Das spektakulärste Hindernis für Österreich auf dem Weg zur Fußball-WM heißt Gareth Bale. Der Showdown mit dem Superstar von Wales steigt am 24. März in Cardiff.
Steckbrief Gareth Bale
Name: Gareth Frank Bale
Geboren am: 16. Juli 1989 in Cardiff
Beruf: Fußballspieler, derzeit bei Real Madrid unter Vertrag
Familienstand: verheiratet mit Emma Rhys-Jones
Kinder: zwei Töchter und ein Sohn
Wales hat dreimal weniger Einwohner als Österreich und erreicht flächenmäßig gar nur ein Viertel der Größe der Alpenrepublik. Und trotzdem hat dieser kleine Flecken im Südwesten des Vereinigten Königreichs Söhne und Töchter von Weltruf hervorgebracht und in die absolute A-Liga des Showbusiness katapultiert: Anthony Hopkins war nicht nur als Hannibal Lecter zum Fürchten gut - erst im Vorjahr krönte er sein Lebenswerk im Demenzdrama "The Father" mit seinem zweiten Hauptrollen-Oscar. Seine Landsfrau Catherine Zeta-Jones spielte sich nicht nur in die Herzen von Millionen Filmfans, sondern auch in jenes ihres legendären Kollegen Michael Douglas, der - und das als notorischer Womanizer! - förmlich um ein Date bettelte und später erfolgreich um ein Ja vor dem Traualtar.
Christian Bale wurde nicht nur als Batman zu einem Überflieger der Kinowelt. "Heulboje" Tom Jones wiederum röhrte sich in den Musik-Olymp -mit einer glitzernden Las-Vegas-Karriere, auf die Bühne segelnden BHs kreischender Adorantinnen in seinen jungen Jahren und einem späten Welthit wie "Sex Bomb".
Last, but not least zählt auch Gareth Bale zu den Entertainment-Giganten des britischen Minimundus Wales. Der 32-Jährige mit dem neckischen Dutt lässt vor allem seinen linken Fuß hollywoodreif sprechen, ist auf dem Fußballplatz ein begnadeter, unberechenbarer Künstler, was ihn zur personifizierten Bedrohung der österreichischen WM-Träume macht, wenn es am 24. März in Cardiff zum Showdown kommt. Verliert Rot-Weiß-Rot das Playoff-Duell, ist Katar gestorben, und Wales darf gegen den Sieger des Spiels Schottland - Ukraine um das Last-Minute-Ticket weiterfighten.
Schafft es Wales nicht, sich erstmals nach 64 Jahren wieder für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren, könnte auch die Karriere von Teamkapitän Gareth Bale der Schlusspfiff ereilen. Schon jetzt ist er bei seinem Klub, David Alabas Real Madrid, ein Auslaufmodell. Im Sommer heißt es für ihn in Spanien unwiderruflich "Adios!" Nach neun Jahren permanenter Berg-und Talfahrt, die aber auch Gipfel erreichte, die nur wenigen Auserwählten vergönnt sind.
Teurer als Ronaldo
2013 war der Hochbegabte mit der Empfehlung von 21 Saisontoren in der englischen Premier League und einem Megapreispickerl in Madrid eingelaufen. Knapp über 100 Millionen Euro und damit um ein paar Zerquetschte mehr als Ronaldo, was den Ego-Shooter aus Madeira über alle Maßen erzürnt haben soll. Real-Presidente Florentino Pérez wollte aber sein Weißes Ballett unbedingt mit dem Waliser bestücken, so eindrucksvoll waren seine Galavorstellungen im Dress von Tottenham gewesen. Für die Londoner zeigte der Flügel erstmals so richtig, was er alles drauf hatte: Speed, Technik, Kreativität, Athletik, Durchschlagskraft und bei aller Fragilität einen waffenscheinpflichtigen Schuss. Eine seiner denkwürdigsten One-Man-Shows lieferte er in der Champions-League-Saison 2010/11 in Mailand beim 3 : 4 gegen Inter: In der zweiten Hälfte erzielt er alle drei Tore seiner Hotspurs, mit chirurgischer Präzision jeweils durch stramme Flachschüsse mit links.
Geboren am 16. Juli 1989 in Cardiff, kletterte der Rekordschütze von Wales über den FC Southampton, wo er als linker Verteidiger begann, die Karriereleiter hoch. Bei Tottenham (2007-2013) zündete die Sprint-Rakete erste aufsehenerregende Offensiv-Feuerwerke am Flügel. Seit 2013 bei Real Madrid, wo er viermal die Champions-League-Trophäe (2014, 2016,2017,2018) stemmen durfte und 2015/16 mit 19 Toren seine ertragreichste Saison in der spanischen Liga verbuchte. Als Kurzzeit-Comebacker bei Tottenham 2020/21 half die Leihgabe mit insgesamt drei Toren, den LASK und Wolfsberg aus der Europa League zu kegeln. Bei der EURO 2016 führte der feine Freistoßschütze den Debütanten Wales sensationell ins Halbfinale, 2021 war im Achtelfinale Schluss - genauso wie für Österreich.
Genau so einen brauche ich für mein verwöhntes Opernpublikum in Madrid, mag es im Kopfkino von Klubboss Pérez rumort haben. Das Sportblatt "Marca" schürte die Erwartungen ins Unermessliche: "Das Geschoss kommt!" Und blättert man sich heute durch die Erfolgsstatistik, scheinen alle Vorschusslorbeeren bestätigt: In den fünf gemeinsamen Real-Jahren mit Ronaldo (2013-2018) gewann Bale sagenhafte viermal die Champions League. Besonders beim letzten Triumph zementierte der Ausnahmekönner seine Reputation als Mann für gewisse Stunden, als Schütze wichtiger und spektakulärer Treffer.
Samstag, 26. Mai 2018, Olympiastadion von Kiew: Als Einwechselspieler entscheidet Bale das Finale gegen den FC Liverpool. Aus einem 1 :1 macht er ein 3 :1. Das erste von zwei Toren des Jokers lässt weltweit Fans und Medien vor Begeisterung ausflippen: Den artistischen Fallrückzieher jazzt der englische "Independent" zum "Tor für die Ewigkeit" hoch, die "Frankfurter Allgemeine" adelt die irre Flug-Show der Nummer elf zum "Kunstwerk".
Beine aus Glas
Doch der Jubel verebbt ziemlich schnell. Trotz aller berechtigter Huldigungen hatte sich Bale längst auch zur Reizfigur bei den "Königlichen" gewandelt. Auch der Abgang von Ronaldo zu Juventus Turin half seinem Standing kaum auf die Sprünge.
Was passiert war? Vor allem (zu) viele Verletzungen. Die spanische Sportpresse spöttelte immer öfter über Bales "Beine aus Glas". Vor drei Jahren enthüllte "El Mundo Deportivo" eine Verletzungsakte des Dribblanskis: Gezählte 23 Blessuren seit seiner Verpflichtung habe den Legionär 87 Pflichtspiele versäumen lassen, so das anklagende Resümee. Diese Verletzungsanfälligkeit, gepaart mit einer monströsen Gage, die Insider irgendwo zwischen 35 und 40 Millionen Euro verorten, hatte nicht zuletzt den mächtigen, aber offenbar geringer dotierten Real-Madrid- Capitano Sergio Ramos Rot sehen lassen. Die Klubikone, mittlerweile im Sold von Paris SG, witterte Majestätsbeleidigung und wurde bei Pérez vorstellig, um die Gagen-Hierarchie zurechtrücken zu lassen. Sein letztlich abgeschmetterter Wunsch: künftig einen (!) Euro mehr zu verdienen als dieser verdammte walisische Teilzeitarbeiter.
Riecht alles streng nach Revierkämpfen unter Alphatieren, wobei aus neutraler Perspektive das ungenierte Ans-Bein-Pinkeln ein herrliches Script-Schnipsel für eine infantile Fußball-Telenovela abgeben würde. Zumal immer deftigere Interna aus der Kabine in den Medien aufpoppten - mit dem offensichtlichen Ziel, Bale zu diskreditieren.
Zwischen Null Bock und Let it Rock
Dem belgischen Real-Tormann Thibaut Courtois blieb es vorbehalten, den Spitznamen seines Companeros zu outen - "der Golfer". Allzu groß soll die Leidenschaft des Briten für die kleine Kugel sein: Selbst den dringenden ärztlichen Rat, zur Schonung der anfälligen Muskulatur auf Golf als Ausgleichssport zu verzichten, soll Bale in den Wind geschlagen haben.
Der Brasilianer Marcelo, wuschelköpfiger Nebenmann von David Alaba im Real-Abwehrverbund, will mit Bale nur floskelhaft kommunizieren können: Mit "Hello!" "Goodbye!" "Good wine!" und anderen Preziosen aus der Schatztruhe allgemeiner Sprachlosigkeit.
Was sich Bale wirklich vorwerfen muss: Er hat die Beteuerungen zu Beginn seiner Real-Ära, Spanisch lernen zu wollen, nur halbherzig umgesetzt. So geht keine Integration - aber sehr wohl die Festigung des Rufs eines "Null-Bock-Profis". Befeuert noch von einer nonchalanten Befindlichkeitsbeschreibung des Bale-Beraters Jonathan Barnett: "Mein Klient genießt das Leben in Madrid. Finanziell wird er bis an sein Lebensende keine Sorgen haben, genauso wie seine Kinder und Enkel."
Freilich verlief auch das Privatleben des vierfachen Vaters in der jüngeren Vergangenheit nicht ganz friktionsfrei. Die Familie von Bales Ehefrau Emma Rhys-Jones soll in kriminellen Machenschaften verwickelt gewesen sein: Der Vater war demnach 2013 in den USA wegen Anlagebetrugs zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden, kam dann aber schon ein Jahr früher frei. Der Rest der Sippe: Auch keine Engel. Probleme mit dem Gesetz, dubiose Drogendeals. Englische Revolverblätter tüteten die Fouls genüsslich ein: 2016 Anschlag auf das Haus der Tante - mehrere Autos verbrannten. 2017 soll Emmas Familie einer rivalisierenden Drogenbande ein Kuvert mit 750.000 Pfund, Koks und Uhren gestohlen und bei den Großeltern versteckt haben. Ein Teil des Geldes wurde, so die Boulevardzeitung "Sun", später bei Emmas Onkel gefunden.
Teamcamp als Wellness-Oase
Kein Wunder, dass Gareth Bale die Zusammenkünfte mit dem walisischen Nationalteam mehr denn je als Wellnessaufenthalt oder zumindest als Workation empfindet. Da rennt der Schmäh - und er auch. Im vertrauten Umfeld seiner Heimatstadt Cardiff ist der Star, anders als bei Real ein Leader, ein allseits respektierter Wortführer. Die Chance auf die WM in Katar dient dem Herz und Hirn der "Drachen" als gewaltiger Motivationsturbo und lässt auch die Knie-und Wadenprobleme der laufenden Saison verschmerzen, die bei Real volley aufs Abstellgleis geführt haben: Das torlose Remis in der Liga bei Villarreal am 12. Februar war Bales erstes Pflichtspiel seit 28. August 2021. Von der mangelnden Spielpraxis sollte man sich aber besser nicht täuschen lassen. Die "Beine aus Glas" können noch immer für reichlich Scherben sorgen - vor allem beim Gegner.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 11/2022.