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Franz Welser-Möst: "Man wird konfrontiert mit der eigenen Endlichkeit"

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17 min
Franz Welser-Möst

©Julia Wesely
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Inmitten eines jahrzehntelangen, scheinbar durch keine Verwerfungen zu beeinträchtigenden Erfolgslaufs empfing der österreichische Weltdirigent Franz Welser-Möst im Vorjahr die Krebsdiagnose. Trotz der herausfordernden Therapien hat er nun eine Europa-Tournee begonnen. Mit News spricht er über Erlittenes und Bevorstehendes

Das Künstlerleben schien für den österreichischen Dirigenten Franz Welser-Möst, 64, seit Jahr und Tag nur noch Freundliches bereitzuhalten: Als Musikdirektor des Cleveland Orchestra, das zu den „Big Five“ Amerikas zählt, logiert er in der Champions League. Die Wiener Philharmoniker haben ihm nie übelgenommen, dass er sich 2014 im Streit mit dem damaligen Direktor Dominique Meyer als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper verabschiedet hat: Sie bestreiten mit ihm Welttourneen und haben ihm drei Neujahrskonzerte anvertraut. Die Salzburger Ära Markus Hinterhäuser hat er als Operndirigent geprägt, herausragend dabei die heute musikhistorische „Salome“ in der Regie von Romeo Castellucci, mit der die Sopranistin Asmik Grigorian 2018 über Nacht zur Weltspitze aufschloss.

An die Staatsoper ist er unter Direktor Bogdan Roscic zurückgekehrt. Wenn er sich 2027 nach 25 Jahren aus Cleveland verabschiedet, wird er in Wien jedes Jahr eine Premiere dirigieren.

Nichts als Erfreulichkeiten also, bis sich im Jahr 2023 plötzlich die Absagen häuften. Im September erfuhr man den Grund: Ein „krebsartiger Tumor“ hatte die Lebensplanung bedrohlich durchkreuzt. Nach drei Operationen und inmitten der herausfordernden Therapien hat der in Oberösterreich geborene Maestro nun die Aktivitäten wieder aufgenommen: Eine Tournee mit dem Cleveland Orchestra führt ihn in diesen Tagen durch Europa. Am 6. und 7. September hält man im Musikverein. Und zuvor steht ein hoch emotionaler Termin an: am 4. September, dem 200. Geburtstag Bruckners, vor der Pfarrkirche in dessen oberösterreichischem Geburtsort Ansfelden.

Zum Stand seines Befindens hat sich Welser-Möst seit Bekanntwerden der Unglücksdiagnose kaum geäußert. News hat ihn unmittelbar vor der Abreise nach Europa in Cleveland erreicht und empfing ermutigende Nachrichten.

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Maestro, die erste Frage, auch namens vieler Leser: Wie geht es Ihnen?

Franz Welster-Möst

Danke, mir geht es sehr gut. Die Aussichten nach drei Operationen sind fantastisch, es wurden keine weiteren Tumorzellen gefunden. Ich gehe allerdings durch eine sechzehnmonatige Therapie, die das Immunsystem des Patienten so hochzufahren versucht, dass der Körper selber seinen Beitrag gegen die Krebszellen leistet. Das ist sehr anstrengend und hat viel mit Schmerzen, Müdigkeit und Erschöpfung zu tun. Die Therapie ist vierteilig und wird mit jeder Phase härter. Ich habe die dritte gerade hinter mir.

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Wenn man so eine Diagnose bekommt wie Sie im September 2023, verändert das nicht vollkommen die Lebensprioritäten?

Franz Welster-Möst

Man wird konfrontiert mit der eigenen Endlichkeit, und das löst natürlich schon Gedanken aus. Nicht, dass ich Angst habe vor dem Sterben.

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Haben Sie keine?

Franz Welster-Möst

Nein, habe ich nicht.

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Weshalb nicht?

Franz Welster-Möst

Weil ich ja bei meinem lebensentscheidenden Unfall mit 18 Jahren dem Tod schon einmal sehr nahe gewesen bin. Ich habe also keine Angst mehr, aber man denkt schon über die Prioritätenliste nach. Und man fängt an, Dinge, die selbstverständlich waren, nicht mehr für selbstverständlich zu nehmen. Das beginnt bei der eigenen engsten Umgebung, und ich habe sehr viel Zuwendung erfahren im letzten Jahr. Und dann denkt man auch über den Beruf nach. Ich bin jetzt 40 Jahre professionell in diesem Geschäft, und wie der eben verstorbene große Komponist Wolfgang Rihm sagte: Erfolg ist nicht, was der Zirkus als Erfolg ansieht, sondern Erfolg ist das, wovon man selber weiß, dass man es gut gemacht hat. Rihm hat ja selber über Jahre mit dieser Krankheit gekämpft, und seine fröhliche Abgeklärtheit hat mich sehr beeindruckt und mir jetzt auch geholfen.

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Er war aber doch erheblich älter als Sie. Wenn Sie nun aus einem vollen Künstlerleben gerissen worden wären, hätte dieser Aspekt Ihres Lebens unter solch existenziellen Bedingungen überhaupt noch eine Bedeutung gehabt?

Franz Welster-Möst

Doch, ganz sicher. Ich hatte einen Freund, den philharmonischen Flötisten Günter Voglmayr, der mit 43 an Krebs gestorben ist. Am Schluss seines Lebens war er voller Dankbarkeit, er hat mir gesagt: „Ich habe so ein tolles Leben gehabt, habe unter Karajan und Bernstein gespielt und so viel Gutes erlebt.“ Das war jetzt auch für mich prägend: Es kommt eben nicht auf die Quantität an, sondern auf die Qualität.

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Jetzt beginnen Sie eine anstrengende Tournee. Wo sind Sie denn gerade?

Franz Welster-Möst

Ich bin noch in Cleveland und fliege heute nach Berlin. Wir haben eine Woche hier geprobt und zwei Konzerte gegeben, sind also gut vorbereitet.

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 © Julia Wesely
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Sie dirigieren acht Konzerte in sechs Städten innerhalb von 13 Tagen. Ist das nicht riskant?

Franz Welster-Möst

Die liebevolle Unterstützung meiner Umgebung hilft sehr. Und die Musik gibt Energie. Alles andere werden wir sehen, wenn es vorbei ist. Ich fühle mich jedenfalls gut und bin absolut optimistisch.

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Vermisst haben wir Sie heuer bei den Salzburger Festspielen, wo Sie über Jahre ein zentraler Opern- und Konzertdirigent waren. War Ihre Abwesenheit krankheitsbedingt?

Franz Welster-Möst

Ich habe immer wahnsinnig gern in Salzburg gearbeitet. Auch heuer war fest vorgesehen, dass ich mit Cleveland komme. Das hat sich allerdings zerschlagen, weil Salzburg immer sehr spät plant. Aber ich habe den Klavierabend von Igor Levit gehört und hatte auch Premierenkarten für den „Idiot“ von Weinberg. Da ging es mir allerdings in der Therapie derart schlecht, dass ich nicht hingehen konnte. Nächstes Jahr gibt es in Salzburg wieder ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern.

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Keine Oper? Warum?

Franz Welster-Möst

Das müssen Sie den Intendanten fragen. Ich habe diesbezüglich keinen Informationsstand.

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Wie kommentieren Sie seine Vertragsverlängerung bis 2031?

Franz Welster-Möst

Er hat Großartiges geleistet, und ich wünsche ihm nur das Allerbeste, weil die Salzburger Festspiele für unseren ganzen Betrieb wichtig sind. Deshalb wünsche ich mir, dass sie blühen und gedeihen, gleich, ob ich dort dirigiere oder nicht.

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Nun endet 2027 Ihr Vertrag in Cleveland. Was dann?

Franz Welster-Möst

Freiheit.

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Sie wollen kein Orchester haben? Würden jede Chefposition ablehnen?

Franz Welster-Möst

Ja, definitiv. Ich werde dann 41 Jahre ohne Unterbrechung irgendwo Chef gewesen sein, angefangen in Schweden, dann in London, Zürich, Cleveland, in der Wiener Staatsoper. Ich finde, ich habe da genügend geleistet. Wenn Sie Chef sind, müssen Sie für die Institution immer wieder Kompromisse eingehen, Sie sind ja für die Institution da und nicht umgekehrt. Deshalb werde ich ab Sommer 2027 nur das machen, worauf ich Lust habe.

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Was wäre das denn?

Franz Welster-Möst

Sie wissen, ich bin ein Opernfreak, und es gibt mit Bogdan Roscic Pläne bis 2030, wobei wir jedes Jahr eine Premiere geplant haben. Ich werde meine Beziehung zur Wiener Staatsoper wieder ziemlich intensivieren. Erstens liebe ich dieses Orchester, und zweitens bin ich dem Haus sehr verbunden und verstehe mich mit Bogdan Roscic sehr gut.

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Jetzt kommt einmal die „Zauberflöte“, dann wohl ein neuer „Fidelio“, wie man hört.

Franz Welster-Möst

Das ist richtig, es geht dann weiter quer durchs Repertoire, Premieren und Wiederaufnahmen. Ich habe mich ja von Anfang an breit aufgestellt und in meinem Leben über 70 verschiedene Opern dirigiert. Das ist heutzutage eine Seltenheit. Das geht von Mozart bis zu den Zeitgenossen, italienisches, französisches deutsches, russisches Repertoire. Ich bin halt ein neugieriger Mensch.

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Sie werden an der Staatsoper auch etwas aus Ihrem Kernrepertoire machen? Wagner? Richard Strauss?

Franz Welster-Möst

Ja, beide.

Plötzlich ging es nur noch um das Heischen nach Aufmerksamkeit. Geld wurde das Wichtigste

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Wieso gibt es eigentlich plötzlich so wenige Operndirigenten? Für Mahler, Kleiber, Karajan, Böhm, Maazel, Solti, Harnoncourt, Barenboim, Muti war der Orchestergraben immer selbstverständlich. Was hat sich denn da geändert?

Franz Welster-Möst

Das Unglück hat in meiner Studienzeit begonnen, da hieß es plötzlich: „Geh ja nicht in den Operngraben, da macht man keine Karriere.“ Es ging nur noch um das Heischen nach Aufmerksamkeit. Und es gibt Manager, die sagen, Geld ist das Wichtigste. Sie können bei einem einwöchigen Gastdirigat mit drei Konzerten eben mehr verdienen, als wenn Sie zwei Monate lang eine Oper proben und dann sechs Vorstellungen dirigieren.

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Ihr finnischer Kollege Klaus Mäkelä ist 28 Jahre alt, leitet Klangkörper in Norwegen und Frankreich, dazu ein Festival und ist als Chefdirigent in Amsterdam und Chicago designiert. Sie selbst wurden zu früh Chef in London, haben damals Schaden genommen. Was prognostizieren Sie denn dem Kollegen?

Franz Welster-Möst

Er ist ein hochintelligenter, wahnsinnig begabter Dirigent, und die Angebote und Verlockungen sind dadurch sehr vielfältig. Da besteht immer das Risiko, dass man sich dabei verbrennt. Besonders herausfordernd ist auch die Position eines Musikdirektors in Amerika. Sie haben da wesentlich mehr Aufgaben als in Europa. Sie haben die Personalhoheit, bestimmen die ganze Saison, müssen ein Verständnis für das Geschäftliche haben, weil die Orchester hier privat finanziert sind. Manchmal sind Sie einfach nur froh, wenn Sie auch aufs Podium dürfen. Ich habe das jetzt schon 22 Jahre erlebt.

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Über die russischen Künstler sollten wir noch sprechen. Kann das noch lang so weitergehen, dass da manche begnadigt und andere nicht mehr engagiert werden? Sie selbst sagten, Sie wollten mit Anna Netrebko nicht arbeiten, aber das betraf ja erklärtermaßen ihre Probenunlust. Mittlerweile trifft der Kahlschlag aber sehr viele, nicht?

Franz Welster-Möst

Ich glaube, solange der Krieg andauert, wird es da keine Lösung geben. Ich persönlich habe volles Verständnis für Menschen, die von dort herkommen, dort Familie haben und sich nicht exponieren können. Freilich, wenn einer wahnsinnig gut im Geschäft ist, kann er die Stränge leichter durchschneiden. Aber das können nicht alle, und alle über denselben Kamm zu scheren, hat eine gewisse Arroganz.

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Sie haben 2018 mit der Salzburger „Salome“ Asmik Grigorian zu einem von niemandem erwarteten Triumph mit weltweiten Folgen geführt. Verraten Sie uns, wie man einen Sänger führt und entwickelt?

Franz Welster-Möst

Das hat mit dem zu tun, wie man eine Stimme projiziert. Die Projektion einer Stimme muss einen „Trichtereffekt“ haben. Der Ausgangspunkt des Trichters ist, wie der Sänger zusammen mit dem Text die Stimme nach außen tragen lässt. Es gibt gewisse vokale Farben, die sich mit dem Orchester nicht mischen, und je konsequenter man diese verwendet, desto hörbarer wird man. Mit einem scharfen tschechischen „I“, wie Gabriela Benackova es hatte, kommt man über jedes Orchester. Es hat auch wahnsinnig viel mit Artikulation zu tun. Wenn man nicht einfach auf so einen Einheitsschönklang geht, sondern versucht, wirklich zu artikulieren und zu phrasieren, vor allem in der kleinteiligen Artikulation gut zu sein, hat man hundertmal mehr Chancen, gegen ein Orchester zu gewinnen.

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Nun dirigieren Sie mit dem Cleveland Orchestra an Bruckners 200. Geburtstag, dem 4. September, vor der Pfarrkirche seines Geburtsortes Ansfelden seine „Vierte“. Was bedeutet Ihnen das?

Franz Welster-Möst

Sie wissen doch, ich bin mit Bruckner in Oberösterreich aufgewachsen und groß geworden. Und ihm mit diesem Klangkörper, dem ich 22 Jahre lang verbunden bin, meinen tief empfundenen Respekt und meine Liebe ausdrücken zu dürfen, das ist schon etwas Besonderes.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/2024 erschienen.

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