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Harald Serafin: Der Preis eines prallvollen Lebens

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Harald Serafin

©Andreas Tischler / picturedesk.com
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Prominente Menschen mit „Seitenblicke“-Abo gibt es viel zu viele. Aber Harald Serafin hat abgesehen von seiner nie versiegenden Popularität eine Menge geleistet: Er war eine erste Adresse im Operettenfach, hat 20 unglaublich erfolgreiche Jahre in Mörbisch regiert und wurde daher am 1. September in der Volksoper mit dem Musiktheaterpreis für sein Lebenswerk geehrt

So kann man sich die Allegorie eines gelungenen Lebens vorstellen. Klar, die 92 Jahre haben Spuren hinterlassen, und gesundheitlich war es auch schon besser. Aber auch schon schlechter, als sich vor 30 Jahren ein Stimmbandknoten infolge permanenter Überforderung in einen Tumor verwandelte. Allerdings, fügt der alte Herr mit zartem Sarkasmus hinzu, hat sich der böse Feind seither leider nicht dauerhaft verflüchtigt. Er ist kürzlich an anderer Stelle wiedergekommen und arbeitet sich jetzt den Rücken hinauf, deshalb der gebückte Gang. Aber mit diszipliniert eingenommenen Medikamenten sei die Sache soweit im Griff und in solch fortgeschrittenem Alter übrigens auch nicht mehr so bedrohlich.

Ein prallvolles Leben

Vier, fünf gute Jahre dürfe man da schon noch erwarten, und man habe sich beim Leben ja auch über nichts zu beschweren. Und in der Tat ist das nicht nichts, wenn beim Eintritt ins Café Museum erfreutes Wispern anhebt und das Personal vom Ober bis zum Piccolo um das Wohlbefinden des Gastes wetteifert. Auf Österreichisch gesagt: Harald Serafin ist jemand, und er ist keiner der unsäglichen Popularitätsnassauer, die heute mangels qualifizierter Konkurrenz als Prominenz durchgehen.

Es war wunderbar

Er hat etwas geleistet, war ein bedeutender Operettensänger im Baritonfach, als Danilo in der „Lustigen Witwe“ fast unerreicht und 20 unglaublich erfolgreiche Jahre lang Intendant der Seefestspiele in Mörbisch. Er hat an der „Josefstadt“ und im Fernsehen mit Otto Schenk und Helmuth Lohner Komödien gespielt. Und wenn er als Juror der Ur-„Dancing Stars“ noch dem fußmarodesten Teilnehmer ein freundschaftliches „Wunderbar!“ zubrüllte, hatte das größeres Unterhaltungspotenzial als heute manches zweistündige Kabarettprogramm.

Deshalb, um endlich zum Anlass der Geschichte zu gelangen, wurde er am 1. September um elf Uhr in der Volksoper mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis geehrt, Abteilung „Lebenswerk“. Er tritt damit in eine Reihe mit den Größten, mit Gundula Janowitz, Ileana Cotrubas, Plácido Domingo und im Vorjahr Otto Schenk.

Wenn er die Essenz dieses Lebenswerks, den Inbegriff des Gelingens, in eine Formel bringen sollte: Wie lautete die? „Dass ich vor 44 Jahren meine dritte Frau geheiratet habe. Ich wollte nicht mehr nach zwei misslungenen Ehen, und dann habe ich es doch getan und habe endlich lieben gelernt. Weißt du, was das heißt, das Wort Liebe in eine tiefe Zuneigung umsetzen? Je älter man wird, desto unwichtiger wird alles gegen das Händehalten und Küssen und Füreinander-Dasein. Das ist es, was einen stark macht. Allein könnte ich nicht weiter, aber sie hat so eine Kraft! Und ich zapfe ihr Kraft ab.“

Als Kind auf der Flucht

Kräfteraubend war das Leben, kaum dass es am 24. Dezember 1931 in der litauischen Stadt Kybartai an der Grenze zum ehemaligen Ostpreußen begonnen hatte. Mit acht Jahren ging es ans Wandern. Die Sowjets besetzten im Jahr des Kriegsausbruchs Litauen, die Familie flüchtete erst ins näher gelegene Memel und dann nach Bamberg im Bayrischen. Der Sohn studierte nach der Matura so gehorsam wie erfolglos Medizin, erlernte lieber in Nürnberg das Singen und arbeitete sich bis zur ersten Größe im Operettenfach am renommierten Opernhaus von Zürich vor. Als er dort schon ikonischen Status erreicht hatte, wechselte er zum Unverständnis aller an die weit weniger namhafte Volksoper nach Wien.

Die Liebe zur Operettendiva Mirjana Irosch hatte ihn dorthin verlockt, und die Entscheidung war eine zumindest durchwachsene. Hier gab es Platzhirschen, die den Status verdienten, Peter Minich, Adolf Dallpozza, den großen Eberhard Waechter. „Und dann kommt so ein Rotschädlerter daher?“ Einfach war das nicht.

Fast auf Kosten des Lebens

Er wusste sich durchzusetzen, wenn auch fast auf Kosten des eigenen Lebens. 16 Jahre lang bestritt er im sommerlich verödeten Wien das touristisch-kulturelle Minimalprogramm, 30 Vorstellungen „Lustige Witwe“ fast en suite im Theater an der Wien. „Ich hätte nachher drei Monate Urlaub machen müssen, so fertig war ich. Habe ich aber nicht, weil ich geldgierig bin.“ Lieber fuhr er mit einem winzigen Volksopernensemble in die USA und versetzte dort bisweilen 20.000 Besucher pro Operettennacht in Ekstase.

Tochter Martina wurde eine namhafte Sopranistin (ihr Halbbruder Daniel leitet die Festspiele St. Margarethen). Aber die Ehe mit Kollegin Irosch scheiterte, und der Selbstverschleiß liquidierte vor 30 Jahren mit den erwähnten lebensbedrohlichen Konsequenzen die Karriere. Der loyale Freund Franz Vranitzky, damals Bundeskanzler, wies den Weg aus der Lebensmalaise: Die Operettenfestspiele Mörbisch waren mit Gerichtsfolgen heruntergewirtschaftet, eine 3.500-Personen-Pawlatschen mit Holzbänken auf gestampftem Sand, wenigen Besuchern, aber Millionen Gelsen. Serafin übernahm, riss das Gerümpel ab, betonierte das Stechmücken-Dorado auf Empfehlung des Biologen Antal Festetics gnadenlos zu, erwarb erstklassige technische Anlagen und erweiterte auf 5.500 Plätze. Und die Menschen kamen, denn Mörbisch war Serafin. „Ich bin die primitiven Wege zum Volk gegangen“, sagt er. „Hände schütteln, selber an Ständen stehen und Zettel verteilen, bis ich in der Nacht ins Bett gefallen bin.“ Bis zu 200.000 kamen pro Sommer, die Investitionen des Landes zahlte der Intendant binnen vier Jahren aus dem Kartenverkauf zurück.

Musical statt Operette

2012, mit 80 Jahren, zog er sich zurück. Dem Angebot der Gemeinde, ihm statt des erhofften preisermäßigten Grundstücks ein Ehrengrab zur Verfügung zu stellen, wollte er nicht nahetreten. „Ich habe mich sehr gefreut, zumal es ein XXL-Grab ist“, ließ er News damals wissen. „Aber ich habe doch andere Pläne und möchte hier nicht unbedingt begraben sein.“

Die Zuschauerzahlen waren damals krisenbedingt schon ein wenig zurückgegangen, und sie sanken in weiterer Folge immer rascher. 2020 düpierte Landeshauptmann Doskozil blamabel den namhaften Opernsänger und Hochschulprofessor Peter Edelmann und ersetzte ihn durch den einschlägig nicht hervorgetretenen Alfons Haider. Der stabilisierte den Zulauf zwar, ersetzte aber die ohnehin im Bestand gefährdete Operette in ihrer langjährigen Welthauptstadt durch ein Musical-Programm, wie man es auch in deutschen Stadthallen bekommen kann. „Die Operette stirb nicht, sie ist nur ein bisschen im Ruhestand“, sagt Serafin. „Haider hat brutal auf Musical umgeschwenkt. Der Landeshauptmannn wollte es so, also hat der Haider alles richtig gemacht. Vielleicht hört das Volk ja lieber diese Melodien, und es kommen auch mehr als 100.000 im Jahr, während wir mit 208.000 aufgehört haben. Der Kassensturz in zwei, drei Jahren wird zeigen, wie es weitergeht. Mich geht es nichts mehr an.“

Das gedanklich Zentrale war immer, die Menschen zu erheitern und mit Musik zu beglücken

„Die Menschen beglücken“

Der alte Herr, dessen Komödiantengesicht die „New York Times“ an Walter Matthau erinnert hat, redet sich vorsichtig in Feuer. Er habe ja, jenseits der geglückten Ehe mit der allseits „Mausi“ gerufenen Ingeborg, noch ein weiteres Gelingen zu melden, wert allenfalls einen Lebenswerkpreis.

„Das gedanklich Zentrale meines Berufslebens war immer, die Menschen zu erheitern. Ich wollte sie mit Musik beglücken und dafür die Besten von den großen Bühnen engagieren, die ich bekommen konnte. In jeder Operette, die ich gespielt habe, war mindestens ein Lied, das jeder Besucher gekannt hat. Bei den Musicals neueren Datums gibt es das nicht mehr.“

Als es in Mörbisch vor zwölf Jahren vorbei war, musste er sich noch mit therapeutischer Hilfe die sich anbahnende Depression von Leib und Seele halten, so hart war der plötzliche Entzug.

Heute besteht das Leben aus energischer Gelassenheit. Wie ihm Haiders Konzept in Mörbisch nun tatsächlich gefällt, will der beharrliche Frager wissen. „Ich hab mich da nicht einzumischen, aber ein bisschen provinziell ist es vielleicht. Soll ich das wirklich sagen?“, hält er inne und antwortet sogleich selbst. „Warum nicht? Ruft er mich halt an.“

Genau das ist die Art Freiheit, die man sich nehmen kann, wenn man jemand ist und das nicht mehr beweisen muss.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/2024 erschienen.

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