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Was sind Se nun, Herr Rindt -sind Sie 'n Deutscha oda 'n Öst 'reicha?", fragte 1964 Deutschlands damals berühmtester Motorsportjournalist Richard von Frankenberg den gerade 22-jährigen Karl-Jochen Rindt in der Sprecherkabine des Nürburgrings anlässlich des 1.000-Kilometer-Rennens. Nach einer kurzen Pause kam in einem nasalen Ton die Antwort, als hätte er Polypen: "Naa, i seh mi ea ois Europäa."
Ein Kurzgespräch hatte sich damals ergeben, dessen Inhalt viel später von großer Bedeutung sein sollte.
Am späten Nachmittag des 18. Aprils 1942 brachte die aus Graz-Eggenburg stammende und mit dem Mainzer Fabrikanten Karl Georg Ludwig Rindt in zweiter Ehe verheiratete Juristin Ilse Olga Martinowitz ihren zweiten Sohn Karl-Jochen in Mainz zur Welt. Zwei Monate später kam das Ehepaar beim Bombardement der Alliierten auf Hamburg ums Leben - Klein-Jochen wuchs bei den Großeltern in Graz auf.
Popstar, Rüpel und Idol
Erich Glavitza, als Stuntman ("Le Mans") einst eine Koryphäe im Verbeulen hochmotorisierter Sportgeräte, Journalist und obendrein noch promovierter Philosoph, hat anlässlich des 20. Todestags von Rindt ein Buch ("Jochen Rindt: Ikone mit verborgenen Tiefen") verfasst, das seinen Lebensweg von der wohlbehüteten Kindheit bei den Großeltern und den pubertären Eskapaden bis zum tragischen Ende in Monza akkurat verfolgt. Der Autor, der mit Rindt in Leoben die Schulbank des dortigen Gymnasiums drückte, schildert Rindt nicht nur als strahlenden Rennhelden, den viele zum ersten Popstar der Formel 1 hochstilisierten, sondern auch als oft grantelnden, kettenrauchenden Steirerbuam mit allerdings deutschem Pass.
Die scheibchenweise Erbschaft aus der väterlichen Gewürzmühle KLERI in Mainz ermöglichte dem rennbesessenen jungen Mann den Erwerb diverser Boliden - von einem Simca Monthléry über eine Alfa Giulietta TI bis zu einem Formel-Junior-Cooper. Vor allem in England reüssierte Rindt bei diversen (Flugplatz-)Rennen.
Tolles Le Mans, tödliches Monza
Erster Meilenstein in Rindts Karriere war 1965 der Sieg beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans auf einem (unterlegenen) Ferrari 250 LM, den er mit dem Amerikaner Masten Gregory teilte. Dass aber ein nicht gemeldeter dritter Mann namens Ed Hugus etliche Kilometer in den französischen Asphalt brennen musste, weil Gregory nichts mehr sah und Rindt unauffindbar war, ist ein besonderes Motorsportgeheimnis, das lange nicht gelüftet wurde.
In der Formel 2 hatte Rindt die gesamte Weltklasse, die in dieser Liga gerne startete, gebügelt. Jetzt, man schrieb das Jahr 1970, saß er endlich in einem Auto, das aussah wie von einem anderen Stern. Der vom schlitzohrigen wie gleichermaßen genialen Colin Chapman erdachte Lotus 72 fuhr auch so. Rindt gewann mit dem Boliden mit den außenliegenden Kühlern vier Mal, fiel zwar ausgerechnet in Österreich aus, kam aber mit einem riesigen Punktevorsprung nach Italien, ins Autodromo Monza.
Es war der 5. September, 15.45 Uhr Ortszeit: Auf der Anfahrt zur Parabolica wurde Rindts Lotus in der Bremszone plötzlich unruhig und bog dann zuerst kurz nach links, dann nach rechts und dann wieder direkt nach links in die Leitplanken ab. Rindt, der sich stets geweigert hatte, die Oberschenkelgurte anzulegen, starb noch am Unfallort - eine gebrochene Rippe hatte die Aorta durchtrennt. Die vorderen Bremswellen wurden als Unfallverursacher ausgemacht.
Im Trubel der damaligen Rennbegeisterung wurde aus dem gebürtigen Deutschen Jochen Rindt, der stets mit österreichischer Rennlizenz fuhr, entgegen den FIA-Bestimmungen posthum ein österreichischer Weltmeister. Nur ist das laut Artikel 9.4 (siehe Faksimile) nicht korrekt. Rindt ist der erste deutsche Automobilweltmeister. Aber das werden heimische Chronisten und Fans garantiert nie akzeptieren.
Buchtipp: "Jochen Rindt: Ikone mit verborgenen Tiefen", (McKlein Publishing, € 99,90, 400 Seiten) von Erich Glavitza. Mit einem Vorwart von Bernie Ecclestone und Rindts Halbbruder Uwe Eisleben.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 28/2020.