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Gerhard Drexel: „Sprecht nie von Pensionierung“

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11 min

Gerhard Drexel

©Bild: News/ Ricardo Herrgott
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Als dramatischen Irrtum bezeichnet Gerhard Drexel das gesellschaftliche Konzept des Ruhestands. Der Spar-Aufsichtsratspräsident ist – theoretisch – seit vier Jahren in Pension. Ein Konzept, das er als persönliche und gesellschaftliche Falle beschreibt. Mit Mut von Politik und Unternehmen gelte es, sagt er, den Ruhestand neu zu denken.

Ihr Buch enthält die drastische Warnung: „Sprechen Sie nie von Pensionierung!“ Was setzen Sie denn aktuell in Formulare ein, wenn es um den Beruf geht?

Dann schreibe ich: Unternehmer. Das ist man ein Leben lang.

Welche Gedanken haben Sie sich in der Zeit davor über die Lebensphase des Ruhestands gemacht?

Ich war 31 Jahre im Vorstand von Spar Österreich, davon die letzten 20 Jahre auf den Tag genau als Vorstandvorsitzender. Da war ich so beschäftigt, dass ich mir keine Gedanken gemacht habe über die Zeit nach der operativen Tätigkeit im Management. Mein Mindset war aber generell, danach mit meiner frei verfügbaren Zeit zu tun, was ich schon immer wollte, zeitbedingt aber nicht konnte. Dem ist 2022 mein erstes Buch „Auf den Spirit kommt es an“ entsprungen. Danach war ich offen für neue, sinnstiftende Aufgaben und sie kamen: Es gab Anfragen, Keynotes zu halten, an Podiumsdiskussionen mitzuwirken und zwei Jahre nach Ende meiner operativen Management-Tätigkeit – um nicht zu sagen Pensionierung – habe ich eine Honorarprofessur im Fach Handelsmanagement an der Universität Innsbruck übernommen.

Ich habe mich dabei ertappt, wie ich das Wort Pensionierung zu Beginn zwei, drei Wochen lang verschämt vermieden habe. Aber kurz darauf habe ich, wenn sich jemand nach meinem Befinden in der Pension erkundigt hat, geradeheraus gesagt: „Sprecht nie von Pensionierung! Ich bin nicht in Pension und erst recht nicht im Ruhestand. Ich bin dabei, neue Aufgaben anzunehmen, die mir Freude bereiten und sinnerfüllend sind.“ Wir müssen dem Thema des Menschen im Alter eine neue Bedeutung geben. Diese Zeit im Leben, die gerne Ruhestand genannt wird, ist ein Entwicklungsgeschenk, eine persönliche Wachstumschance.

Zur Person

Sie bezeichnen Ruhestand als dramatischen Fehler. Was ist denn falsch daran?

Ein Ruhestand im wörtlichen Sinn ist ein großes Missverständnis. Der Mensch braucht den Rhythmus von Ruhezeiten und Arbeitszeiten auch im Alter. Das bestätigen Psychologen und Ärzte. Ein permanenter Ruhestand führt zu Unterforderung, er ist ungesund und macht unglücklich. Zur permanenten Unterforderung kommen noch Bedeutungsverlust, Rollenverlust, Statusverlust, Beziehungsverlust, das führt in vielen Fällen zu einer Sinnleere. In der Folge kommt es häufig zu psychischen Krankheiten wie Depressionen oder auch physischen Krankheiten. Professor Dr. Johannes Huber hat mir bestätigt, dass ein abrupter Ruhestand oft zu einem radikalen Altersschub mit allen negativen Konsequenzen führt. Er hat beobachtet, wie Menschen über Nacht um zehn Jahre altern können.

Und eine Strategie, dem vorzubeugen, wäre welche?

Man sollte den Pensionsantritt ausschleichen lassen, also die Arbeitsstunden ab dem Erreichen des Pensionsantrittsalters oder auch erst später schrittweise auf 30 Stunden und dann vielleicht auf 20 oder 15 Stunden reduzieren, damit sich in dieser Übergangszeit neue Aufgaben entwickeln können. Unzählige Studien belegen, dass der Mensch im Alter am glücklichsten ist, wenn er sinnstiftende Tätigkeiten ausübt. Ob das bezahlte Arbeit in Voll- oder Teilzeit oder unbezahlte Arbeit ist, spielt dabei keine Rolle. Das kann ehrenamtliche Arbeit oder Betreuungsarbeit sein, wie auf die Enkelkinder aufzupassen. Wichtig ist, dass die Tätigkeit selbstbestimmt ist und den eigenen Stärken, Interessen und Neigungen entspricht.

Ein permanenter Ruhestand führt zu Unterforderung und in vielen Fällen zu psychischen und physischen Krankheiten

Sie leiten in Ihrem Buch auch ab, dass das offizielle Pensionsalter steigen muss. Das wird nicht jeder und jede gerne lesen.

Dabei hat es durchwegs für alle Seiten nur Positives! Die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft ist vorhersehbar. Die Babyboomer gehen seit Jahren scharenweise in Pension und es kommen weniger junge Leute auf den Arbeitsmarkt. In 15 Jahren, im Jahr 2040, stehen in Österreich voraussichtlich 2,57 Millionen über 65-Jährige etwa 5,3 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter gegenüber, das ist eine Relation von 1 zu 2,1. Im Jahr 1950 kamen auf einen über 65-Jährigen noch sechs Erwerbsfähige! Zwei Erwerbsfähige können aber nicht einen Pensionisten finanzieren, zumal nicht jeder Erwerbsfähige auch erwerbstätig ist.

Im letzten Jahr hat die Republik Österreich 30 Milliarden Euro Zuschuss an die staatliche Pensionskasse geleistet, damit Pensionen ausbezahlt werden können, das ist ein Viertel des Staatshaushaltes. Die Lohnsteuer, die in Österreich eingehoben wird, ist nur geringfügig höher als diese 30 Milliarden Staatszuschuss. Dass sich das nicht mehr lange ausgehen wird, traut sich aber kein Politiker zu sagen. Wir brauchen dringend eine umfassende Pensionsreform, die das gesetzliche Pensionsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung anpasst, so wie es die skandinavischen Länder schon längst haben.

Als Idealbeispiel schreiben Sie in Ihrem Buch von einer Spar-Kassiererin im Pensionsalter, die einen Tag in der Woche arbeitet, weil sie die Kundenkontakte so schätzt. Was braucht es für mehr dieser positiven Beispiele?

Ich habe mit vielen unserer großteils weiblichen Beschäftigten gesprochen und viele würden gerne, meistens in Teilzeit, weiterarbeiten. Aber es lohnt sich für sie nicht. Menschen, die nach Erreichen des Pensionsantrittsalters weiterarbeiten, werden steuerrechtlich bestraft. Die Lohnsteuer steigt progressiv, die Sozialversicherung bezahlen sie doppelt. Jeder Pensionist, der arbeitet, bezahlt Pensionsversicherungsbeiträge. Das könnte bei entsprechendem politischen Willen sofort geändert werden.

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Das Konzept:

In der Praxis haben freilich schon über 50-Jährige auf dem Arbeitsmarkt Schwierigkeiten, vermittelt zu werden.

Diesbezüglich sind neben der Politik auch die Unternehmen gefordert. Leider haben die wenigsten Unternehmen begriffen, dass ältere Mitarbeiter eine kostbare, stille Reserve sind. Bereits vor dem Pensionsantritt sollte man ihnen ein Angebot machen zu bleiben, weil sie die effizienteste Arbeitskraftreserve sind, die es zu heben gilt. Sie haben die Erfahrung und die innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Beziehungen, die dem Unternehmen nutzen. Hier braucht es zusätzlich zur politischen Maßnahme, älteren Menschen die Weiterarbeit steuerlich schmackhaft zu gestalten, auch die Einsicht der Unternehmer, dieses wertvolle Potenzial zu heben.

Bevorzugt werden von Unternehmen aber jüngere Arbeitskräfte, weil diese weniger Lohnkosten verursachen.

Das ist veraltetes Denken! Ältere Arbeitskräfte punkten mit höherer Loyalität, die für eine geringere Fluktuation sorgt. Die enormen Kosten einer hohen Fluktuationsrate müssen gegengerechnet werden. Das haben viele Unternehmen leider nicht im Blick.

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 © Bild: Ricardo Herrgott/News

Sie nennen den Begriff der „End-of-History-Illusion“. Erklären Sie bitte.

Viele Neo-Pensionisten denken bereits am ersten Tag ihrer Pensionierung: „Das war’s! Es wird sich in meinem Leben nicht mehr viel tun, das ist das Ende meiner Geschichte.“ Das ist katastrophal. Viktor Frankl sagte, der Mensch im Alter erfährt Sinn, wenn er eine Aufgabe hat. Menschen unterschätzen ihr eigenes Entwicklungspotenzial. Die bisherige Dreiteilung des Lebens – Ausbildung, Berufstätigkeit, Ruhestand – gilt durch die gestiegene Lebenserwartung nicht mehr. Wenn jemand 90 Jahre alt wird, hat er mit 60 noch 30 Jahre vor sich, das ist die Hälfte der bisherigen Lebenszeit! Zwischen der Phase der Berufstätigkeit und dem Ruhestand tut sich eine neue Lebensphase auf: die post-operative Tätigkeit, die wir zu unserer Erfüllung und Sinnstiftung produktiv nutzen können. Das ist ein neues Bild über das Alter. Um das in alle Köpfe zu bekommen, brauchen wir diese neue Sichtweise auf das Alter und mehr Mut in der Politik und bei den Unternehmen.

Als Beispiel: Welcher Routine folgen Sie in Ihrer post-operativen Phase?

Formal bin ich seit vier Jahren in Pension und stehe seit dem ersten Tag weiterhin Montag bis Freitag um 6 Uhr auf, um zu arbeiten – natürlich viel entspannter und selbstbestimmter als davor. Mein Vater ist bis zum 93. Lebensjahr jeden Morgen in die Spar-Regionalzentrale gefahren. Er hat mit viel Freude auch im hohen Alter gearbeitet.

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