Als Vertreter der Analytischen Malerei lotet Jakob Gasteiger mit seiner Arbeit die Grenzen von Malerei, Grafik und Skulptur aus – und definiert deren Parameter neu. Der Farbe schenkt er dabei kaum Bedeutung. Wir haben ihn anlässlich seines 70. Geburtstags in seinem Wiener Atelier besucht.
Beim Betreten des Wiener Ateliers, das zugleich Wohnung ist, scheint es, als würde man "einen Gasteiger" betreten. Die präzise Linienführung, die sogleich ins Auge fällt, erinnert an sein Opus magnum. Ist es in seinem Hauptwerk die aus Karton selbsterzeugte Kammspachtel, die sich als Protagonistin für die reliefartige Linienführung verantwortlich zeichnet, so ist es im lichtdurchfluteten Atelier die gelungene Vermählung asiatischer Einflüsse im Industrial-Stil und skandinavischer Reduktion – eine Liaison, in der nichts dem Zufall überlassen scheint.
Der Prozess im Schaffensfokus
Ein Prinzip, das sich auch in seinem künstlerischen Schaffen widerspiegelt. Denn auch in seiner Kunst, die von akribischer Vorbereitung lebt, bleibt wenig Raum für Zufälle. Doch wie ist Gasteiger überhaupt zur Kunst gekommen? "Während meiner Volksschulzeit wurde ich immer wieder für mein Zeichen- und Maltalent gelobt", erinnert sich der gebürtige Salzburger. "Und wie das bei Kindern so ist, tut man das, wofür man Anerkennung bekommt, gerne – wäre ich besser in Mathematik gewesen, wäre ich heute vielleicht Mathematiker. So habe ich aber immer weitergemalt."
Und das mit Erfolg: Denn bereits seit den 80er-Jahren zählt der Künstler zu den renommiertesten Vertretern der heimischen Malerei. Von den Strömen dieser Zeit, der Zeit der Jungen Wilden, maßgeblich mitbeeinflusst, hat Gasteiger rasch für sich erkannt, dass weder gestische noch figurative Malerei Gegenstand seiner Arbeit sind. Durch stetiges Abstrahieren hat er sich schließlich seinen Weg in die gegenstandslose Malerei, die Analytische Malerei, gebahnt. Im Fokus steht fortan der rational durchgeplante Prozess des Schaffens – die detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Parametern der Malerei. Das Ergebnis: "Bildobjekte fernab jeglichen ikonografischen Anspruchs."
Der Grenzgänger
Gasteiger spricht bewusst von Objekten, denn eine reine Verortung seiner Werke in der Malerei wäre schlichtweg unmöglich. "Meine Arbeit umfasst drei Gruppen – die Auseinandersetzung mit Farbe, Papier und Aluminium –, die thematisch allesamt ineinander übergehen", so Gasteiger. Die Auslotung und das Durchbrechen genau dieser Grenzen von Malerei, Grafik und Skulptur ist das, wofür Gasteiger steht. Bestes Beispiel sind seine monochromen Kammarbeiten, denen Gasteiger durch das Auftragen von Farbe mittels Kammspachtel ihre typische, reliefartige Struktur verleiht. Die Farbe – im Sinne der Buntheit – spielt hierbei eine untergeordnete Rolle. "Für meine Arbeit verwende ich Farbe lediglich als Material", so der Künstler. Zum besseren Verständnis zieht er den Vergleich zwischen Colour und Paint: "Während Erstere die Buntheit beschreibt, ist Paint das Material. Ich nutze für meine Objekte Paint, die Buntheit ist mir nebensächlich." Denn getreu der Distanz zur Ikonografie seiner Werke, nutzt er Farbe all der Buntheit seines Schaffens zum Trotz nicht als Bedeutungsträger. Vielmehr möchte er durch seine Arbeit den Erfahrungsschatz der Betrachterinnen und Betrachter anregen, sodass sie das Werk und deren Bedeutung für sich selbst emotional vervollständigen und ergründen können. "Würde man mir 100 Kilo blaue Farbe zur Verfügung stellen, würde ich eben blaue Bilder malen, ohne aber dem Blau, anders als beispielsweise Yves Klein, eine Bedeutung zuteilwerden zu lassen. Für mich ist blaue Farbe nichts anderes als ein Material, das eben blau gefärbt ist – ich könnte farbenblind sein und dennoch malen."
70 Jahre Gasteiger
Und das wird er auch weiterhin tun. Denn ans Aufhören denkt der heute 70-Jährige, der sowohl in seinem Wiener Atelier als auch im Weinviertel arbeitet, noch lange nicht: "Künstler zu sein, ist eine Lebenshaltung – es ist ja nicht so, als hätte ich einen Job, der mir nicht gefällt, und fieberte der Pension entgegen, um ihn an den Nagel zu hängen. Und so lange mir meine Arbeit Freude macht, sehe ich keinen Grund, damit aufzuhören."
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 38/2023 erschienen.