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Maria Callas: Das Verhängnis des göttlichen Originals

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8 min
Maria Callas©Burt Glinn / Magnum Photos / picturedesk.com
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Angelina Jolie hin oder her. Aber gegen die echte Maria Callas ist sie maximal ein Avatar dritter Ordnung. In Wien sang die Callas nur drei Mal, und das vor fast 70 Jahren. Wir fanden trotzdem einen Ohrenzeugen

Dass da noch jemand war – jemand, gegen den die Schauspielerin Angelina Jolie maximal ein Avatar dritter Größe ist–, darf heute als Bildungsinhalt schon nicht mehr vorausgesetzt werden. Die Callas noch gehört haben! Selbst unter Opernnarren im Stand vorgeschrittener Reife ist das ein Privileg, wenn nicht bald ein Alleinstellungsmerkmal. Verwunderlich ist das nicht. Ist sie doch, anders als so gut wie alle aus der olympischen Liga, nur drei Mal an der Wiener Staatsoper aufgetreten. Im Juni 1956 war das, bei einem Gastspiel der Mailänder Scala und unter Umständen, denen hier noch ein mittelstarkes Kapitel zugedacht werden wird.

Selbst Georg Springer, Bundestheater-General aus Legendenzeiten, muss unter diesen Umständen bedauern. Und das, obwohl er sich als Callas-Aficionado der Höchstliga zu erkennen gibt. Alles, was von ihr als Studioaufnahme, Mitschnitt oder Schwarzpressung verfügbar sei, habe er gesammelt.

Die Callas, führt Springer aus, sei im italienischen Fach schlicht unvergleichbar, ein Kosmos für sich, so wie die Kollegin Birgit Nilsson bei Wagner. Springer beschreibt den Mitschnitt eines Hamburger Konzerts: Mit jeder Arie sei das gesamte Opernwerk vor Augen, Ohren und Herzen des Publikums erstanden, auch für Besucher, die vom Inhalt keine Ahnung hatten. „Sie war noch vor dem ersten Ton eine Statue der Freude, eine Statue der Trauer.“

Der Augen- und Ohrenzeuge

Und schon der nächste Versuch ist ein Treffer. Der legendäre Sängeragent Erich Seitter, 82, hat die 1923 in New York geborene Maria Anna Cecilia Sofi Kalogeropoulou noch gehört. Drei Mal sogar, und das erste Mal als Stehplatzbub unter kulturhistorischen Extrembedingungen. Am 14. Juni 1956 war das, am zweiten Abend des Mailänder Gesamtgastspiels mit Donizettis „Lucia di Lammermoor“, mit Mailänder Kulissen und dem Scala-Orchester unter dem 48-jährigen Herbert von Karajan, der auch die Regie besorgt hatte. Karajan hatte sich von den Schatten der Vergangenheit, die er als junger Nazi-Mitläufer auf sich geworfen hatte, an die Spitze der Welt freigespielt. Die Pause an jenem Abend, erinnert sich Seitter, war schier endlos. Dann trat Unterrichtsminister Drimmel (ÖVP) vor den Vorhang: Er habe Karajan soeben erfolgreich die Direktion des Hauses angeboten. Vom Jubel drohte das Haus einzubrechen, und Karajan ersetzte den in Unfrieden gegangenen Giganten Karl Böhm, bis er selbst 1964 im Unfrieden ging – österreichische Routine.

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Norma

Paris 1964: Die Callas mit 41 Jahren am Karriereende. Sie starb 1977, mit 54 Jahren, in New York am Herzinfarkt, nachdem sie ein Jahrzehnt lang kaum mehr aufgetreten war.

 © Roger Viollet / picturedesk.com

Tragödie einer Höchstbegabten

Spannend ist, was Seitter über den Auftritt der Callas zu erzählen weiß. Die Aura war die intensive, sensible einer Audrey Hepburn. Und die Stimme! Schlank, aber kraftvoll, von glatter, gleißender Schönheit. Die Ovationen nach der Wahnsinnsszene waren außer aller Norm.

Aber ihre Aufnahmen kennzeichnet doch ein immer schärfer werdendes Tremolo, das zwar fiebrige Leidenschaft vermittelte, aber auch eine unstete, gefährdete Gesangslinie nach sich zog?

Da entrollt Seitter die Tragödie einer Höchstbegabten, die in die Mühle der Marketing-Industrie stürzte. Die junge Frau aus griechischer Einwandererfamilie war mit der Mutter aus New York in die alte Heimat zurückgekehrt. 1949 heiratete sie den italienischen Zementkönig Giovanni Battista Meneghini, der die junge Sopranistin als etwas bizarre Existenz mit Chauffeur- und Nerzmantelstaffage durch die italienische Provinz pilotierte. Auch im fernen Mexiko feierte man sie stürmisch. Die Callas war damals eine kompakt gebaute junge Frau, die Stimme in Bestverfassung, und sie sang alles, von der Rosina im „Barbier von Sevilla“ bis zur Brünnhilde in Wagners „Walküre“.

Ein Einspringen in Florenz brachte die Wende zur Weltprominenz. „Da ging die Rallye los“, sagt Seitter. „Sie hat stark abgenommen und sich viele Feinde gemacht, die sie genau beobachtet haben. Das alles ist ihr nicht gut bekommen.“ Als sie 1956 als 33-Jährige in Wien auftrat, war die Stimme noch für ein paar Jahre in Ordnung. „Aber im Grund hatte sie den Höhepunkt in einem Alter, in dem die Karriere für andere erst wirklich beginnt, schon überschritten.“ 1958 musste sie einen Auftritt an der „Met“ in New York unterbrechen. Ein Jahr später gab sie ebendort Verdis Lady Macbeth ab. Als Einspringerin begann die um drei Jahre jüngere Wienerin Leonie Rysanek eine Weltkarriere, die klüger und glücklicher verlief als die der heute ins Unermessliche ikonisierten Kollegin.

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Lucia di Lammermoor

Wien 1956: Maria Callas, 33 Jahre alt, und Giuseppe di Stefano beim Gesamtgastspiel der Mailänder Scala in der Staatsoper. Karajan inszenierte und dirigierte. An diesem Abend sagte er zu, die Direktion der Oper zu übernehmen.

 © Weber, Harry / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Verhängnis Onassis

Deren Verhängnis nahm den steilen Weg, als sie 1959 den griechischen Reeder Aristoteles Onassis kennenlernte und sich von Meneghini scheiden ließ. Die Auftritte wurden seltener, dafür griff die Marketingmaschine nach ihr. 1961 hörte Seitter die Callas als Cherubinis Medea im Freilufttheater von Epidaurus. Da wurde die nach 30 Jahren Heimgekehrte auf den Wogen volksfesthafter Begeisterung noch einmal zum Triumph getragen.

Aber drei Jahre später, als Bellinis Norma in Paris, war der Verfall schon unaufhaltsam. „Sie sah um 20 Jahre jünger aus, wie ein Model, aber man hat sie kaum gehört“, sagt Ohrenzeuge Seitter. Der „Wobbel“, wie der Stimm-Experte den Zustand benennt, war nicht mehr zu überhören, die Stimme hatte als Opfer der Schlankheitsexzesse Fokus, Kraft und Stütze verloren. „Und das war es dann auch schon mit der Karriere.“

Die Ehe mit Onassis war ein Debakel. Den Verlust eines Kindes verwand die zusehends Vereinsamte nie, dann wandte sich Onassis der Präsidentenwitwe Jackie Kennedy zu. Von der millionenschweren Jahrhundertdiva hörte man nichts mehr.

Einmal allerdings hätten Opernnarren noch Gelegenheit gehabt, sich Gesprächsstoff für das nächste halbe Jahrhundert zu sichern: 1973 ging die Callas mit dem einst ikonischen Tenorkollegen Giuseppe di Stefano auf Deutschland-Tournee. Der Arienabend war eine verkappte Benefizveranstaltung, denn di Stefano hatte sich mit seiner schonungslosen Intensität buchstäblich die Seele aus dem Leib gesungen und als stimmliches Wrack immense Spielschulden aufgehäuft.

Die Tournee verlief erwartbar traurig. Kaum einer, der die Oper liebte, wollte da Zeuge sein.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.06/2025 erschienen.

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