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Kabarettistin Antonia Stabinger: Humor als Vehikel für Sinnstiftendes

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Mit ihrer Mischung aus absurdem Humor, scharfer Beobachtungsgabe und Lust an gesellschaftskritischen, heiklen Themen hat sich Antonia Stabinger als eine der interessantesten Kabarettstimmen etabliert. Ihr Solodebüt „Angenehm“ festigt diese Position. Nicht nur auf der Bühne tritt Stabinger an, um etwas zu bewegen

Spricht Antonia Stabinger von Arbeit, klingt das in ihren Ohren herrlich infantil. „Wenn ich von meinem Beruf spreche, sage ich, ich spiele heute Abend“, stellt die 39-jährige Kabarettistin fest. Der Spaß an diesem Beruf, dem sie vor rund 15 Jahren erlegen ist, bringt die Augen der Grazerin zum Leuchten. „Ich denke mir Geschichten aus. Ich verkleide mich. Ich gehe auf eine Bühne und rufe innerlich: Alle herschauen bitte“, beschreibt sie genussvoll den Job. „Mit meiner zweijährigen Tochter bin ich diesbezüglich sehr auf einer Wellenlänge“, schiebt die Schnell-, Viel- und Durchdacht-Rednerin hinterher.

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„Aus Spaß“ zum ersten Platz

Etliche Preise räumte sie seit ihrem Debüt auf der Kabarettbühne ab, für die sie wie geschaffen scheint. Zwischen dem Grazer Kleinkunstvogel 2009 und dem Förderpreis beim Österreichischen Kabarettpreis 2017 bleibt rätselhaft, wie sie je von einem anderen Beruf träumen konnte. „Ich hätte nach der Matura niemals gedacht, dass aus mir eine Kabarettistin wird. Das ist mir passiert“, beschreibt sie. Ursprünglich wollte sie sich hinter der Kamera als Regisseurin verwirklichen und sammelte als Autodidaktin beim Schreiben und Inszenieren von Kurzfilmen und Musikvideos Erfahrung. „Wenn aus vielen Ingredienzien, die du zusammengeführt hast, auf der Leinwand ein schönes Ganzes wird, ist das ein wunderbares Gefühl“, schwärmt Stabinger.

Beim Studentenjob im Grazer Theatercafé erlag sie dann doch der Verlockung der Bühne, als man ihr ein Mikrofon in die Hand gab. Neben dem Kartenabreißen zählten Durchsagen zum Rauchverbot zu ihren Aufgaben. „Ich war immer versucht, was Lustiges daraus zu machen“, erinnert sie sich. „Zum Spaß“, wie sie sagt, schrieb sie mit ihrer Bekannten Ulrike Haidacher ein 15-minütiges Programm, bewarb sich beim Kabarettwettbewerb Grazer Kleinkunstvogel und das Duo holte den Hauptpreis. Damals war Stabinger 24 Jahre alt. Zwei Jahre später wagte sie erstmals die Berufsbezeichnung von „Studentin“ auf „Kabarettistin“ zu ändern, an dem Punkt, als die Bühnenleidenschaft Geld in die Kassa spülte.

„Plötzlich war es ein Selbstläufer“, fasst Stabinger die folgenden Meilensteine zusammen. Im Duo „Flüsterzweieck“ mit Ulrike Haidacher schuf sie fünf preisgekrönte Programme. Aus einem Radio-Gastauftritt bei FM4 wurden die tagespolitischen Radiosatiren „Traumtagebuch“ und „Die Zudeckerin“ sowie die Mockumentary-Serie „Das magische Auge“ mit Leopold Toriser und Berni Wagner und Elias Hirschl. Stammplätze als Autorin und Darstellerin in ORF-Satireformaten („Was gibt es Neues?“, „Wir Staatskünstler“, „Pratersterne“) waren die logische Folge.

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 © Matt Observe/News

Ein Weg gegen die Norm

Ihrer Begabung zum Ja-Sagen und zur Entscheidungsfreudigkeit sei der Erfolg geschuldet, findet Stabinger eine Erklärung. Vor dem großen Ziel steht auf ihrem Weg stets die Lust am Ausprobieren und einer schnellen Umsetzung. Auch ihr Debüt als Solokabarettistin war anfangs nicht das erklärte Ziel. Es ist aus dem durchschlagenden Erfolg der feministischen Kunstfigur „Clit/Doris“, die sie im hellrosa-pinken Vulva-Kostüm spielt, gewachsen.

Kurz nachdem „Clit/Doris“ vor zwei Jahren auf Social Media ihren ersten Auftritt hatte, ging die feministische Kunstfigur durch die Decke. „Meine Großcousine saß in Holland in ihrer Schulklasse und plötzlich sah sie auf dem Handy ihres Schulkollegen in seinem Tiktok-Feed ihre Verwandte als Klitoris“, erinnert sich Stabinger.

Die Frage eines Kabarettbühnenchefs nach einem Soloprogramm kam prompt und führte zur Premiere von Stabingers Debüt „Angenehm“ vergangene Woche (siehe Kasten). Für die Grazerin scheint ein Weg gegen die Norm der richtige zu sein. „Normalerweise schreibt man, macht Textarbeit, probt, geht auf eine Bühne und kommt irgendwann ins Fernsehen. Bei der Figur Clit/Doris war alles verkehrt, da habe ich im Fernsehen angefangen zu proben.“

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Humor als Vehikel für Sinnstiftendes

Zum Spaß, den Stabinger dabei hat, für feministische Botschaften in ein Vulvakostüm zu steigen, kommt ihr klarer Blick auf ihre gesellschaftliche Aufgabe.  „Die Diskriminierung durch das Patriarchat beginnt damit, dass Frauen kommuniziert wird, es fehle ,da unten‘ etwas“, erklärt sie die Geburtsstunde ihrer Protagonistin.

Gesellschaftskritische Pointen, die rund um Themen wie Populismus, Schönheitswahn und Klimaschutz wachrütteln, sind ihr wichtig. „Auf der Bühne haben wir immer die Verantwortung, das Rampenlicht für etwas Sinnvolles zu verwenden“, formuliert Stabinger. Für sie bedeutet das, mächtige und privilegierte Gruppen ins Visier zu nehmen, „nach oben, statt nach unten zu treten“. Dabei geht es ihr darum, relevante Themen einem breiten Publikum zugänglich zu machen: „Die Herausforderung ist, sie so zu verpacken, dass in die richtige Richtung gelacht wird.“

Auf ein Bier mit Deutschen?

Stabingers Humor ist neben Absurditäten und Überraschungen auch von Wortspielen geprägt. Letzteres mag an ihrer Vergangenheit als Germanistikstudentin liegen. Ihre Diplomarbeit in Linguistik schrieb sie zum mit gesellschaftlicher Spannung beladenen Thema Dialektologie, genauer zum Zusammenhang zwischen Sympathie und Dialekten. „Ich habe durch empirische Untersuchgen nachgewiesen, dass wir aufgrund eines Dialekts Menschen unterschiedlich sympathisch finden. Wir in Österreich halten Deutsche zwar für sehr kompetent und würden sofort ein Auto von ihnen kaufen, aber eher nicht auf ein Bier mit ihnen gehen. Die Deutschen wiederum empfinden uns wegen unserer Art zu sprechen charmant, aber wenig kompetent oder verlässlich.“

Ihre Liebe zu Wortspielen sei auch dem Vater geschuldet, sagt Stabinger auf die Frage nach Prägungen. Das Selbstbewusstsein, Chancen mit einem Ja zu begegnen und Veränderungen anstoßen zu wollen, verortet sie ebenfalls im steirischen Elternhaus. Musik und die künstlerische Förderung der Töchter spielten dort eine große Rolle. „Meine Eltern waren leidenschaftliche Amateurmusiker, die sich mit Freunden zum Kammermusik-Spielen getroffen haben. Meine Mutter war mit 22 Jahren mit brennendem Herzen fünf Stunden für Wagner-Opern am Stehplatz. Kreative Ideen waren zu Hause immer von Freiheit geprägt und sind bestärkt worden. Das hat den Weg auf die Bühne sicher begünstigt“, erzählt die Kabarettistin.

Antonia Stabinger live in Österreich:

Noch sinnvoller als die Bühne

Seit vor eineinhalb Jahren ihre Tochter, ein Pflegekind, bei ihr eingezogen ist, findet sich auch Mutterschaft als Thema in ihrem Programm. Während der Zeit der Pandemie wurde Stabinger klar, dass sie auch abseits der Bühne „etwas Sinnvolles tun“ will. „Ich wollte das Leben von zumindest einer Person signifikant besser machen“, beschreibt sie ihre Gedanken. „Diese Kinder sind schon da. Sie brauchen dringend ein sicheres Zuhause. Es ist tatsächlich das sinnvollste Konzept, von dem ich je gehört habe“, erklärt sie.

Schon im Kurs, den Pflegeeltern absolvieren müssen, wusste sie, dass es die richtige Entscheidung war: „Dort sitzen Heteros, Homosexuelle, Singles. Dort ist es wirklich 2024.“ Bei allen Anstrengungen rund um die Elternschaft, die sie auf der Bühne als „absurdes Konzept“ mit dennoch vielen Anhängern gekonnt karikiert, war die Entscheidung zur Pflegetochter „die beste Entscheidung meines Lebens“ stellt Stabinger fest. „Wir haben es wahnsinnig lustig zusammen.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2024 erschienen.

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