Das Leben belehrte den Autor Lars Amend eines Besseren. Nach dem Erfolg kam die Krise. Auf der Reise aus dem Tief schrieb er den Bestseller "Dieses bescheuerte Herz". Krisen nimmt der Autor mit Neugierde. Wie bleibt sein Ja zum Leben, wenn Amend von Schattenseiten der Kindheit und dem Abschied von seiner Mutter spricht? Eine Begegnung mit Heilpotenzial.
Im Außen hatte er alles. Im Inneren nagte die Leere. Seine Biografie über den damals erfolgreichsten Rapper Deutschlands, Bushido, hatte Lars Amend als Debütant auf Platz eins der Bestsellerlisten katapultiert. Aus der Hip-Hop-Biografie hatte Bernd Eichinger popkulturelle Filmgeschichte geschaffen – mit Elyas M’Barek, Hannelore Elsner und Moritz Bleibtreu in den Hauptrollen. Mittendrin lebte Lars Amend, gerade 30 geworden, zwei Jahre lang auf roten Teppichen, Filmpremieren und Partys.
"Ich dachte, wenn ich Nummer eins bin, ist alles gut. Das war es nicht", sagt Amend. Gut ein Jahrzehnt später wirkt er angekommen, wenn er genussfreudig Früchte mit Joghurt und Ei mit Lachs zum Frühstück bestellt. In bildhafter Sprache und Freude am Erzählen wird der 46-Jährige eine Stunde lang die komplexen Erfahrungen entwirren, die ihn zum gefragten Speaker machen.
Damals, auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere, fiel seine Seele in ein dunkles Loch. "Habe ich die Welt jetzt besser gemacht? Bewegt das irgendwas?", waren Fragen, die den Neo-Autor quälten. Amend suchte Antworten in Büchern, las "Eckhart Tolle, Paolo Coelho, Philosophisches und Spirituelles". Er fand einen Mentor im Gründer der deutschen Rockband Scorpions, Rudolf Schenker, ein eingefleischter Anhänger von Yoga und Meditation. Gemeinsam schrieben sie das biografische Motivations-Buch "Rock Your Life". Noch ein Bestseller. Das dumpfe Gefühl der Leere blieb.
LARS AMEND
geboren 1978 in Gießen ging mit 18 nach London, danach als Musikjournalist nach Berlin. Sein Buchdebüt "Bushido“ (2008) war Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde verfilmt, ebenso der autobiografische Roman "Dieses bescheuerte Herz" (2013). Amend ist 14facher Bestsellerautor, Speaker und Mentaltrainer und lebt mit seiner Partnerin Anahita und der dreijährigen Tochter bei Frankfurt.
Auf Sinnsuche in den Favelas von Rio
Dabei war Amend einer, dem zuvor alles scheinbar leicht von der Hand gegangen war. Nach der Matura jobbte er in London in Plattenläden, kam zurück, arbeitete in Berlin beim Radio, wurde beliebter Interviewer, sprach mit Amy Winehouse über die große Liebe, stellte mit Pharrell Williams Mixtapes zusammen, wurde mit Bushido zum Nr.-1-Autor.
"Ich habe nie etwas forciert. Ich habe einfach immer ausprobiert, was mich interessiert hat. Ich war neugierig auf das Leben", sagt Lars Amend auf die Frage, wie er aus pubertärer Leidenschaft – Musik! – einen Beruf machte. "Ich hatte tatsächlich nie Angst, etwas Neues auszuprobieren."
Auf der Sinnsuche spülte ihn das Leben darauf nach Rio de Janeiro. Eine Facebook-Bekanntschaft hatte ihn eingeladen. Er folgte seiner Neugierde aufs Leben. Und landete als einziger Weißer in den Favelas. Dem Bekannten war überraschend die Wohnung gekündigt worden, er musste zurück ins Armenviertel ziehen und Amend zog mit.
"Das waren unvorstellbare, kriegsähnliche Zustände. Die Drogenbanden hatten das Sagen. Teenager liefen mit Maschinengewehren durch die Straßen. Polizei wagte sich nur mit Militärfahrzeugen rein. Ich habe gesehen, wie Menschen erschossen wurden", erzählt Amend. Aber da waren aber auch die barfuß Fußball spielenden Kinder mit dem Strahlen im Gesicht. Sie beeindruckten den Deutschen aus der privilegierten Welt mit dem fließenden Wasser zu Hause und der Krankenversicherung im Rücken.
"Wenn du nicht weißt, ob du morgen noch unversehrt vom Strand zurückkehrst, lebst du im Jetzt. Dann zählt nur das Heute und das genießt du auch", formuliert der Autor seine prägende Beobachtung aus dieser Zeit. "Dann saß ich zu Hause in meiner Berliner Wohnung nach dem krassesten Sommer meines Lebens und hatte trotzdem noch immer das Gefühl, es fehlt etwas."
Das Treffen, das sein Leben änderte
"Wir haben im Kinderhospiz diesen neuen Jungen, schwer herzkrank, Blutgerinnsel im Kopf, Wasser in der Lunge. Wir bereiten ihn gerade auf den Tod vor. Wenn du nach dem Sinn des Lebens suchst, besuche ihn doch mal für einen Tag", sagte eine Bekannte, die Lars Amend zum Kaffee traf.
Wieder ließ er sich auf das Unbekannte ein. Diesmal änderte es Amends Leben für immer. Er traf den 15-jährigen Daniel Meyer. Der Junge wuchs ihm wie ein kleiner Bruder ans Herz. Im autobiografischen Roman "Dieses bescheuerte Herz" (2013) erzählte Amend die Geschichte der beiden. In der Verfilmung 2017 war Elyas M’Barek als Lars Amend zu sehen. Der Film wurde mit über zwei Millionen Kinobesuchern zu Deutschlands erfolgreichstem des Jahres. Meyer ist heute 26 Jahre alt und Familie für Amend, seine Partnerin Anahita, eine Grundschullehrerin, und deren gemeinsame dreijährige Tochter.
Sein erstes Treffen mit Daniel Meyer im Kinderhospiz hat sich eingeprägt:
"Da ist dieser Junge mit roten Haaren und Sommersprossen. Er läuft auf mich zu, springt auf mich rauf und sagt: Endlich bist du da! Dabei kennt er mich gar nicht. Ich dachte: Das hättest du sein können. Da hat es Klick gemacht. Er konnte genauso wenig für seine Krankheit, wie ich für mein Glück, nicht krank zu sein", sagt der Autor über den lebensverändernden Moment. Ihm wurde damals eine Erkenntnis geschenkt, die ihn bis heute durchs Leben leitet.
"Aufgeben ist keine Option, egal, wie schlimm eine Lebenssituation ist. Solange du morgens aufwachst, hast du diesen Tag. Mach’ das Beste draus. Du wirst mit 50 Jahren vielleicht kein Fußballprofi mehr. Dir geht es vielleicht richtig schlecht, weil du deinen Job verloren hast oder dich dein Freund verlassen hat. Du wirst vielleicht nicht mehr gesund, weil du eine schwere Erkrankung hast. Trotzdem kannst du jeden Tag auf dieser Erde nutzen", bringt Amend sein Lebensmotto auf den Punkt. Daniel Meyers Herzleistung ist heute unter neun Prozent. Aber er lebt. Darauf könne man sich konzentrieren, sagt Amend: "Denn was ist die Alternative?"
Lars Amend ist keiner, der so tut, als wäre das Leben aus dem richtigen Blickwinkel jeden Tag rosarot. Er sei das Gegenteil von einem Guru, der weiß, wie es geht, sagt der Autor. Dennoch kommen Menschen zu seinen Shows, um ihm live zuzuhören. Bei damit verbundenen Begriffen wie Motivations-Speaker, windet er sich. "Ich behaupte nicht zu wissen, wie es funktioniert, sondern erzähle aus meinem Leben. Wie es gehen kann, ohne perfekt zu sein. Ich versuche, die Menschen daran zu erinnern, wie wichtig es ist, die eigenen Träume nicht aufzugeben", erklärt er sein Selbstverständnis.
Im Tod ein Leben finden
Im Jänner hat der Autor seine Mutter verabschiedet. Monatelang hat er sie zuvor durch die Krebserkrankung begleitet, ihre Hand am Sterbebett gehalten, gesehen, wie das Leben aus dem Körper wich, beschreibt er. Amend: "Du spürst, dass alles, was diesen Menschen ausgemacht hat, weg ist. Ich kann jedem nur empfehlen – so schmerzhaft es ist –, nicht zu sagen, ich ertrage das nicht. Sondern sich die Zeit zu nehmen, da zu bleiben, im Krankenhaus zu übernachten. Man kann den Schmerz zulassen und gemeinsam durchgehen. Das schafft eine neue Verbindung. Der Tod hat danach eine neue Bedeutung und das Leben bekommt eine neue Wertigkeit. Du kannst Frieden schließen und sagen: Wir lassen uns jetzt gemeinsam gehen, es gibt nichts zu bereuen."
Mit dem Mediziner Sven Gottschling schrieb Amend 2016 den Bestseller "Leben bis zuletzt: Was wir für ein gutes Sterben tun können". Er hat gelernt, den Tod wie einen Test zu betrachten. "Hat der Mensch getan, was er tun wollte? Oder Chancen vertan? Wie wäre es, würde ich heute sterben? Ist mein Leben für andere ein Vorbild oder eine Warnung?", formuliert Amend die Testfrage. "Für mich ist der Tod eine Erinnerung daran, weiter herauszufinden, wer ich bin in dieser Welt. Ich zu bleiben. Meinen Weg zu gehen. Nichts zu vergeuden. Etwas zu wagen. Deswegen gehe ich auf die Bühne und sage: Leute, probiert euch aus! Ihr müsst keine Superstars werden. Ihr könnt euren Traum auch als Hobby leben, er muss nicht gleich zum Fulltime-Job werden. Hauptsache ihr tut, was ihr tun möchtet! Das Schlimmste wäre, am Ende eines Lebens sagen zu müssen, ich habe Chancen nicht ergriffen, weil ich mich nicht getraut habe."
Alle Seiten sehen und gut auswählen
Lars Amend war zehn Jahre alt, als sich seine Eltern scheiden ließen. Mit seinem Bruder Christoph, Editorial Director der "Zeit", wuchs er beim Vater auf, die Mutter arbeitete in Frankfurt an der Börse. "Sie war eine Karrierefrau, die all ihre Zeit in den Beruf gesteckt hat. Natürlich haben wir Kinder darunter gelitten, dass sie 60 Kilometer weit weg war. Sie hat uns geliebt, aber sie hatte diesen Traum zu zeigen, was in ihr steckt. Das hat sie geschafft", erzählt Amend wie „alles mehrere Seiten“ hat.
Er erforscht die vielen Seiten des Lebens mit Empathie. Er hörte die Kolleginnen der Mutter, die beim Begräbnis von deren Vorbildfunktion in der männerdominierten Welt der Börse schwärmten. Er ging dem Antrieb der Mama auf den Grund, die als Heimatvertriebene aus Schlesien nach Stuttgart kam und viel Ausgrenzung erfuhr.
"Sogar ihr Lehrer sagte: Du sprichst gut Deutsch dafür, dass du keine von uns bist", erzählt Amend. Er beschreibt seine Mutter als Kämpferin, die schon als Kind ihr Glück einklagte: Obwohl nicht eingeladen, fuhr sie zur Geburtstagsfeier einer Klassenkameradin und bat mitfeiern zu dürfen. Sie durfte.
"Sie hat sich von niemandem etwas sagen lassen. Es war schön, sie sagen zu hören: Ich hatte ein gutes Leben. Die Schattenseite war, dass ich meine Mama in meiner Kindheit nur am Wochenende gesehen habe", stellt er die Komplexität des Lebens fest. Zwischen diesen Polen kann man wählen, wenn man das Leben betrachtet.
Im eigenen Leben der Wichtigste sein
Ein Zitat auf Lars Amends Website verrät, für welche Seite er sich entschieden hat: "Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben." Ein provokantes Statement für den Vater einer Dreijährigen? Amend winkt ab.
"Ich würde für meine Tochter sterben. Trotzdem bin ich der wichtigste Mensch in meinem Leben. Nur, wenn mein Akku voll ist, kann ich ein guter Vater sein. Ich tue meiner Familie keinen Gefallen, wenn ich ausgebrannt ins Bett falle und mich frage: Was tue ich da eigentlich?", sagt er.
Die Alltagstauglichkeit dieser Einstellung beschreibt er anhand des Bildes von einem Boot, das mal er steuert, mal seine Partnerin "und wenn wir beide keine Kraft haben, darf es auch ein paar Tage treiben". Zusammen haben sie eine Mut-mach-Buchserie für Kinder geschrieben. Als Eltern sind ihnen fünf Glaubenssätze für die Tochter Leitfaden: "Ich bin klug. Ich bin stark. Ich bin geliebt. Ich bin in Sicherheit. Ich kann alles schaffen, was ich will." Es gehe darum, Fehler machen zu dürfen und sich dabei geliebt zu fühlen. Auch die Tochter sei schließlich der wichtigste Mensch in ihrem Leben.
Größter Feind des Glücks ist das Ego
Fragt man den Motivationscoach nach dem größten Feind des Glücks, kommt die Antwort rasch: "Der größte Feind des Glücks ist das Ego, das dir sagt, du brauchst noch mehr", so Amend. "Ich sage nicht, dass Geld schlecht ist. Du wirst damit ein paar Probleme lösen, aber dafür kommen ein paar andere Probleme dazu. Nichts im Außen kann dich im Inneren heilen."
Auf dem Gipfel des Berges fände man sein Glück nur, wenn man es selbst mit nach oben getragen habe, zitiert Amend eine buddhistische Weisheit. Der Mann, den die Krise am Gipfel seines ersten Erfolges einholte, weiß, wovon er spricht.
Lars Amend für Kinder. Der Jung-Papa hat mit seiner Partnerin Anahita die Buchreihe "Die kleine Ratte Kwiik" für Kinder ab drei Jahren geschaffen. Es geht um Mut und Selbstakzeptanz und liefert Impulse für Eltern, altersgerecht über Toleranz und Anderssein zu sprechen (ab 9. 8. 2024, Oetinger).
Die kleine Ratte Kwiik macht stark. Weil ich wichtig bin: Ein Wimmelbuch, das Kinder stark macht. Bestärkende Affirmationen für Kinder ab 2 Jahren von Bestseller-Autor Lars Amend
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 29/2024 erschienen.