Thomas Gottschalks kritische Haltung gegenüber Themen wie politischer Korrektheit, gendergerechter Sprache und Work-Life-Balance in seinem Buch „Ungefiltert“ hat für Aufsehen gesorgt. Jahrzehnte nach seinen unbeschwerten Samstagabendshows steht er vor der Herausforderung, als ernstzunehmende Stimme wahrgenommen zu werden. Ein Gespräch zu seinem Spagat zwischen Entertainer und Mahner
Was an den Reaktionen auf ihr Buch in den letzten Tagen hat sie überrascht?
Mich hat überrascht, dass man mich so ernst nimmt, weil ja alles, was ich sage oder schreibe, von einem Entertainer kommt, der alles nicht so ernst nimmt, am allerwenigsten sich selbst. Diese Reaktionen auf einen Fernsehunterhalter der sagt, was er denkt, halte ich doch für sehr bemerkenswert.
In Ihrem Buch „Ungefiltert“ beschreiben sich als konfliktscheu. Warum haben Sie trotzdem ein Buch mit lauter Kritik geschrieben?
Weil man sich ab einem gewissen Alter von der Konfliktscheue befreien muss. Als Entertainer ist man geneigt den Menschen, das zu sagen, was sie hören wollen. Damit muss irgendwann Schluss sein und man muss sagen, was man denkt. Ich versuche das gerade zu einer Zeit, wo es nicht mehr en vogue ist so zu handeln.
Die Reaktionen auf ihr Buch waren emotional und angriffig. Hat sie das gekränkt?
Mich kränkt gar nichts. Kränkungen gehören nicht zu meinem Mobiliar. Ich bin jemand, der davon ausgeht, dass er immer angegriffen wird, wenn er öffentlich etwas sagt und bin oft angeeckt, dabei wollte und will ich nie jemandem weh tun. Das ist der große Unterschied zur heutigen Internet-Gesellschaft: Man entscheidet nicht mehr selbst, ob man jemandem wehtut, sondern Menschen fühlen sich aufgrund ihrer Interpretation von Aussagen angegriffen.
Stehen Sie ein Stück weit stellvertretend für eine gekränkte Generation, nämlich die Boomer?
Das wird mir jetzt unterstellt. Ich bin ja nicht beleidigt. Es ärgert mich nur, wenn mir 30-Jährige vordenken, was ich sagen soll. Ich stelle zunehmend fest, dass die jüngere Generation für sich in Anspruch nimmt, die Dinge durchschaut und verstanden zu haben. Ich bin trotz meines fortgeschrittenen Alters noch nicht bereit zuzugestehen, dass ich alles verstanden habe.
Sie bewundern Menschen, die die Richtung wechseln können, wenn Sie erkennen, dass Sie falsch liegen, schreiben Sie, Ihnen selbst fällt das schwer. Woran liegt das?
Es gibt Menschen, deren Geradlinigkeit ich bewundere. Das sind im wesentlichen Politiker, die sich auf eine Seite festgelegt haben und sich von der anderen Seite beschimpfen lassen müssen. Ich habe immer versucht, es allen recht zu machen, was ein legitimes Ziel eines Entertainers ist. Als Unterhalter bin ich dazu da, Hände zu reichen und Brücken zu bauen. Das war eine Idylle, in die ich da reingewachsen bin: am Samstagabend die ganze Familie auf der Couch beim Fernsehen. Ich habe versucht, diese Idylle nicht kaputtzumachen, indem ich den Vater gegen den Sohn aufbringe. Früher waren alte Menschen noch Teil dieser Familie. Der Opa saß am Tisch, auch wenn er beim Essen gesabbert hat und das hypermotorische Kind durfte bei Tisch herumhampeln. Heute werden solche Menschen aus Familien entfernt und in Pflegeeinrichtungen gebracht.
Die vermeintliche Toleranz, die die Gesellschaft derzeit propagiert, die gibt es in Ihren Augen gar nicht?
Die gibt es insofern nicht, als dass sie eine Kampfhaltung darstellt, die sich mehr verbal äußert als im täglichen Leben. Wenn ich das ausspreche, begebe ich mich aber sofort in eine konservative Ecke, in der ich nicht sein will. Was konservativ daherkommt, habe ich immer abgelehnt. Aber ich muss zugeben, dass man mit dem Alter konservativer wird. Das ist keine politische Haltung, sondern eine gesellschaftliche Zuschreibung.
Wird konservativ damit zum Schimpfwort?
Als jemand, der früher als progressiv erlebt wurde, wird über mich heute gesagt: Der ist konservativ geworden! So, als hätte ich eine Kehrtwendung gemacht. Die ist nicht passiert. Ich kann nur das Leben nicht verleugnen. Journalisten neigen dazu zu sagen: An unserem Wesen soll die Welt genesen. Vor allem die Deutschen neigen dazu. Bei den Österreichern habe ich das weniger festgestellt. Ich bin heute schon im ORF-Interview bei jeder Frage in eine Art Schutzhaltung gegangen und habe mich in vorauseilendem Gehorsam selbst mit Dreck beworfen, weil ich zu wissen glaubte, dass Journalisten dazu neigen, einen mit Dreck zu bewerfen, und immer eine bestimmte Agenda haben. Sie sagen schon vor dem Interview: da kommt ein alter, mürrischer Mann und den wollen wir auch zeigen.
Den Generationenkonflikt thematisieren Sie auch: Sie kritisieren die junge Generation für die Suche nach der Work-Life-Balance.
Ich kritisiere sie nicht, ich wundere mich über sie. Mit 17 habe ich gedacht: Je mehr ich leiste, umso weiter komme ich nach vorne. Mein Denken war nicht: Je weniger ich leiste, desto weniger tut mir nachher der Kopf weh. Ich wundere mich über junge Menschen die im Internet über Depressionen klagen und die anderen, die im Netz dazu Hilfe anbieten. Die zeigen einem da auch wie man in der Pubertät seine Pickel los wird. Die habe ich als Jugendlicher auch gehabt, aber ich habe damit gelebt, weil Pickel zu einem gewissen Alter nun mal dazugehören.
Gibt es etwas, das Sie dann doch gut finden an den Jungen?
Ich finde die Jugend an sich gut. Aber jemand, der sie hinter sich hat, wird von ihr immer sprechen, wie vom verlorenen Schatz. Jemand, der über 70 ist, hat sein Leben weitgehend hinter sich. Man weiß, dass Kinder, die heute fünf Jahre alt sind, 100 werden können. Ob ich 100 Jahre alt werde, wage ich zu bezweifeln, aber 95 habe ich fest im Auge, das habe ich meiner Frau versprochen.
Haben Sie einen Rat an die junge Generation heute?
Die sollen sich und was ihnen passiert nicht so ernst nehmen. Was ich nicht verstehe, ist ihre Unberechenbarkeit. An einem Tag sind sie begeistert von einem Influencer. Am nächsten Tag sagen sie, dessen Privatjet hinterlässt aber einen verwerflichen Co2-Abdruck! Dabei vergessen sie, dass sie den Leuten, denen sie folgen, ja geholfen haben, sich den Privatjet leisten zu können. Mein Leitsatz war immer „I wasn’t born to follow“. Die Widerborstigkeit, die man mir heute übelnimmt, die habe ich als 15-Jähriger schon gehabt.
Zu diesem Thema enthält ihr Buch ein Gespräch mit Generationenforscher Rüdiger Maas. Darin geht es auch darum, dass die ältere Generation ihre Deutungshoheit abgibt, weil sie den Jungen zu sehr nacheifert. Ist das der Kern des Problems?
Wir eifern den Jungen nicht nach, wir jubeln unsere eigenen Kinder hoch. Den Nachwuchs, über dessen Verhalten wir uns wundern, haben wir selbst in die Welt gesetzt. Wir wollten ihm zeigen, wie das Leben geht. Dabei haben wir den Fehler gemacht, den Kindern alles aus dem Weg zu räumen. Rüdiger Maas sagt, man kann von jungen Leuten kein Verständnis zu etwas erwarten, dass sie nicht erlebt haben. Man kann ihnen keine Erkenntnisse abfordern, die sie nicht gehabt haben können.
Inwieweit trägt die ältere Generation demnach Verantwortung?
Ich versuche meine Verantwortung wahrzunehmen. Gleichzeitig war die ältere Generation schon immer mit der nachwachsenden unzufrieden und hat befürchtet: Die können nichts! Wir wollen doch in unserem Turbo-Eltern-Dasein nur, dass es denen so gut geht wie uns. Wir merken aber, dass das nicht klappen wird. Altersarmut war ein Wort, das es in meiner Jugend nicht gegeben hat. Alle sind davon ausgegangen, dass sie ihre Rente bekommen und es ihnen gut gehen wird, wenn sie alt sind. Heute bin ich selbst älter und mir tut das Kreuz weh. Es ist schwer, das Leben positiv zu sehen, wenn dir beim Aufstehen der Rücken wehtut. Ich sehe das Leben trotzdem positiv und lass mich nicht runterziehen. Aber es kommen viele 30-jährige Journalisten und sagen: Geh doch ins Schweigekloster und halt die Klappe. Die Klappe werde ich nie halten, dazu bin ich auch nicht da.
Gibt es trotz allem etwas, das Sie an der jungen Generation schätzen oder von ihr gelernt haben?
Man lernt immer nur etwas von Menschen, die es besser wissen. Ich habe von Marcel Reich-Ranicki mehr gelernt als von einem 12-Jährigen. Woher hätte der es auch wissen sollen?
Sie thematisieren auch die #MeToo- Bewegung. Wie ordnen sie die gesellschaftlich ein? war sie wichtig?
Ich bin der Meinung, dass jede Frau, der nachgepfiffen wird, statt sich über Cat-Calling zu beschweren, sagen soll: Du Depp, pfeif nicht dumm in der Gegend rum! Wenn er meine Erziehung hat, wird er erschrecken und sich entschuldigen. Aber meine Mutter hat nicht jeden Mann erzogen. Sie war eine viel zu starke Frau, als dass in mir ein Denken Platz gehabt hätte, mit dem ich auf Frauen herabschaue.
Warum plagen sich dann viele in ihrer Generation so mit dem Gendern?
Ich halte es für einen Nebenkriegsschauplatz. Es bringt nichts. Ob ich sage, der Prokurist oder die Prokuristin hilft keiner Frau in der Wahrnehmung ihrer Rechte. Ich habe nie machomäßig gedacht, aber heute wird mir das nachgesagt und übelgenommen. Ich habe nie Frauen betatscht, um mich meiner Macht zu vergewissern. So denke ich nicht. Nun wollen mir Journalisten eine Entschuldigung abringen oder ihr Denken aufzwingen, das sie für „politisch korrekt“ halten. Ich lasse mir aber ungern von einem 30-Jährigen sagen, was ich als 70-Jähriger zu denken habe. Wenn ich nichts Übles getan habe, kann man mir kein Schuldbewusstsein einreden und dann fällt es mir auch schwer mich zu entschuldigen.
Aber wenn umgekehrt der 70-Jährige dem 30-Jährigen sagt, wie er zu denken hat, das ist okay?
Das ist nicht okay. Jeder soll machen was er will. Ich sage auch gar nicht, was andere zu tun haben. Ich teile im Buch nur meine Gedanken. Ich habe selbst als junger Mann zu älteren Männern gesagt: von Euch lass ich mir gar nichts erzählen!
Sie beschreiben Ihre „Wetten, dass...?“-Zeit als eine, in der Sie für Ihr Leben nicht mehr zuständig waren. Sie hätten es sich in der trügerischen Sicherheit der berechenbaren Zukunft bequem gemacht, heißt es. Mit welchen Auswirkungen?
Das Problem, das ich meine, ist, dass ich mir lange Zeit, über nichts Gedanken machen musste. Ich habe 1992 gewusst, dass ich 1997 in Basel sein werde, um mit Prominenten zu plaudern. Diese Blase hat mich lange davor bewahrt über Grundlegendes nachzudenken. Das ärgert mich heute. Ich hätte kämpfen sollen, als ich noch die Kraft gehabt habe zu kämpfen, statt mich in der Blase wohlzufühlen. Hätte ich ernst genommen, was ich in den Nachrichten gesehen habe, hätte es keinen Grund mehr gegeben, mich wohlzufühlen. Aber der Mensch ist so gebaut, dass ihm seine Pizza trotzdem schmeckt, obwohl er weiß, dass ein paar hundert Kilometer weiter geschossen wird.
Inwiefern hätten Sie kämpfen sollen?
Ich hätte weniger Angst haben sollen, ernst genommen zu werden. Ich habe immer gedacht, ich habe als Unterhalter mit der ganzen Sache nichts zu tun. Man nimmt mich sowieso nicht ernst. Ich habe mich selbst nie ernst genommen. Das war keine schlechte Grundhaltung. Ich nehme mich auch heute nicht ernst und gebe trotzdem Interviews und erzähle, was ich denke.
Was macht ein Leben in der beschriebenen Blase mit dem Ego? Merkt man aus der Distanz, dass man sich öfter hinterfragen hätte sollen?
Ich habe mich nie in Frage gestellt, weil ich dachte, wenn mir 20 Millionen Menschen zugucken, ist alles in Ordnung. Ich dachte, es gibt genug andere Wahrheiten, die wichtiger sind als meine oder ob eine Wettkandidatin weiß, was im Pippi Langstrumpf-Buch auf Seite 27 steht. Die Welt ist taffer geworden, als sie zu meiner Zeit war. Ein Großteil meiner Wetten würde heute vor den Challenges verblassen, die sich Menschen auf TikTok antun. Mir reicht, dass Samuel Koch, der mich gestern bei meiner Lesung besucht hat, mir Mut macht und sagt: Sag ruhig, was du denkst. Ich habe mich von meinem Job verabschiedet, weil ich gemerkt habe, es ist nicht mehr alles lustig, jeder Gag oder jede Wette kann nach hinten losgehen. Man lernt auch als Showmaster, dass das Leben kein Ponyhof ist.
Wie gehen Sie emotional mit der unvermeidlich schwindenden Relevanz um?
Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Wir müssten mal Brad Pitt fragen, wie er damit umgeht, dass er nicht mehr so schön ist, wie vor 20 Jahren. Ich habe nicht den Eindruck, dass meine Relevanz geschwunden ist, und falls doch, erlebe ich das normale Schicksal eines jeden TV-Moderators, der sich irgendwann erledigt. Ich habe damit kein Problem, und ich habe auch noch genug zu tun. Und wenn nicht, dann schreibe ich halt ein Buch.
Und Sie betreiben einen Instagram- Kanal.
Solange es mich im öffentlichen Leben noch gibt, muss ich die Sprache sprechen, die die Leute verstehen und zwar dort wo man heutzutage wahrgenommen wird. Meiner Faulheit kommt es freilich nicht entgegen, ständig etwas posten zu müssen. Andere tun das gerne und sehr häufig. Mir ist schon klar, dass es viele sehr fleißige Influencer gibt und mir ist klar, dass die nicht alle reich damit werden.
Ihre Frau hat sie gelehrt, neuen Herausforderungen mit einer neuen Einstellung zu begegnen, schreiben sie. Wie sieht die aus?
Sie weiß dass ich im Grunde faul bin und, dass mir vieles Wurscht ist, was mir nicht Wurscht sein dürfte. Wenn sie mir in Hintern tritt, dann bewege ich mich etwas schneller. Sonst neige ich zu einer Bequemlichkeit, die ich mir in dieser hektischen Zeit gar nicht leisten könnte.
Sie leben heute in München und Kulmbach statt Malibu. Was sagt das über Ihre neuen Prioritäten im Leben aus?
Es heißt “You can take the boy out of the country, but you cannot take the country out of the boy”. Ich fühle mich in in meiner bayerischen Heimat wohler als an vielen anderen Plätzen der Welt. Karina denkt Gott sei Dank ähnlich. Die setzt sich mit mir in Kulmbach in eine Kneipe und isst mit mir Saure Lunge. Ich bin noch immer der, der ich war. Karina warnt mich aber auch davor, ein bockiger alter Mann zu werden. Das ist das Einzige, das ich ihr nicht zumuten will, einen zu alten Mann.
Für sie ist „alter weißer Mann“ kein Schimpfwort?
Nur weil ein Mensch mein Alter hat, muss er kein dummes Zeug erzählen. Dabei bin ich der Meinung, dass man über alles diskutieren sollte. Egal aus welcher Sozialisation oder politischen Richtung jemand kommt, man sollte sich seine Meinung anhören. Man muss ihn ernst nehmen, man muss mich ernst nehmen. Es gibt viele Leute, junge und alte, die mir sagen: Bleiben Sie so, wie Sie sind! Und dann sage ich: Ich muss mich aber doch ändern, deshalb mache ich auch ein Interview mit News, die wollen, dass ich mich ändere.
Wollen wir gar nicht. Wir möchten nur verstehen, worum es Ihnen geht, ohne Vorurteile.
Natürlich werden diese Vorurteile von mir auch antizipiert. Zu Unrecht, weil ich jedem, der mich interviewt, unterstelle, dass er eine Agenda hat.
Was sagen Ihre Söhne zur aktuellen Diskussion?
Die leben in Amerika, die kriegen das Gott sei Dank nicht mit.
Souverän mit einer Karriere abzuschließen, ist schwieriger als sie zu beginnen, stellen Sie in Ihrem Buch fest. Wo stehen Sie auf diesem Weg?
Ich merke, dass ich noch gehört werde. Solange du in meinem Job gehört wirst, solange redest du auch. Ich habe anders als Politiker wenig Gegenwind gespürt und wenn doch, habe ich versucht die Kritiker von mir zu überzeugen. Das ist vielleicht meine aktuelle Motivation: Ich versuche Leute davon zu überzeugen, dass ich kein Wirrkopf bin.
Wie möchten Sie in Erinnerung bleiben, wenn dann der Vorhang gefallen ist?
Ich mache mir nicht vor, dass ich in Erinnerung bleibe. Jemand wie ich muss nicht in Erinnerung behalten werden. Man muss sich an Heinrich Böll erinnern oder an Thomas Mann. Das sind Leute, die ein Lebenswerk hinterlassen haben, dass es wert ist, erinnert zu werden. An „Wetten, dass …?“ muss man sich nicht erinnern.
Das Buch
In „Ungefiltert – Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“ beschreibt Thomas Gottschalk unterhaltsam, persönlich und mit Anekdoten gespickt seinen Blick auf die Welt zwischen Internethype, #MeToo und Generationenkonflikt.
320 Seiten, Heyne