Nach dem Konkreten sucht man im OEuvre der Künstlerin Joanna Gleich vergeblich. Längst ist die Abstraktion Narrativ ihrer farbexpressiven, flächigen Bildwelten. Dennoch entspringen ihre Werke stets einer Realität – ihrer Realität. Gezeichnet von Emotion und Energie
Video: Atelierbesuch bei Joanna Gleich
© VGN | Osama Rasheed
„Wien is a schöne Stadt“, entlockt die Nadel des etwas in die Jahre gekommenen Plattenspielers krächzend dem Vinyl. „Das weiß alle Welt“, stimmt Joanna Gleich beipflichtend ein. Wie recht er doch hat, der von ihr hoch geschätzte Liedermacher und Dichter Georg Kreisler. Immerhin ist Wien seit 1979 selbstgewählter Lebensmittelpunkt der in Polen geborenen Künstlerin. Längst sieht sie sich als Wienerin. „Immerhin habe ich quasi mein ganzes Leben hier verbracht. Als ich mit 17 Jahren das erste Mal in Wien war, hat mich die unbekümmerte Schönheit der Stadt mit ihrem menschlichen Herz sofort in ihren Bann gezogen – mir war klar, da will ich leben“, so Gleich, die hier ursprünglich als Dolmetscherin arbeiten wollte. Die Basis dafür, die der deutschen Sprache, wurde ihr bereits in Polen vermittelt. Ebenso wie die grundlegenden Techniken der bildenden Künste, die sie im darauf ausgerichteten Lyzeum in Opole erlernte. Die Entscheidung für zweiteres, die Kunst, war – wenn auch vielleicht nicht ganz bewusst – bereits im Alter von zwölf Jahren gefallen: „Damals habe ich aus eigener Motivation mit dem Malen begonnen“, erinnert sich die Künstlerin. Geht es nach ihr, der ideale Zeitpunkt, um damit anzufangen: „Dieses frühe Eintauchen und Erkunden dieser künstlerischen Welt eröffnet Perspektiven, die einen Vorteil verschaffen, der an keiner Akademie mehr aufholbar ist. Das hat damals eine Leidenschaft geweckt, die bis dato ungebrochen ist. Malen ist für mich keine Arbeit, es ist Leben – mein Leben.“
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Farbexpressiv. Die Vielschichtigkeit ihrer Arbeiten eröffnet Räume, die dazu einladen, immer Neues zu entdecken
© Lukas DostalMalerei ist Kopfsache
Der Dielenboden ihres Wiener Ateliers – im Künstlerviertel des 7. Bezirks – ist Zeugnis ebendieser Hingabe. Die Spuren bunter Ölfarbe, die sich hier über die Jahre des künstlerischen Schaffens unwillkürlich ansammelten, reichen teils zurück in die 80er-Jahre.
Während die mit Farbspritzern übersäten Dielen beinahe als eigenständiges Action Painting durchgehen könnten, spielt der Zufall, der im Schaffensprozess zwar immer irgendwo mitmischt, in Gleichs Werk eine untergeordnete Rolle. Die zahlreichen Porzellanschalen bestätigen ihr strukturiertes Herangehen – nach Farbabstufung geordnet, markieren sie gemeinsam mit den bunten Dielen den Ort des künstlerischen Geschehens. Noch deutlicher wird der strukturierte Ablauf, als sich die Künstlerin ans Werk macht. Davor schiebt sie rasch zwei weitere Holzscheite in den Ofen, ehe sie ihre Jacke ablegt. „Richtig warm wird’s im Winter im unsanierten Altbau aber nicht“, warnt sie, als sie dem immer noch singenden Georg Kreisler ins Wort fällt und den Plattenspieler verstummen lässt. Malerei ist für Gleich Kopfsache; Musik dabei eher störend. Nun beginnt die eigentliche Arbeit: das Anmischen der Farben, die in ihren Arbeiten von zentraler Bedeutung sind. „Mir geht es in meiner Malerei um das Zusammenwirken und das Verhältnis von Farben zueinander – sie entscheiden schließlich, ob ein Bild reizvoll und interessant ist oder eben nicht.“ Ein und dieselbe Farbe zweimal zu verwenden? Für Gleich ausgeschlossen. Entsprechend breit ist das Spektrum ihrer Palette.
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"Le petite prince", 2023, 75x150 cm, Öl auf Leinwand
© Lukas DostalMit Mut zur Farbigkeit
Die Basis der Kompositionen entsteht dabei im Kopf: „Gerade die Vorstellung der jeweiligen Farbigkeit ist immer eine sehr konkrete, weil ich die Farben vorab anmischen muss“, verdünnt sie die Ölfarbe mit Terpentin zu fast schon lasurartiger Konsistenz, ehe sie um weiteres Pigment ergänzt. „Müsste passen“, beäugt sie den soeben entstandenen Farbton kritisch. Ob dem tatsächlich so ist, weiß sie erst, wenn sich das Bild im Malprozess den Weg aus ihrem Kopf auf die Leinwand bahnt. „Manchmal mische ich für eine Arbeit an und stelle dann fest, dass die Farbe eigentlich viel besser zu einem anderen Bild passen würde. Dann verwende ich sie kurzerhand einfach dafür.“ Spontanität ist schließlich eine ihrer Erfolgszutaten. So passiert es immer wieder, dass sich in einem bereits jahrealten Bild durch das Ergänzen neuer Farbigkeit die notwendige Spannung auftut, die es vollendet.
Diese angestrebte Spannung ihrer farbflächigen Komposition entsteht im Dialog mit der Leinwand. „Dabei mache ich immer genau das Gegenteil von dem, was das Bild eigentlich von mir verlangt“, beschreibt sie ihren experimentellen Schaffensprozess. Den Mut, der sie dabei begleitet, schöpft sie aus ihrer Erfahrung. „Ein Vorteil des jahrelangen Malens – und des Alters“, scherzt die 65-Jährige. Die Angst vor ihren Bildern habe sie längst überwunden. „Man muss Dinge einfach ausprobieren; sich trauen“, deutet sie auf einen blauen, breiten Pinselstrich, der vertikal eine gelungene Komposition dominiert. Mit ihm, der die Spannung der Arbeit geradezu ausmacht, habe sie einst die Angst vor dem Blau überwunden.
Abstraktion als Narrativ
Nach dem Motiv sucht man in Gleichs farbflächigen Arbeiten auf den ersten Blick vergebens. Aber auch auf den zweiten bleibt deren Ursprung im Verborgenen. Das Konkrete lässt Joanna Gleich bereits früh hinter sich. „Darstellen ist Abstrahieren“, untermauert sie ihre Auffassung von Kunst. Tut sich während des Malprozesses Gegenständliches auf, wird es sogleich unter einer weiteren Schicht aus Farbe verborgen. „Die durchscheinende Energie der Untermalung bleibt dabei aber erhalten – sie bleibt Teil der finalen Komposition.“ Die dadurch entstehende, sich mal mehr, mal weniger verdichtende Vielschichtigkeit ist es, die in der Flächigkeit der Farbe letztlich Räume eröffnet. Räume, die dazu einladen, in Gleichs farbexpressiven Bildwelten immer wieder Neues zu entdecken. Und das in ein und derselben Komposition.
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"Mädchen mit Licht", 2023, 47x39 cm, Öl auf Leinwand
© Lukas DostalDoch obwohl die Abstraktion längst zentrales Narrativ ihrer singulären Bildsprache ist, entspringt ihre Malerei doch stets der Realität – ihrer Realität. Und wer Joanna Gleich kennt, weiß ob der halbierten Bleistifte, die sich in so ziemlich all ihren Taschen verstecken, Bescheid. Sie stellen sicher, ihre Realität jederzeit in ihrem Skizzenbuch – wohlgemerkt gegenständlich – einfangen zu können. Denn die Inspiration lauert überall. In alltäglichen Erlebnissen, Eindrücken und Begegnungen. In der Natur, ihren Erinnerungen und Träumen. „So ist meine Arbeit Resultat der stetigen Korrespondenz zwischen der äußeren Realität und meinem Innersten“, erklärt Gleich, die sich als Medium, eine Art Bindeglied, zwischen ihren Bildwelten und der Wirklichkeit versteht. Das eifrige Skizzieren hilft ihr dabei, das bewusste Sehen und sensorische Wahrnehmen zu schulen. Nie aber dient die gegenständliche Skizze als Vorlage für die spätere Ölmalerei. „Die Erinnerung an das Gesehene ist lebhafter als das Gesehene selbst. Die Bilder, die sich im Kopf selbstständig machen, sind für mich schlicht interessanter als die Realität an sich.“ Ähnlich ihrem Lehrmeister Hollegha, der stets nach der Geistigkeit seiner Motive suchte, gilt Gleichs künstlerisches Interesse ganz der Energie; den atmosphärischen und emotionalen Empfindungen – es geht ihr um das Intuitive. Um Gefühle, denen sie durch ihre Farbwahl Ausdruck verleiht. Und die sie bei Betrachtenden wecken möchte.