Darüber herrscht bei Fans und Kritikern Einigkeit: Hannahs optische Vorzüge schmücken jede Bühne. Selbstbewusst schrieb die Sängerin auf der Suche nach einem Plattenvertrag das vor fast zehn Jahren auch in ihre Bewerbung. Adressat war Produzent Willy Willmann, den sie über eine Google-Suche gefunden hatte. In der Musikszene kannte Hannah damals niemanden, erzählt sie, „nicht einmal die Kastelruther Spatzen“. Im Brief war also von einer zweifachen Mutter zu lesen, die als Sängerin deutschsprachiger Lieder durchstarten möchte. Und: „Damit du nicht meinst, ich bin so ein schiacha Krapfn, schicke ich dir ein Foto mit.“ Hannah lacht herzhaft, als sie die Anekdote erzählt. „So eine Anfrage hat er noch nie bekommen!“ Wenig später unterschrieb die Frau mit der markanten Rockstimme – ihr Name war damals noch Petra Lechner – einen Plattenvertrag beim Branchenriesen Universal Music.
Willman verantwortete seitdem als Produzent alle vier Hannah-Alben, die vom Debüt 2011 („Es muss außa“) weg eine eindrucksvolle Karriere bezeugen: Es gab Platin- („Weiber, es isch Zeit!“, 2013) und Gold-Erfolge („Aufstieg“, 2016). Das aktuelle Werk „Kinder vom Land“ stieg vor fünf Wochen auf Platz eins der Albumcharts ein und liegt in den Top 30. Ein bisschen ist es auch sein Erfolg. Willmann schreibt mit Hannah die Lieder – sie die Texte, er die Musik – und fährt als Techniker mit zu Auftritten. Seit fast fünf Jahren sind die beiden außerdem verheiratet. „Er hat meine Kinder wie seine eigenen angenommen und ist eine Riesenstütze. Hannah ist ein richtiges Familienprodukt“, beschreibt sie. Dass sie nun Hannah heißt, weil ihr Vorname im Schlagerfach schon durch Petra Frey besetzt war, gefällt ihr. Es war der Vorschlag des A&R-Managers, dessen Tochter so hieß. Aber heute sei sie tatsächlich auch zu Hause die Hannah, sagt sie: „Sogar mein Mann nennt mich so, weil seine Exfrau Petra heißt.“
Im Shitstorm der Klischees
Seit Kurzem erregt das „Familienprodukt“ heftige Aufregung bis zum Shitstorm. Im aktuellen Lied „Ausse mit de Depf“ singt Hannah im tief dekolletierten Dirndl kochend „Heit gibt’s Nudeln“ für die Männer, die „von der Arbeit heimkommen und verschwitzt und hungrig in der Kuch’l umarennen“. Als absurd-sexistisch verurteilte das Frauenmagazin „Wienerin“ Song und Video. Nicht viel besser dürfte eine Bewertung des Liedes „Dieselbrüder“ ausfallen, in dem die Interpretin von „Weiberleit“ singt, die schon immer Männer wollten, die „nach Schweiß und Arbeit riechen (…) und richtig große Geräte haben“. Die neue Single „#donttouchsonstklatsch“ ist nun Hannahs schlagerlustige Meinung zur #metoo-Debatte. Sie sieht das ein bissel wie ihre Oma: „Die hat immer gesagt: Wer mich angreift, dem pasch’ ich eine. Das war einfach. Heute steht man deswegen gleich vor Gericht!“
Kritische Geister sehen Hannahs Welt differenzierter und bezeichnen die Videos als „beschämend“ und „primitiv“. Die Kritik kontert Hannah gelassen. Hinter dem Frauenbild, das sie transportiert, steht sie: „Ich koche jeden Tag und fühle mich dabei emanzipiert. Ich finde auch diese Rolle der Frau schön. Es ist doch schad, wenn wir den Beruf der Hausfrau so abwerten. Das ist ein verantwortungsvoller Job!“ Warum sie mit dem Thema der sexuellen Belästigung spielt, erklärt sie mit der – ihrer Meinung nach – übertriebenen #metoo-Bewegung. „Ich finde es schlimm, wenn Frauen belästigt werden, natürlich. Aber wenn die Hysterie soweit geht, dass Männer beim Fotomachen verschreckt fragen, ob sie eh die Hand um mi legen dürfen, das ist doch schad! Und es stimmt doch: Für wen brezel i mi auf? Wir Frauen brauchen doch das Flirten. Da bin i ehrlich mit mir. Aufbrezeln mach ich nicht nur für mich.“
Dass Provokationen die Aufmerksamkeit erhöhen, ist beabsichtigt, sagt Hannah. „Provokation hat in der Musikbranche immer schon geholfen, sich bemerkbar zu machen. Ich provoziere lieber, als dass ich nicht wahrgenommen werde. Das ist okay, solange ich mich damit wohl fühle. Songs, die zu einem Aufschrei führen, finde ich gut, weil alle, denen sie nicht gefallen, zumindest darüber nachdenken.“
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Knackpunkt Trennung
Klischeehafte Vermutungen, Hannah sei als naives Mädel vom Land die leichte Beute eines findigen Marketingmanagers geworden, entlarven den Branchenzyniker. Sie ist keineswegs eine Reißbrettplanung für die Schlagerwelt. Das wurde seitens der Plattenfirma zwar versucht: Bilder zum ersten Album 2011 zeigen einen milieugerecht brav gestylten Schlagerstar im hohen Gras. Doch schon ab Album Nummer zwei war zügig Schluss mit dem lieblichen Look. „Vor Fernsehauftritten haben sie mich dann gebeten, mein Bühnenoutift vorab zu schicken. Sie haben Angst gehabt, dass es zu ausgeflippt ist“, erzählt Hannah. „Stimmt schon, die haben mich brav gestylt am Anfang. Aber ich hab mich davon freigeschwommen, weil ich war immer schon ein bissel ausgeflippt.“ Branchenkenner Andy Zahradnik, seit 1973 als Autor und Chart-Experte tätig, bestätigt Hannahs Geschichte. Auch die von der großen Krise als Auslöser. „Sie hat ja eine dramatische Lebensgeschichte hinter sich, die mit ein Motor war für ihre kompromisslose Entwicklung als Künstlerin. Mit dieser Krise hat sie eine Urkraft entwickelt und sich von musikalischen Zwängen emanzipiert“, so Zahradnik.
Über Nacht war damals Hannahs erster Mann samt den gemeinsamen Ersparnissen verschwunden. Die Kinder waren zwei und fünf Jahre alt. Das Jusstudium, dem noch ein Jahr fehlte, wurde geschmissen, gejobbt, wo es nur ging. Bis der Traum vom Singen Erfolg hatte. „Damals habe ich kämpfen gelernt. Ich habe auch gelernt, dass ich nicht geliebt werden muss. Mir muss mein Weg passen“, sagt Hannah. In der Schule galt sie als ruhig, zurückhaltend. Ihre eher konservativ orientierten Eltern, ein Arbeiter und eine Hauswirtschaftslehrerin, die am Wochenende die Kinder hüteten, wenn Hannah zu Auftritten fuhr, schütteln heute noch manchmal den Kopf über die Extravaganzen der Tochter in Sachen Outfit und Beruf.
Die Heimat, die sie meint
Hannahs rechte Schläfe ziert ein Tattoo des Tiroler Landeswappens, des Adlers. Das sei, bitte, nicht patriotisch zu verstehen, sondern ein Symbol für ihre Befreiung nach der ersten Ehe, sagt sie. „Der Adler symbolisiert Freiheit und Kraft, das habe ich damals gesucht.“ Dass er auch gut zu Liedern wie „Hoamat“ passt, ergibt sich eben. Hannah spricht gern davon, wie Brauchtum und Tradition ihr Halt geben.
Wie sie es mag, wenn in ihrer neuen Heimat in der Südsteiermark die Nachbarn frisch gebackenes Brot vorbeibringen. Und wie am vergangenen Wochenende spontan das halbe Dorf beim Umzug geholfen hat. Vor Andreas Gabalier, in dessen Fahrwasser sie aufgrund des gemeinsamen Wertekanons manche verorten, zieht sie den Hut. Was nicht heißt, dass sie alle seine Aussagen unterschreiben mag. „Trotzdem muss jeder seine Meinung sagen können, ohne gleich zerfetzt zu werden“, kommentiert sie den oftmals umstrittenen Sänger. Dass Werte wie Heimat, Brauchtum und Tradition generell einen Aufschwung in der Musikszene erleben, sieht auch Zahradnik: „Je mehr die Welt von der Digitalisierung durchdrungen wird, umso mehr biedermeiert es, ganz klar.“
Nur, dass Biedermeier bei Hannah eben Nieten, Cowboystiefel und tätowierte Adler trägt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 12/2019
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