Denkt Leyla Piedayesh an ihre Kindheit in Teheran, wo sie 1970 zur Welt kam, ist es ein Ort fernab heutiger Greuel. Dann hat die Modedesignerin den Geruch aus Bäckereien mit Steinöfen in der Nase. Vor ihren Augen tanzen die Lichter der Abendmärkte und sie weiß genau, wie die kleinen Stände aussahen, die Maiskolben, Mandeln oder Walnüsse in Salzlauge verkauften. Liebevoll gedeckte Tische und große Familienfeste prägten den Alltag. Piedayesh war neun Jahre, alt als die "Islamische Republik" gegründet wurde und der Schah Mohammad Reza Pahlavi ins Exil ging. Die 53-Jährige emigrierte damals mit ihrer Familie ins deutsche Wiesbaden zu Verwandten. "Die Wurzeln kannst du aber nicht abschneiden", sagt sie.
Vergangene Woche verhinderten iranische Hardliner den Einsatz einer Schiedsrichterin beim Derby Esteghlal - Persepolis in Teherans Azadi-Stadion. Fernab des Rasens hätte die international erfahrene Unparteiische Mahsa Ghorbani in einem Extrazimmer ihren Job in der Videoassistenz antreten sollen. Medien nannten es ein "historisches Ereignis". - Zuviel für das autoritäre iranische Regime.
Verankerung in der Kultur gibt Kraft
Das feine, farbenreiche Kunsthandwerk mit seinen Teppichen, Kupfertellern, Bilderrahmen, Kachelarbeiten und Kissen ist es, das Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai mit ihrer Kindheit im Iran verbindet. "Man kann stundenlang auf den Teppichen liegen und schauen, was da für Geschichten eingewoben sind", sagt die 56-Jährige, die auch 1979 in Deutschland ankam. Dann sei da natürlich das fantastische Essen, von dem "man nie wieder wegkommt"."All das ist vielen Iranern -selbst in der Diaspora -bedeutend und wertvoll, es verbindet sie emotional. Und sie engagieren sich mit Leib und Seele", beschreibt Tabatabai den hohen Stellenwert von Familie und Gemeinschaft in Irans Kultur. Als Weltmeister im Socializen bezeichnet sie Iraner. "Undenkbar" sei, dass jemand sich beschwert, weil er zu Weihnachten die Familie besuchen muss.
ISABEL ABEDI, KINDER-UND JUGENDBUCHAUTORIN
Der iranische Vater der Kinderbuchautorin ("Lola", "Whisper") verschwand nach ihrer Geburt aus ihrem Leben, dennoch wurden Abedi später persische Angewohnheiten nachgesagt. Die Suche nach dem Vater wurde Thema ihrer Bücher. Seit den Protesten 2022 fand sie verstärkt zu ihren iranischen Wurzeln und lernt seit damals Farsi. Freunde schenkten ihr ein Kästchen mit Erde aus Isfahan, eine "echte Gabe", wie sie sagt. "Ich habe mit Mitte 50 das Gefühl, eine ganz große Familie gefunden zu haben. Menschen, die sagen: Du gehörst hier zu uns."
Netzwerke machen stark
Jasmin Tabatabai erzählt ihre Geschichte im Buch "Irans Töchter", das Leyla Piedayesh als Herausgeberin auf den Weg gebracht hat. Es beleuchtet die Lebensgeschichten 18 mutiger Frauen mit iranischen Wurzeln in Deutschland und ist per se Beweis für die Kraft und den Tiefgang weiblicher Netzwerke: Der Callwey-Verlag wollte ursprünglich ein Buch über Piedayeshs Leben und die Mode der Gründerin und Chefdesignerin des Labels Lala Berlin herausbringen. Doch kurz zuvor hatte die Ermordung der iranischen Schülerin Jina Mahsa Amini durch die Sittenpolizei im Herbst 2022 die Welt erschüttert. Piedayesh hatte sich mit Tausenden anderen iranischstämmigen Menschen auf einer Demonstration in Deutschlands Straßen unter dem kämpferischen Motto "Frau, Leben, Freiheit" wiedergefunden. Es musste ein Buch über die Kraft der Veränderung werden, befand sie. "Irans Töchter -eine Hommage an die Schönheit des Lebens" erzählt von den unsichtbaren Fäden, die Menschen verbinden, die bereit sind, alles für eine bessere Welt zu geben.
JASMIN TABATABAI, SCHAUSPIELERIN UND SÄNGERIN
Die Schauspielerin ("Bandits") und Sängerin (Echo Jazz, 2012), wuchs in Teheran und in Schodja-Abad auf, wo ihr Vater Baumwolle anbaute. Ihre deutsche Mutter war dem Vater in den Iran gefolgt und begeistert in dessen Kultur eingetaucht. Tabatabai war zwölf Jahre alt, als die Familie nach Deutschland flüchtete. Blickt sie auf ihre Wurzeln sieht sie ein Land geraubt "von einem Haufen unzivilisierter religiöser Fanatiker, die das viertreichste Land der Erde auspressen und die Leute verhungern lassen. "Die Frauen leben uns den Willen zu Freiheit, Solidarität und Resilienz vor", ist sie überzeugt und davon, dass dies fernab "unserer Hybris, dass dies nur die Iranerinnen und Afghaninnen brauchen", wir alle brauchen.
Die Unterdrückung nährt den Mut
Vergangenen September beschloss Irans Parlament eine Verschärfung der Strafen für Verstöße gegen die Kleidervorschriften. Die Autos Zehntausender Frauen wurden laut Amnesty International beschlagnahmt, weil die Frauen sich repressiven Verschleierungsvorschriften widersetzt und als Alltagsprotest kein Kopftuch getragen hatten. Frauen werden strafrechtlich verfolgt und zu Peitschenhieben, Geldstrafen oder Gefängnisstrafen verurteilt. Der Widerstand der Protestbewegung soll gebrochen werden. Die Frauen, und an ihrer Seite viele Männer, kämpfen weiter. Woher nehmen sie den Mut?
Leyla Piedayesh war zuletzt vor sieben Jahren im Iran. Zur weitschichtigen entfernten Verwandtschaft ist der Kontakt leider rar, doch ihre Antwort kommt rasch. "Der Unmut macht dich mutig, weil du keine Perspektive und keine Hoffnung mehr hast. Die meisten dieser Frauen, die auf die Straße gehen, sind jung. Sie sind in diesem Gefängnis aufgewachsen. Für sie gibt es nur die Frage: Will ich weiterhin im Gefängnis leben oder bin ich bereit, mein Leben zu opfern, damit dieses Gefängnis irgendwann ein Ende hat", sagt die Designerin. Jeder Funke habe in dieser Situation das Zeug, Hoffnung von immensem Ausmaß entfachen zu können, ist Piedayesh sicher: "So groß, dass du bereit bist, dafür alles zu tun. Und wenn es nicht für dich ist, dann ist es für die anderen."
Das Regime wird gehen, kein Zweifel
Model Shermine Sharivar wurde vom iranischen Regime Anfang der 2000er-Jahre zur offiziellen Feindin erklärt, weil sie sich am roten Teppich in Cannes öffentlich im Abendkleid sehen ließ. Als Kind musste sie drei Jahre lang um den Vater bangen, der als Pilot des Schahs inhaftiert worden war. Die Mutter sorgte sich Jahre danach in Deutschland noch vor dem langen Arm des Regimes. Sharivar trotzt der Angst: Im Herbst 2022 malte sie sich beim "Tribute to Bambi" den Wunsch "Azadi -Freiheit - Freedom" mit Lippenstift auf die Haut von Armen und Dekolleté, um das Leid der Menschen im Iran sichtbar machen. Zur Demonstration nahm sie ihre zehnjährige Tochter mit. Wenn die Proteste Erfolg haben, werden sie gemeinsam in den Iran reisen und die Tochter das Land der Großeltern erleben, so das Ziel der 41-Jährigen.
SHERMINE SHARIVAR, MODEL UND SCHAUSPIELERIN
Sharivar war ein Jahr alt, als die Mutter mit ihr und zwei Brüdern nach Deutschland floh. Der Vater war als Pilot des Schahs inhaftiert, wurde gefoltert und kam Jahre später nach. Trotz arger Sorgen der Mutter kampagnisiert Sharivar gegen Irans Regime, das sie offiziell zur Feindin erklärte. Beim "Tribute To Bambi" 2022 machte sie auf den Kampf iranischer Frauen aufmerksam. Die Freiheitsbewegung habe ihr Kontakt zu iranischen Menschen beschert, die ihr "mit ihrer Melancholie, Angst, aber auch schönen Seiten des Perser-Seins aus der Seele sprechen", sagt sie. Und: "Ich fühle mich immer mehr persisch"
Jasmin Tabatabai ist überzeugt, dass es so weit kommen wird. "Ich habe keinen Zweifel, dass dieses Regime gehen wird. Das System ist marode, korrupt, kaputt, und die Zivilbevölkerung ist gegen das Regime", sagt sie. Der Mut der Frauen wird entscheidend sein: "Niemand muss den Iranerinnen etwas beibringen. Ich bin aufgewachsen mit starken iranischen Frauen, die den Männern nicht nur zunicken." Mit Resilienz und Mut werden sie weiter kämpfen und Frauen wie sie selbst im Exil dafür sorgen, dass es nicht übersehen wird, sagt Tabatabai.
Sei es über ein Buch, das "zu mehr Liebe und Verständnis beiträgt", wie Herausgeberin Piedayesh sagt, als "Einladung in Menschen hineinzuschauen und sich wirklich zu begegnen.
Bis "Frau, Leben, Freiheit" als feministische Variante des französischen "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" in der Gesellschaft angekommen ist.
Das Buch
Herausgeberin Leyla Piedayesh und Autorin Stefanie von Wietersheim beleuchten in "Irans Töchter" * Lebensgeschichten von 18 Frauen mit iranischen Wurzeln (Callwey).
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/2024 erschienen.
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