichtet. Im Jänner 2014 meldete News die Entlassung der bis dahin unauffäl­ligen Silvia Stantejsky, die an der Seite des erfolgreichen Burgtheaterdirektors Matthias Hartmann das Finanzielle ­verantwortete: Versteckte Millionenschulden hatten das Haus an den Rand der Insolvenz gebracht. Wenig später stürzte auch Hartmann über die Geschäftsführerverantwortung . Nach fünf Interimsjahren unter Karin Bergmann nutzte Martin Kusej seine Chance nicht – sein Vertrag blieb unverlängert, und seit September führt Stefan Bachmann die Burg.

Und Hartmann selbst? Ist vollkommen rehabilitiert. Er entwickelt als Kreativdirektor im Mateschitz-Imperium Projekte, inszeniert dann und wann Opern und wird von der zusehends ­publikumsfernen Theaterblase ausgegrenzt. Über deren Malaise hat er nun ein erhellendes Buch unter reichem Einschluss des eigenen Schicksals geschrieben. Wir trafen ihn am frühen Sonntagmorgen nach der Ankunft aus Riga.

Herr Hartmann, was hat Sie nach Lettland geführt?

Wir entwickeln ein Projekt um den „­Parzival“-Mythos, der mich immer ­interessiert hat, so wie auch der „Peer Gynt“ von Ibsen. Beide sind für mich Helden, die durch harte Entwicklungsschritte gehen müssen, Rückschläge erleben, ordentlich eingeschenkt bekommen und die Chance kriegen, sich daraus wieder herauszuschälen – und neue Chancen zu kriegen.

Kompliment, da haben Sie mit der ersten Antwort das halbe Interview vorgegeben. Vor allem: Warum in Riga? Sie würden doch nach Ihrer Rehabilitierung in Wien dringend gebraucht, auch von Ihrem früheren Hausregisseur Stefan Bachmann, den Sie an der Burg quasi für die große Welt entdeckt haben.

Das stimmt so nicht, der war damals schon seinen eigenen Weg gegangen und hat es als kluger Zauberlehrling des Theaters auch gut hinbekommen. Vor allem in seinen Bruder Plinio bin ich verknallt.

Der war Ihr Chefdramaturg, dem Sie bis heute Projekte anvertrauen. Sein Bruder hat sich nicht gemeldet?

Wegen der Burg? Vielleicht zu viel zerschlagenes Porzellan.

Aber als er 2010 bei Ihnen nach einem Aufstand der Schauspieler die Regie von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ an Sven-Eric Bechtolf abgeben musste – wurde da kein Porzellan zerschlagen?

Nein, damals hatten wir uns darauf ­geeinigt, dass es einfacher ist, wenn wir uns auf das nächste Projekt stürzen, und das war ein Riesenerfolg. So was ist eine Charakterfrage. Ich komme aus einer hochgradig komplizierten Familie. Wenn man uns gemeinsam in einem Raum hatte, war das explosiv. Und man konnte überhaupt nur miteinander umgehen, wenn man sich immer wieder vergeben hat.

Weshalb hat sich dann damals, als Sie gehen mussten, keine Hand im Ensemble für Sie gerührt?

Viele Hände haben sich gerührt. Dass es nicht noch mehr waren, liegt daran, dass doch einige irgendwie verstrickt waren, von der Taxiquittung über Steuerhinterziehung bis Schwarzgeld. Sie wollten nicht im Umfeld des Tatorts ­gesichtet werden. Andere haben sich mit Solidaritätserklärungen auf die Seite von Frau Stantejsky gestellt, die dann nachher zu Unrecht als einzige gerichtlich verurteilt wurde. Und ich bin auch nicht jemand, zu dem man hingeht und sagt: „Tut mir leid, Matthias.“

Warum?

Das liegt an meiner Art. Ich versuche es eh zu ändern. Aber gegen die 1,93 Meter kann ich nichts machen, auch wenn ich mich anders fühle.

Wie fühlen Sie sich denn? 1,43 Meter?

Gelegentlich.

Und hochsensibel?

Anders kann man ja den Beruf nicht ­machen. Aber ich passe einfach nicht ins Klischee. Ich beschreibe das im Buch: Ich wollte nicht so aussehen wie ein Mensch, der deswegen so aussieht, wie er aussieht, weil er moralisch und künstlerisch auf der Seite der Gerechtigkeit steht. Als ernsthafter Theaterkünstler soll man die Machtstrukturen der Gesellschaft kritisieren und deswegen arm sein. Jedenfalls nicht reich. Es gibt Insignien, die gar nicht billig sind. ­Knitterkleidung von belgischen Designern oder Taschen aus gebrauchten Lkw-Planen. Jedenfalls nicht Porsche. Wie verlogen ist das denn? Das hat mich trotzig gemacht und immer wieder in einen Teufelskreis geführt.

„Erfolg beim Publikum ist kein Parameter mehr. Die Kryptowährung heißt jetzt Bedeutung“

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Stark im Argumentieren: Am Sonntag (13., elf Uhr) präsentiert er in der Josefstadt sein ­erhellendes Buch.

Waren Sie nach Ihrem Abgang einmal im Burgtheater?

Nein.

Weshalb?

Die Liebe ist zu groß. Wenn man einen geliebten Menschen beim Autounfall verliert, fährt man die Straße nicht mehr entlang.

Für Ihren Nachnachfolger Martin Kusej haben sich, als er nicht verlängert wurde, noch weniger Hände gerührt.

Nachnachfolger? Karin Bergmann dazwischen zähle ich nicht mit. Sie war ja schon in der Direktion vor mir, mit der die Unregelmäßigkeiten begonnen haben, in führender Position. Andere ­hätten da vielleicht die Kriminalpolizei geholt, aber man hat sich darauf verständigt, dass besser jemand Beteiligter aufräumen soll. Und was meinen Nachfolger Martin Kusej betrifft: Er hat mich immer zu seinem Feind erklärt, ich nicht. Ich kenne ihn nicht. Vielleicht ist er sauer gewesen, weil er die Burg nicht bekommen hatte.

Dann doch und ist krachend gescheitert. Stimmen Sie da zu?

Na ja, ich traue mir schon zu, es besser zu machen. Als die Menschen in der Pandemie in Flugzeugen ganz eng ­zusammensitzen, aber nicht ins Theater durften, hätte ich den Zuschauerraum z. B. in einen riesigen A380-Passagierraum umbauen lassen. Das ist ja unsere Aufgabe als Theaterleute: einfallsreich zu sein.

Aus Ihrem Buch spricht jedenfalls eine unglaubliche, anhaltende Verletzung.

Nein.

Im Buch schreiben Sie, das deutschsprachige Theater sei in den falschen Händen und in ernster Gefahr. Inwiefern?

Weil der Erfolg beim Publikum kein ­Parameter mehr ist. Erfolg wird durch eine Kryptowährung definiert, sie heißt Bedeutung. Sie wird generiert von Kulturpolitikern, Kritikern und Theater-­Masterminds. Das Phänomen kennen alle Theaterleute gut. Ich gebe zu, dass ich es auch instrumentalisiert habe.

Das ist aber anderen besser gelungen. Nehmen wir den Volkstheater­direktor Kay Voges, der sein Haus leer gespielt hat und zum Dank nach Köln berufen wird. Wie ist das möglich?

Das Bedeutungstheater hat die letzten 30 Jahre dominiert. Ich denke, es ist jetzt vorbei. Aber die Blutspur, die man da gezogen hat, löscht man nicht über Nacht. Nicolas Stemann wird jetzt nach historisch schlechten Zuschauerzahlen in ­Zürich in mein geliebtes Bochum geholt.

Aber wer erlaubt ihm denn das?

Provinzielle Kulturpolitiker, die noch nicht verstanden haben, dass der Zug abgefahren ist. Und eine Findungskommissionsmafia von Leuten, die untereinander verhabert sind. Die Politiker leuchten kurz im Strohfeuer ihrer Personalentscheidungen. Was danach passiert, ist allen wurscht. Bedeutung treibt alles an. Der Applaus des Publikums ist schon vorbei, wenn ich nach der Vorstellung in der Kantine mein Bier trinke. Aber wenn eine Woche lang in der Zeitung steht, was für ein bedeutender Theatermensch ich bin, dann erhöht das auch meine Gage, weil ich damit ins nächstgrößere Theater ­hineinkomme. Aber das ist vorbei, wie gesagt. Ich war kürzlich in Kiel, meine Frau hat dort Horvath inszeniert, den ich eigentlich nicht mehr sehen wollte. Ich hab’s zu oft produziert und diese Determinierung ins Unheil ist in unserer Zeit schwer zu ertragen. Und was war? Ausverkauft bis unter die Nähte, rhythmischer Applaus. Weil das Publikum dort, wo sich jenseits vom Bedeutungszirkus niemand profilieren muss, mit einem gut gemachten Theaterabend mitleben will.

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 © Matt Observe/News

„Ich kenne viele Frauen, die das Quotendenken nicht wollen und unangenehm finden“

Wie beurteilen Sie denn Diversitätsquoten, zum Beispiel beim Berliner Theatertreffen, zu dem nun 50 Prozent weibliche Regisseure eingeladen werden müssen? Was hat das denn mit der Beurteilung von Qualität zu tun?

Ich kenne viele Frauen, die das nicht wollen und es unangenehm finden. Andererseits hat die weibliche Sicht auf unsere Welt das zeitgenössische Theater interessanter gemacht.

Nun inszenieren Sie in der nächsten Saison zum Finale der Ära Föttinger an der Josefstadt Bernhards „Theatermacher“. Ist es nicht bezeichnend, dass man zuletzt gerade ihm mit wokem Geschwafel zu Leibe gerückt ist? Dem vielleicht letzten Theatermann am Platz, der sich der Bedeutungsblase verweigert?

Das würde ich in keinen kausalen Zusammenhang rücken. Wir kommen aus einer anderen Generation und haben alle unsere Lektionen zu lernen. Ich selbst würde mich nicht mehr so verhalten wie früher. Unsere Vorbilder waren machtmissbräuchliche Monster. Laute, wie Flimm und Peymann, subtile, wie Bondy. Wie die mich geknechtet, geschunden und erniedrigt haben! Wir sind so aufgewachsen, wir standen in ehrfurchtsvoller Bewunderung vor diesen Monstern und dachten, dass das die Quelle dessen ist, woraus sie schöpfen. Das stimmte zum Teil auch. Aber das darf nicht dazu führen, dass Menschen erniedrigt werden.

Wie geht es Ihnen denn im Moment? Sind Sie noch im Mateschitz-Imperium?

Ja, ich verdanke ihm viel. Er hat mir Schutz angeboten und war neugierig, wie ich seine Welt inspiriere. Ich durfte Fernsehformate entwickeln. Sogar Quizsendungen. Das bisher Größte war die internationale Serie „Das Netz“ zur Korruption im Fußball. Daneben durfte ich immer weiter Regisseur sein.

Wenn wir noch einen Blick auf das Wahlergebnis richten: Gefällt Ihnen das?

Jetzt haben die gewonnen, die am besten schimpfen können. Der Kogler hat’s hinterher doppelt gut auf den Punkt gebracht, er meinte: „Jetzt waren wir halt dran.“ Und natürlich ist es ein Protest gegen ein Lebens- und Menschenverständnis der Politik, das Menschen nicht kennt. Die ständige Forderung an unser aufgeklärtes Sein geht an der Lebens­realität der Menschen vorbei. Sie fühlen sich nicht gemeint und sie werden ­immer belehrt.

Womit wir wieder beim Gegenstand Ihres Buches sind, nur auf das gesellschaftliche Ganze hochgerechnet.

Theater ist immer der Spiegel.

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 © Ecowing

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