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Jella Haase: Feminismus? Sie lebt ihn einfach

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Der Spruch „Chantal, heul leise!“ klingt lauter als viele Debatten über Frauenrollen. Jella Haase hat mit einer Parodie begonnen und Haltung manifestiert. Die mehrfach preisgekrönte Schauspielerin bricht mit ihren Figuren Rollenbilder, nun im Weihnachtsfilm „Die Heinzels“ für die heranwachsende Generation. Ihre feministische Kraft sei ihr anfangs nicht bewusst gewesen, sagt sie.

Popkultureller Zitatenschatz aus „Fack ju Göhte“ zum Nachsehen

Der Satz „Chantal, heul leise!“, der sich vor zehn Jahren ins popkulturelle Gedächtnis des deutschsprachigen Raums gebrannt hat, markiert Jella Haases Durchbruch als Schauspielerin. In drei Teilen des Kinogolds „Fack ju Göhte“ spielte Haase die charmant-prollige Schülerin Chantal und ein viertes Mal im diesjährigen Sommer-Kinohit, dem Spin-off „Chantal im Märchenland“. Mit der unangepassten lauten Teenie-Figur schuf die Schauspielerin eine der lustigsten deutschen Comedy-Kunstfiguren und verkörperte eine Form von Selbstbestimmung, die sich ungefiltert und wild feministisch lesen lässt. – Lange bevor das kritische Hinterfragen weiblicher Rollenbilder und feministische Narrative sich anschickten, die Mainstream-Filmbranche zu durchdringen.

Schüchtern oder selbstbewusst, mutig oder vorsichtig. Was ist daran männlich oder weiblich? Ich will vermitteln, dass jeder Mensch alles sein kann

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 © Viktor Strasse

Laute Stimme aus Berlin Kreuzberg

Es ist ein Aspekt, den Jella Haase intuitiv lebt. Mit ihrer bewussten Rollenwahl schreibt ihn die 32-jährige Autodidaktin dem Publikum stetig ins Stammbuch. Ihr Feminismus ist Teil ihrer DNA. Eine Selbstverständlichkeit, die sie lebt, weil sie als Tochter einer Zahnärztin und eines Technikers sehr frei im Berliner Bezirk Kreuzberg aufgewachsen ist. „Meine Presseagentin hat mal gesagt, dass ich schon sehr früh eine Feministin war, ohne das zu wissen“, erinnert sich Haase. Ihre Rollenwahl des Heinzelmädchens Helvi, dem sie im Kinder-Weihnachtshit „Die Heinzels 2“ ihre Stimme leiht, ist ein weiteres Beispiel. Die neugierige, unbeirrbare Helvi bringt ihre ganze Sippe zum gesellschaftlichen Umdenken. „Helvi wehrt sich gegen bestehende Verhältnisse, weil sie sich eingesperrt fühlt“, erklärt Haase. „Sie möchte kein Rollen-Klischee bedienen, sondern mehr sein, mehr entdecken, sich nicht festlegen und das auf eine ganz spielerische Art.“

Der Film: „Die Heinzels – Neue Mützen, neue Mission“ ab 24. 12. im Kino

Backstage-Einblicke zu "Die Heinzels – Neue Mützen, neue Mission" mit der Wiener Gang, gesprochen von Paul Pizzera, Cesar Sampson, Michael Ostrowski und Hilde Dalik

Proll-Schülerin und Stasi-Killerin

Diese Haltung – unangepasst, neugierig, frei – ist ein roter Faden durch Haases Karriere. Ihre Figuren sind stark und eigenständig, ob als Sexarbeiterin in der preisgekrönten Verfilmung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ oder als ehemalige Stasi-Killerin in der Netflix-Serie „Kleo“, die ihr 2023 den Deutschen Fernsehpreis als Beste Schauspielerin und den Grimme-Preis einbrachte. „Stoffe, die mir angeboten werden, bedienen sehr oft ein feministisches Narrativ“, sagt Haase. „Früher war mir das nicht bewusst, aber unangepasste und eigenständige Frauen haben mich immer interessiert“, erklärt Haase. „Vermutlich hat sich meine Intuition über die Jahre im Außen so manifestiert, dass mir automatisch solche Rollen angeboten wurden. Anders könnte ich auch keine Filme denken“.

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Punksängerin und Pippi als Vorbilder

Grundlegendes Rollendenken aufzubrechen – wie es mit dem sensiblen Träumer Bo (mit der Stimme von Paul Pizzera) und der unerschrockenen Helvi in „Die Heinzels 2“ gelingt –, ist Haase ein Anliegen. „Gerade jungen Menschen sollten wir vermitteln, dass Eigenschaften nicht männlich oder weiblich sind, sondern jeder Mensch alles sein kann. Schüchtern oder selbstbewusst, mutig oder vorsichtig, traditionsbewusst oder modern – was daran ist männlich oder weiblich?“, betont sie. Von der Unterscheidung zwischen E- und U-Kultur hält die Schauspielerin, die 2019 bis 2021 dem Ensemble der Volksbühne Berlin angehörte, wenig. Geschichten erzählen bedeutet für sie schlicht Verantwortung, egal auf welcher Bühne: „Es geht darum, die Werte, für die man steht, zu betonen und dafür einzustehen.“ Das klassische Prinzessinnen-Rollenbild war nie eine Option für Jella Haase. Sie nennt Punk-Sängerin Anja „Atti“ Mülders, eine Freundin der Eltern, als wesentliche Inspiration auf ihrem Weg. Mit ihr war sie auf Konzerten und Ausstellungen unterwegs. „Sie war ein Ur-Punk, unangepasst in Reinform. Damit bin ich groß geworden, das war für mich normal“, sagt Haase.

Literarisch waren Pippi Langstrumpf und Cornelia Funkes „Wilde Hühner“ ihre Vorbilder. Haase: „Pippi Langstrumpf ist ein schönes Beispiel für einen unbefangenen Umgang mit Geschlechterrollen“, sagt Haase, die der Neuaufnahme von Hörspielen zum 80. Jubiläum von Pippi Langstrumpf 2025 ihre Stimme leiht.

Frauen, die Trump wählen?

Mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung äußert sich Haase kritisch zum wachsenden Konservatismus: „Ich kann nicht begreifen, wie Frauen jemanden wie Trump wählen können, der ihre Selbstbestimmung lächerlich macht und missachtet. Das bringt mich an die Grenzen des Verständnisses für die Welt.“ Es sind politische Weichenstellungen, die, so Haase, feministische Bewegungen wie die 4B-Movement provozieren.

Hintergrund: 4B-Movement

„Je radikaler eine Bewegung wird, die an der Macht ist, desto krasser wird die Gegenwehr“, sagt Jella Haase. „Es geht nur zusammen. Auch Männer haben es nicht immer nur leicht, die stecken auch in einer Identitätskrise und müssen viel für sich neu erarbeiten und erspüren. Ich habe kein Rezept, aber ich denke, man muss im eigenen Umfeld weiter die Werte betonen, für die man steht, und dafür einstehen.“ Ihr Glaube an Veränderung, die aus kleinen Momenten entstehen kann, gehört zu Jella Haases vielen Facetten. „Es geht ums Menschsein“, sagt sie. Sie lebt es als Chantal, als Kleo oder als Helvi. Und ganz einfach als Jella.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2024 erschienen.

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