Einst für seine grafische Figuration in den USA gefeiert, entsagt Mario Dalpra Ende der 80er-Jahre dem klassischen Kunstbetrieb und damit der Möglichkeit der frühen Internationalisierung. Und erschließt ein für ihn völlig neues Medium: die Skulptur – ein figurativer Befreiungsschlag aus der Enge der Zweidimensionalität.
Video: Atelierbesuch bei Mario Dalpra
© VGN | Osama Rasheed
An die Pferde, die einst hier stallten, erinnert heute nichts mehr. Das Gewölbe ist weiß gekalkt, der Boden gestrichener Estrich. Wohl kuratiert, scheint hier heute in minimalistisch-moderner Atmosphäre alles seinen Platz zu haben. Einst liegt immerhin auch schon Jahrzehnte zurück. Und dennoch war das Erscheinungsbild bis vor rund zehn Jahren noch ein völlig anderes: „Desolat“, beschreibt Mario Dalpra den Zustand, in dem er die Immobilie in der Leopoldstadt damals angemietet hatte. Gemietet aus dem Grund, weil Eigentum verpflichtet. „Und dich damit irgendwie deiner Freiheiten beraubt.“ Für den Künstler undenkbar, ist die Freiheit doch eine entscheidende Konstante seines Lebens und geradezu essenzielle Zutat seiner Kunst. Sich an einen Ort zu binden? Ausgeschlossen.
Der Blick in die Vita belegt: Kosmopolit. Sieben Jahre verbringt der gebürtige Vorarlberger ab 1989 in Australien, gefolgt von einem Jahr Brasilien und zehn Jahren Indien. Seine Frau, Zenita Luis, ebenfalls Künstlerin, ist Inderin. Die Basis ist und bleibt aber immer dieselbe: Wien. „Spätestens mit der Geburt unserer Tochter Saira war klar, dass Wien der Lebensmittelpunkt sein muss“, so Dalpra. „Seit ich 45 bin, musste ich lernen, mich mit der winterlichen Kälte hierzulande zu arrangieren“, scherzt er.
Ganz geglückt ist dieses Arrangement allerdings nicht. Die Tochter ist mittlerweile 20, die Zeitfrage damit eine weiter gefasste und die zweite Heimat wieder Bali. Seit 1996 ist die indonesische Insel, die er während seiner Zeit in Australien kennen- und lieben lernte, künstlerisches Exil. „Tatsächlich war die Familie noch nie dabei“, überlegt er. Aus der Einsamkeit schöpft Dalpra Kreativität.
Vom Streben nach Ästhetik
Und obwohl sich Dalpra – künstlerisch – immer wieder neu erfindet, bleibt eines konstant: das Streben nach Ästhetik. Seine lebendig anmutenden Skulpturen, die in ihrer singulären, organischen Formensprache eines eint – die stets zu Perfektion vollendete Oberfläche. Unabhängig vom verwendeten Material, das sich über die Jahre der künstlerischen Genese von Holz über Bronze bis hin zu Aluminium wandelt und doch immer wieder aufs Neue entdeckt werden will, präsentieren sich Dalpras Wesen mal poliert, mal satiniert, patiniert und dann wieder lackiert, bemalt oder in der reinen Ästhetik ihres Rohmaterials. Dass die Quellen der Inspiration dafür seine zahlreichen Reisen und das Eintauchen in unterschiedliche Kulturen sind, erschließt sich auf den ersten Blick: So erkennt man etwa traditionelle Tattoos der Maori gleichermaßen wie die farbige Fröhlichkeit Indonesiens. „Ich bin ein Voyeurist“, lacht er. „Auf Reisen habe ich die Augen immer besonders weit offen – man wird beobachtet und beobachtet.“
Weniger oder kaum mehr ersichtlich, ist hingegen die Motivation, der Grund, hinter dem steten Streben nach maximaler Ästhetik. Wobei, leicht sieht man sie bei genauer Betrachtung doch noch, die vernarbte Haut an Dalpras rechtem Arm. Als Kind hatte er sich mit siedend heißer Milch verbrüht – es folgten zahlreiche Operationen und ein mehrmonatiger Krankenhausaufenthalt. Aus Scham beginnt Dalpra, die narbige Haut seines Armes zu übermalen und unter Klebetattoos zu verstecken. Sie wird zum ersten Bildträger seiner Kunst.


Brückenschlag. In Dalpras jüngster Malerei rückt die organische Formensprache seiner Skulpturen in den Fokus
© Mario Dalpra, beigestellt„Kunst darf auch für sich sprechen“
Doch auch für seinen späteren Weg als Künstler ist das Trauma samt seinen Folgen wegweisend: „Die Ausgrenzung aufgrund der Andersartigkeit meiner Haut, die mir im Kindesalter widerfahren ist, hat mich und meinen Anspruch an Ästhetik nachhaltig geprägt“, so Dalpra. „Die daraus resultierende Isolation hat letztlich zur eigenständigen Form meiner Kunst geführt – sie hat mich gelehrt, allein zu sein. Und darin, im Alleinsein, finde ich bis heute meine Kreativität, meine Anregungen und Ideen.“
Bereits früh hatte sich Dalpra deshalb in seiner Arbeit auf die Suche nach Schönheit begeben. „Das Schöne werde in der Kunst ohnehin viel zu sehr vernachlässigt“, zitiert er Gerhard Richter. Seine Kunst nutzt Dalpra nicht, wie im Kunstbetrieb zumeist Usus, um Kritik zu äußern. „Kunst vermag vielleicht alles zu können, muss aber letztendlich nichts können – sie darf auch einfach für sich sprechen. Und gefallen.“ Nicht zu verwechseln mit banaler Gefälligkeit. Banal ist seine Kunst keinesfalls: „Betrachtende entdecken darin ihre eigene Sehnsucht nach Schönheit – losgelöst von der Verkopftheit alltäglicher Geschehnisse.“ Damit will er einen möglichst niederschwelligen Zugang zur Kunst schaffen: „Mit meiner Kunst möchte ich ein Universum schaffen, das einer breiten Masse zugänglich ist – keine Kunst für irgendwelche Eliten. Dieser hochintellektuelle Kunstbetrieb interessiert mich längst nicht mehr.“


Ästhetik. Ob Aluminium, Bronze oder Holz – die be- und überarbeiteten Oberflächen zeugen vom Streben nach Ästhetik
© Mario Dalpra, beigestelltVon frühen Erfolgen
Dem klassischen Kunstbetrieb hatte er bereits Anfang seiner 30er abgeschworen und sich damit gegen eine Internationalisierung seines Werks und damit auch seiner Person entschieden. Reue? „Keinesfalls“, so Dalpra. Die Entscheidung sei – auch rückblickend – das einzig Richtige gewesen: „Ich wollte einfach Künstler sein – frei das tun können, worauf ich Lust hatte. Der psychische Druck im klassischen Kunstbetrieb war mir einfach zu enorm. Dem hätte ich nicht standhalten können.“
Damals lebte Dalpra gerade in Australien. Vertreten durch die renommierte Galeristin Gene Shermann, lernte er Eileen Guggenheim kennen. Ihr zufolge sei Dalpra genau zum richtigen Moment in New York aufgetaucht. Sie bot ihm nicht bloß ein eigenes Atelier an, sondern steuerte auch einen Text für eine seiner Publikationen bei. Darin beschreibt sie sein Werk als frischen und relevanten Gegenpol zur damals in den USA vorherrschenden ikonografischen Neuausrichtung der Figuration: „Auf wundersame Weise stellt jede Figur in einem Gemälde von Dalpra sich den Betrachtenden als eine Art visuelles Faktum dar und vermeidet dabei die sich ausbreitenden politischen und persönlichen Botschaften, die so viele amerikanische figurative Werke derzeit durchziehen. Im Gegensatz dazu scheinen Dalpras Figuren metaphorisch und physisch loszulassen und die menschliche Gestalt auf höheres, erhabenes Terrain zu stellen. Dalpra ist eine neue Stimme, die hier sicher gehört werden wird.“
Die Arbeiten, mit denen Daplra Ende der 80er-Jahre in der Stadt der Träume reüssierte, zeigten die grafische Figur als zentralen Inhalt des abstrakten Raums. „Ich habe damals auch noch viel übermalt“, beruft sich der gelernte Koch auf seine Ausbildung bei Arnulf Rainer an der Akademie der bildenden Künste in Wien, die er nach zweijährigem Klosteraufenthalt bei den Jesuiten besuchte. Doch das Figurative widerstrebt ihm zusehends. „Die Figur lenkt ab“, begründet er die stetige Abstraktion seiner Malerei.


Overloaded Mind. Dalpras Skulpturen entstehen meist unter thematischer Überordnung – „overloded mind“ ist Resultat der Pandemie
© Mario Dalpra, beigestelltDie Befreiung der Figur
Doch die Figur soll Dalpra erhalten bleiben: Während seiner Zeit in Brasilien inspirieren ihn Capoeira-Tänzer zu einem neuen Bildzyklus. Das Motiv, in all seiner Dynamik, entwächst dem Bildträger – das Bedürfnis, die Figur aus dem zweidimensionalen Raum zu befreien und in den dreidimensionalen Raum zu übersetzen, nimmt zu. So entspringen Dalpras Malerei seine ersten Skulpturen aus Holz.
Über die folgenden Jahre durchlaufen seine Unikatskulpturen eine konsequente Genese – er experimentiert mit Formen, Farben und immer neuen Materialien. Mit dem Ergebnis einer unabhängigen, singulären Formensprache, die seine Positionierung am Kunstmarkt überholt und neu prägt. Und seine Malerei? „Nach wie vor ein Kampf“, lacht er. „Sie wird aber allmählich stimmiger, synergetischer mit den Skulpturen.“ So findet die organische Form Letzterer zunehmend Einzug in seine Malerei und löst damit die Gegenständlichkeit nun gänzlich ab. „Aufgeben käme für mich ohnehin nicht infrage“, schmunzelt er. „Was mich antreibt, ist die intuitive Energie, die mich immer weiter in der kreativen Welt existieren lässt – die das Feuer der Leidenschaft am Lodern hält. Wäre ich damals, mit Anfang 30, falsch abgebogen, wäre das Feuer wohl längst erloschen …“
KULTURTIPPS!
Bis 26. April zeigt die Galerie Gölles in Fürstenfeld Arbeiten von Mario Dalpra.
gölles.at
In Wien wird er durch die Galerie Artecont und die Rodler Gschwenter Gallery vertreten.
artecont.at
rodler-gschwenter.com
In Taiwan werden seine Arbeiten aktuell in der Wild Art Ltd Gallery gezeigt.
wildart.com.tw