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Die Nackten und die Dicken

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Ein Gemälde von Lucian Freud
©Bild: Peter Macdiarmid/Getty Images
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19 Monate lang, von Mai 2000 bis Dezember 2001, saß Königin Elisabeth II. dem Maler Lucian Freud für ein Portrait. Freud plante ein nur 20 Zentimeter großes Bild, ergänzte es jedoch um 3.5 Zentimeter, um der Königin ein Diamant-Diadem aufzusetzen. Er fürchtete, die Königin könnte in seiner Darstellung nicht erkannt werden. Die Familie der Monarchin kommentierte das Bild nicht. Umso heftiger wurde es in der Britischen Presse diskutiert. "The Sun" nannte es eine Travestie. Im "Daily Mirror" fand der Herausgeber, man hätte der Königin die endlosen Sitzungen ersparen und stattdessen eine Puppe der Satireshow "Splitting Image" malen können. Der auf die Royals spezialisierte Fotograf Arthur Edwards war der Meinung, das Bild gehöre in eine Toilette und Freud sollte im Tower eingesperrt werden.

Berlin

Vor 100 Jahren, am 8. Dezember 1922, wurde Lucian Freud in Berlin geboren. Sein Vater, Ernst Freud, jüngstes Kind des Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud, studierte Architektur an der Technischen Hochschule Wien und war Privatschüler von Adolf Loos. 1933 emigrierte die Familie von Berlin nach England. Lucian Freud nahm die britische Staatsbürgerschaft an. Er gilt als einer der erfolgreichsten Porträtmaler und bis zu seinem Tode 2011 als wahrscheinlich weltweit bekanntester lebender Maler.

Sein Bruder Clement Freud war während des Kriegs zeitweise Adjutant des Feldmarschalls Bernard Montgomery und arbeitete nach Ende des Krieges für die Vertreter der Anklage im Nürnberger Prozess. 1968 schrieb Clement Freud das Kinderbuch "Grimble", sechs Jahre später die Fortsetzung "Grimble at Christmas". Er betrieb einen Nachtclub, in dem er einen Zeitungsredakteur kennenlernte, der ihm eine Stellung als Sportjournalist anbot, wurde ein preisgekrönter Autor, der hauptsächlich über Essen und Trinken und über seine zweite Leidenschaft, Pferderennen, schrieb. 1973 bis 1987 war Clement Freud Abgeordneter des britischen Parlaments. Er galt als der erste jüdische Abgeordnete der Liberalen. Als er aus dem Parlament ausschied, wurde er 1987 zum Ritter geschlagen.

Die Modelle

Über Lucian Freud erschienen Dutzende Biografien. Die meisten beschäftigen sich mehr mit seinem abenteuerlichen Leben, den Affären und Skandalen, als mit seinen Bildern. Er wurde verehrt, gehasst und von Vertretern der Frauenbewegung - wie der Historikerin Linda Nochlin - verteufelt, die seine Bilder als "wahrhaft abscheulich" bezeichnete. Sie erregte sich über den erschreckende Realismus mancher Gemälde von älteren und übergewichtigen Frauen, die sie als "grotesk" bezeichnete.

1993 bot Freud der arbeitslosen, großgewachsenen und übergewichtigen Sue Tilley ein Honorar an, um sie malen zu können. Vier - für viele erschreckend naturalistische - Bilder entstanden von einer üppigen, nackten Frau mit Bauch, runden Schenkeln und großen Brüsten, die damals die Kunstwelt schockten. Eines der Bilder - "Benefits Supervisor Resting" -, auf dem Tilley auf einem Sofa mit dem Kopf nach hinten und weit gespreizten Beinen schläft, erreichte bei einer Auktion 2008 den Wert von 33,6 Millionen US-Dollar - der höchste Preis, der je für das Werk eines lebenden Malers gezahlt wurde.

Tilley erzählte Jahre später in einem Interview, dass sie über neun Monate nächtelang nackt auf dem Sofa in Freuds Atelier sitzen oder liegen musste. Sie hätte damals das Geld dringend gebraucht, sei nicht begeistert von den Bildern, jedoch heute noch stolz, von einem so berühmten Maler porträtiert geworden zu sein. Das stundenlange Sitzen mit dem schweigsamen Maler habe sie wie eine Therapiesitzung erlebt. Dazwischen hätten sie gemeinsam gegessen, manchmal ein wenig gesprochen. Es habe sich eine wortlose Zusammenarbeit und ein gegenseitiger Respekt entwickelt. Ähnliche Erlebnisse hatten auch andere Modelle beschrieben.

Daniel Herrmann, Kurator der Freud- Ausstellung in London, kritisierte jene, die behaupten, Freud beabsichtigte, seine Modelle bloßzustellen, zu beleidigen und verzerrt darzustellen. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Freud habe über viele Monate ein Arbeitsverhältnis zu den Porträtierten entwickelt, und die Modelle seien mit den Darstellungen zufrieden gewesen. Selbst das Supermodel Kate Moss akzeptierte, dass sie in ihrem Porträt nicht wie eine zeitlose Schönheit aussah, und war begeistert von dem Ergebnis.

Die meisten Modelle wählte er aus seiner privaten Umgebung aus. Er wollte sie darstellen, als wären sie entspannt und unbeobachtet. "Ich arbeite wie ein Tierwelt-Fotograf, von einem Tier fotografiert", beschrieb er seine Arbeitsweise.

14 Kinder

Freud war mehrmals verheiratet, hatte zahlreiche Liebschaften und 14 Kinder, die ihn als egoistischen Fanatiker beschreiben, den nichts anderes interessiert habe als seine Arbeit. Unter seinen Kindern sind vor allem die Modedesignerin Bella Freud, die Schriftstellerin Esther Freud und die Künstlerin Jane McAdam Freud bekannt. Einige Töchter hatte er - als Erwachsene - nackt in seinen Bildern verewigt. Ein Bild unterscheidet sich jedoch von allen anderen: "Large Interior, Paddington". Es zeigt eine Tochter als Kind, seitlich liegend mit einem traurigen Gesicht und einer Hand zwischen die Schenkel gepresst.

Seine Werke, die so einfach und realistisch aussehen, oft wie retuschierte Fotografien, waren das Ergebnis intensiver Beschäftigung mit den Modellen. Ähnlich wie sein Großvater Sigmund Freud näherte er sich den Menschen auf fast psychotherapeutische Art, um sie zu verstehen, studierte sie monatelang und übermalte immer wieder die Bilder. Seine Tochter Rose Boyt, die er porträtierte, als sie 18 Jahre alt war, erzählte in einem Interview, dass sie vier bis fünf Stunden mehrmals die Woche meist während der Nacht ruhig sitzen musste und oft darum bettelte, auf die Toilette gehen zu können. Freud akzeptierte keinerlei Vorbereitungen der Modelle. Kein Make-up, kein Friseurbesuch, keine polierten Nägel. Oft kamen sie verschwitzt ins Atelier, mussten sich ausziehen, kein Waschen, kein Duschen, nicht einmal die Haare kämmen, er wollte sie so malen, wie sie in diesem Augenblick aussahen, wenn sie sich erschöpft niederließen. Es interessierte ihn keine geschminkte Wirklichkeit. Er suchte den Kontakt zu seinen Modellen, malte nur Menschen, die ihm sympathisch waren. Ein einziges Mal nahm er einen Auftrag von jemanden an, den er nicht leiden konnte: vom Buchhändler Bernhard Breslauer. Das Ergebnis sei so abscheulich gewesen, dass Breslauer das Bild zwar bezahlte, jedoch dann sofort vernichtete.

Londoner Schule

Freud studierte Malerei in London, stellte sich der Öffentlichkeit zum ersten Mal 1943 als Illustrator der Gedichte von Nicholas Moore vor und 1944 mit seiner ersten Ausstellung in London. Er besuchte mehrmals Picasso und Giacometti, war mit Francis Bacon und Frank Auerbach befreundet. Bacon überredet ihn, seine Technik zu ändern. Seine ersten Arbeiten zeigten eher zarte Striche. Erst später malte er mit dicken, breiten Pinsel, großflächig in gedämpften Beige-und Grautönen und repräsentierte als Vertreter der "Londoner Schule" eine - oft die Grenzen der Zumutbarkeit ignorierende -realistische Malerei als Reaktion auf die abstrakte Kunst der Nachkriegsjahre.

Neben der Malerei waren Wetten bei Pferde- und Hunderennen Freuds liebste Freizeitbeschäftigung. Alfie McLean, ein einfacher Buchmacher in Nordirland, übernahm seine Wetten. Wenn die Spielschulden nicht mehr zu bezahlen waren, musste Freud ihm eines seiner Gemälde überlassen. Im Laufe der Jahrzehnte schuldete Freud ihm so viel Geld, dass McLean heute eine der größten privaten Sammlungen von Freuds Werken besitzt mit einem Wert von mehr als 100 Millionen Pfund. Als vielfacher Millionär starb Freud 2011 in einer einfachen Wohnung oberhalb seines Ateliers in London.

Die National Gallery in London zeigt derzeit eine Sammlung seiner wichtigsten Arbeiten anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers.

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