Am 29. Oktober lud NEWS im exklusiven und intimen Rahmen zur MASTERCLASS in die Galerie ARTZIWNA. Den Fokus des Abends bildete die dort präsentierte Werkgruppe DOING DOMENICA der Künstlerin Michela Ghisetti – ein feministischer Exkurs
Mannshoch – oder besser gesagt: frauenhoch – präsentieren sich Michela Ghisettis meist lebensgroße Frauenbildnisse in der Wiener Herrengasse. Die imposanten Galerieräumlichkeiten bieten jenen Raum, der den gesellschaftlichen Gegebenheiten oftmals diametral gegenübersteht. „Der Raum, in dem sich Frauen bewegen, hat sich in der jüngsten Vergangenheit zwar geweitet, ist aber dennoch viel zu eng“, appelliert die Künstlerin auf Veränderung. Sinnbild dieses engen Raums ist das schwarze Korsett der – später als Feministin gefeierten – Hamburger Rotlichtikone Domenica Niehoff, das die gezeigten Arbeiten der Werkgruppe DOING DOMENICA eint. Ghisetti greift es in all seiner Symbolhaftigkeit auf und geht dabei noch einen Schritt weiter – die mit dem Korsett performenden Frauen sind allesamt Künstlerinnen.
Es ist die bewusste Inszenierung der Kontroverse von Kunst und Korsett. Das gewollte Ausloten der gegensätzlichen Pole von Einengung sowie Verformung und dem scheinbar grenzenlosen Horizont der Kunst – ein feministischer Exkurs, der sich am 29. Oktober von den Arbeiten auf die Besucherinnen der NEWS MASTERCLASS ausweitete. Im Gespräch mit NEWS Chefredakteurin Kathrin Gulnerits und Kunstjournalist Patrick Schuster erzählte die Künstlerin dem Publikum – einem bunten Mix aus bedeutenden Vertreterinnen der Kunstbranche und unternehmerischen Top-Managerinnen – von ihrem ganz persönlichen, künstlerischen Werdegang, der Arbeit mit Domenica Niehoff und warum es Ghisettis Biografie ist, die sich für ihre Arbeiten wortwörtlich verantwortlich zeichnet.
Fotorealismus als künstlerisches Korsett
Immerhin ist es die Akribie, die Detailverliebtheit, die zunächst ins Auge fällt und Gesehenes auf den ersten, flüchtigen Blick fast schon in der Fotografie verorten ließe. Erst der zweite Blick, das genauere Betrachten, überführt in die Realität der Zeichnung. Und mit jedem Schritt, den wir nun näher an Ghisettis Arbeiten herantreten, lösen sich die farbigen Flächen von Haut, Haar und Textil in ihre eigentliche Essenz auf – abertausende Striche. Ausgeführt mit höchster Präzision und einem Nuancenreichtum an Buntstiften. Dass sich Michela Ghisetti nicht gerne in der fotorealistischen „Schublade“, die zu den anspruchsvollsten Disziplinen bildender Kunst zählt, wiederfindet, ist der Genese ihres Stils verschuldet. Er ist Resultat des Ringens um väterliche Anerkennung für das eigene Schaffen und somit Ergebnis der Unterwerfung unter patriarchale Strukturen. „Der Fotorealismus wurde zu meinem künstlerischen Korsett, die Arbeit an DOING DOMENICA war meine Befreiung daraus.“
Aber es ist nicht nur die Biografie, weshalb sich Ghisetti eine Betrachtung, losgelöst von technischen Aspekten, wünscht. Es geht schließlich nicht um den kunsthistorischen Exkurs, sondern um die Inhalte, die hier von so zentraler Bedeutung sind. Es geht um Kontextualisierung; um Ghisettis persönliches Narrativ: So ist das schwarze Korsett in DOING DOMENICA losgelöst vom Gesichtspunkt der Erotik zu sehen und zu verstehen – kein Weckruf irgendwelcher erotischer Fantasien. Es ist Sinnbild der Unterwerfung der Frau. Ein weiterer Weckruf längst überfälliger gesellschaftlicher Veränderungen.