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Gerhard Kaiser: „Ich bewohne meine Bilder“

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©Patrick Schuster
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Inmitten der zahlreichen Ebenen seiner vielschichtigen Bildwelten findet Gerhard Kaiser Zuflucht. Und damit die notwendige Distanz zur Welt. Getrieben von steter Veränderung, gleicht seine Kunst einer multimedialen Suche – fündig werden will er dabei eigentlich nicht.

Video: Atelierbesuch bei Gerhard Kaiser

© VGN | Osama Rasheed

Weitläufig scheint das wohl treffendste Adjektiv für Gerhard Kaisers Atelier zu sein, müsste man sich auf eines festlegen. Immerhin erstreckt es sich über knapp zwei Etagen eines alten Firmengebäudes in Niederösterreich. Viel Raum, den er problemlos zu bespielen weiß: Am Ende des holzvertäfelten Ganges im Erdgeschoß öffnet er eine Türe – „mein persönliches Museum“, kommentiert er die einladende Geste. Im Weiteren spaziert man hier durch sein vielschichtiges Œuvre – die ältesten gezeigten Arbeiten datieren auf Anfang der 90er-Jahre.

Mit ihnen in Berührung zu bleiben, sei essenziell für sein künstlerisches Fortbestehen, seine heutige Arbeit. Im letzten Raum – seiner „ungeweihten Kapelle“ – angekommen, bahnen sich die Arbeiten allmählich ihren Weg Richtung Decke. „Jede von ihnen markiert das Ende einer Werkgruppe“, erklärt er. Somit offenbart der Blick nach oben einmal mehr, dass Kaiser die Weite nicht bloß hinsichtlich der Räumlichkeiten benötigt. Auch künstlerisch scheint sein Horizont keine Grenzen zu kennen – und sollten sie sich doch auftun, weiß er sie im Zuge seines Arbeitsprozesses, eines multimedialen Grenzgangs, gekonnt auszuloten und bewusst zu überschreiten. Ihn gar in eine künstlerische Schublade zu stecken? „Völlig undenkbar“, hält er fest. „Ich bräuchte wohl einen ganzen Einbauschrank, um mich und meine Arbeit selbst einigermaßen ordnen zu können.“

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Avantgarde. Früh gewährt Kaiser in seiner Arbeit modernsten Technologien Einzug. „Damals sind mir sogar Sammler abgesprungen, weil sie damit nichts anfangen konnten."

 © Robert Kucmen

Vom wohl größten Glück

Räumlich ist das Ganze wesentlich einfacher: Der künstlerische Leiter seiner damaligen Galerie hatte den Kontakt zur hier ansässigen Firma vermittelt. Da das ehemalige Verwaltungsgebäude der Metallgießerei ohnehin seit 1972 leer stand, stimmte man Kaisers Einzug zu. 1990 wird zunächst ein Raum der oberen Etage zu seiner Wirkungsstätte. „Als der voll war, bin ich kurzerhand in den nächsten weitergezogen“, sinniert der Künstler. Heute erstreckt sich sein Refugium über eineinhalb Stockwerke. Wobei Refugium nicht ganz treffend scheint: Hundertprozentige Sicherheit hat er keine – die Angst, hier doch irgendwann ausziehen zu müssen, ist allgegenwärtig.

„Ich meine, wo soll ich denn hin, mit all dem Zeug?“, zeigt er auf seine Preziosen, die sich über die Jahre angesammelt haben und bloß darauf warten, früher oder später Teil seiner Kunst zu werden. „Um das alles verarbeiten zu könne, brauche ich gut und gerne 250 Jahre“, so der bald 70-Jährige. Woher all das stammt? „Ich habe die Dinge gefunden oder sie haben mich gefunden.“ Auf einige der Stühle seiner umfassenden Sammlung ist er etwa hier im Gebäude gestoßen. Sowie auf den imposanten Rollladenkasten – „ein absolutes Highlight.“ Das alles hier sei echt ein großes Geschenk – „ein ganz großes Glück“.

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Vielschichtig. Der Mix unterschiedlichster Medien eröffnet zahlreiche Ebenen in Kaisers Bildern.

 © Robert Kucmen

Der Weg in die Kunst

Seine Wurzeln hat all das, seine Kunst, „ein Fluch und Segen, der einen permanent fordert“, in Kaisers Kindheit. „Wie so viele Kolleginnen und Kollegen habe ich immer schon gerne gezeichnet – der Rest war irgendwie vorbestimmt“, erinnert er sich an eine Anekdote: Als Landkind war es für ihn unvorstellbar, ohne Eltern nach Wien zu fahren. Nicht mehr selbstständig aus dem Großstadtdschungel herauszufinden, war immer eine gewisse Urangst Kaisers, der er sich gemeinsam mit dem befreundeten Nachbarsjungen im Alter von zwölf Jahren stellte. „Wir sind mit dem Zug am Hauptbahnhof angekommen“, erzählt er. „Das Erste, was wir uns damals angesehen haben, war das 20er Haus, ehe wir nebenan das Heeresgeschichtliche Museum besuchten. Mein Freund ist schließlich als General in Pension gegangen und ich, ja, ich sitze eben immer noch hier.“

Auch dass er später an der Angewandten in Wien studierte und schließlich die Kunst zu seinem Beruf machte, beruht auf einem Zufall. „Im Schwimmbad habe ich einen typischen Spät-68er – lange Haare, mächtiger Bart – kennengelernt, der an der Angewandten studierte“, so Kaiser. „Auf sein Anraten habe ich mich dort bei Oswald Oberhuber beworben.“ Zunächst dachte Kaiser, man hätte ihn abgelehnt, weil er seinen Namen auf dem schreibmaschinenbedruckten DIN-A4-Aushang überlas. Erst als ihm ein späterer Kommilitone am Bahnhof zur Aufnahme gratulierte, fuhr er zurück, um den Aushang ein weiteres Mal nach seinem Namen abzusuchen. Mit Erfolg.

Künstlerische Prägung

Ab Mitte der 70er-Jahre war Kaiser Student Oberhubers. Die Chemie habe vom ersten Augenblick an gestimmt: „Der Ossi war mehr als ein Lehrer – bis zu seinem Tod waren wir in Kontakt“, erzählt er von seinem künstlerischen Mentor. „Das war kein Epigonen-Züchter – er war ein Mitstreiter, der dich in deinen Stärken befeuert, mit dir gemeinsam Türen aufgerissen und jegliche Beschränkungen aus deinem ganz individuellen Weg geräumt hat. Er war ein Verfechter der Veränderung, dem ich vieles zu verdanken habe.“

So ist Kaisers Kunst bis heute eine stete, vom Wandel getriebene, Suche, die kein Ende zu finden vermag. Eine Suche, in der Analoges mit Digitalem verschwimmt. In der die unterschiedlichsten Medien – ganz gleich, ob Malerei, Grafik, Fotografie oder Objekt – ineinandergreifen, sich verzahnen, gegenseitig beflügeln und eine scheinbar grenzenlose, singuläre Interdisziplinarität ergeben. Sich festzulegen war – getreu der Schule Oberhubers – nie Option: „Damit käme ich schlicht nicht aus – allein beim Gedanken, eine Leinwand ausschließlich zu bemalen, bekomme ich Magenprobleme. Deshalb bleibt in meiner Arbeit stets alles offen.“

Ich greife Informationen und Reize auf und konserviere sie in meiner Arbeit – meine Kunst ist mein Rückzugsort, an dem ich mit den Scheußlichkeiten der Welt umzugehen versuche.

„Wir alle Leben in Bildern“

Einen Arbeitsprozess zu definieren, wird somit unmöglich. Ein Skizzierversuch könnte folgender sein: „Ausgestattet mit Smartphone, Fotokamera und meinem Notizbuch, verarbeite ich Dinge, die mich unmittelbar beeinflussen – ich greife Informationen und Reize auf und konservier sie in meiner Arbeit. Meine Kunst ist mein Rückzugsort, an dem ich mit den Scheußlichkeiten der Welt umzugehen versuche.“ Somit wird Kaiser unweigerlich Teil seiner Bilder und das Bild wiederum Teil von ihm: „Wir alle leben gewissermaßen in einem Bild, jeden Augenblick verändert sich der Rahmen, die Perspektive – es zu verlassen, ist mir unmöglich. Deshalb hantiere ich in meiner Arbeit mit meinem Bild, dem Gesehenen.“

Gesehenes, sprich gesammelte Bilddaten, wird im nächsten Schritt auf sechs Terabyte großen Festplatten in strikter Ordnerstruktur archiviert: „Das ist dann meist der Ausgangspunkt meiner Arbeit“, so Kaiser. Was dann passiert, ist von Emotionen gesteuerte Kopfsache – stets unter Berücksichtigung eines zeitlichen Faktors: „Die Gegenwart ist der Mittelpunkt, von dem aus ich nach vorne und zurückblicke, wodurch sich in der multimedialen Vielschichtigkeit zusätzlich Ebenen auftun.“

Mit Fortschreiten des Skizzierversuchs merkt Kaiser, dass dieser zum Scheitern verurteilt ist: „Eigentlich ist das ganz gut so“, hält er fest. Schließlich sei es das Fragezeichen, das Betrachtende in seine Arbeit hineinzieht. „Ein Sammler meinte einmal, meine Arbeit sei, ob ihrer Vielschichtigkeit, schwer in Worten vermittelbar. Und genau das ist meine Absicht.“

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Images Never End. Kuratiert wurde die Danubiana-Ausstellung von Peter Liaunig – Kaisers wohl bedeutendstem Sammler und Freund. „Peter hat mir mein gesamtes Archivsystem geplant und installiert“, so Kaiser.

 © Robert Kucmen
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