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Folkshilfe: Dialekt, der Grenzen einreißt

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12 min

©Bild: Matt Observe

Sie ignorierten hartnäckig alle Schubladen und gründeten ihr eigenes Genre. Ihren „Quetschn-Synthie-Pop“ feiert die oberösterreichische Band Folkshilfe bereits auf dem fünften Album „Bunt“. Ihr Erfolg basiert auf zehn Jahren Arbeit, Mut zur Reibung und Haltung ohne Zeigefinger. Das Trio macht Politik ohne Parolen und Musik, die auf keiner Seite steht – außer auf jener der Menschen

Florian Ritt ist einer, der sich beim Reden oft selbst überholt. Von der Betrach­tung des komplexen Heimatbegriffs, zum Blick auf die gesellschaftlich an­strengende Abkehr von patriarchalen Struktu­ren, bis zum Wandel der Sprache, der das Mit­ einander zum Minenfeld macht, sprintet er im Gespräch ohne eine Zwischenfrage. Es ist auch diesem Tempo und Zug zum Tor des Sängers und Frontmans geschuldet, dass die ober­ österreichische Band Folkshilfe binnen zehn Jahren aus dem Niemandsland in alle Radio­stationen und auf die großen Bühnen kam.

Zu wenig poppig für Ö3, zu wenig Indie für FM4, zu schräg fürs Regionalradio. So klang zu Beginn die Ablehnung. Für den musikali­schen Mix des Trios aus Steirischer Harmoni­ka – Verzeihung: Quetschn –, E­Gitarre, Syn­thesizer und Dialekt gab es keine Schublade. Folkshilfe bauten sich ihre eigene und nann­ten sie „Quetschn­Synthie­Pop“. Manchmal brauchen Dinge einen Namen, um sie einord­nen und leichter lieben zu können.

Nun feiert die Band ihr fünftes Album „bunt“, steht vor einer Tour durch Deutsch­land und Österreich und teilt sich am Nova Rock Festival die Bühne mit internationalen Rockgrößen wie Linkin Park und Iggy Pop. „Wir wollten beweisen, dass das geht“, sagt Ritt. „Dass man mit der Quetschn am Nova Rock spielen kann.“ Der Weg dahin erforderte eine besondere Strategie. Das Rüstzeug dafür hat Florian Ritt vermutlich im Familienunter­ nehmen mitbekommen: Seine Eltern betrie­ben ein Tonstudio und eine Plattenfirma im Volksmusik­ und Schlagerfach.

Dieser Teil der heimischen Musikszene hät­te Folkshilfe vom Start weg aufgenommen, im „Musikantenstadl“ wäre schon vor zehn Jah­ren Platz für sie gewesen. „Aus der Ecke ist immer Wohlwollen gekommen: Ihr seid’s schräg, aber geil“, erinnert sich Ritt an Herz­lichkeit aus der Volksmusik­Ecke. Folkshilfe sagten trotzdem alle Angebote aus diesem Be­reich ab. Ihr Ziel blieben die Rockfestivals.

„Drei Mühlviertler Buam, die dreistimmig singen und Quetschn spielen – unsere Reise wäre im Regionalradio zu Ende gewesen. Wo­ anders hätten wir nie wieder eine Chance be­ kommen“, erklärt Gitarrist Paul Slaviczek.

Mit der Quetschn hat in unserem Umfeld die kritische Bewertung begonnen. Dialekt? Quetschn? Echt, jetzt? Das war arg, weil ich natürlich genau dort Anerkennung ge­sucht habe.

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 © Bild: Matt Observe

Politik ohne Parolen

Die drei Musiker kennen einander vom Popu­larmusikzweig am BORG Linz, dem „Hogwarts für Musik“, dem auch die Bands Bilderbuch, Leyya oder Krautschädl entsprungen sind. Ritt erinnert sich an das Hadern der Band mit der Ablehnung, die ausgerechnet aus der eigenen „linken Musikerbubble“ kam. „Ich habe wie Paul Jazzgitarre studiert, war sehr urban, auch in Sachen Hip­Hop unterwegs. Mit der Quetschn hat in unserem Umfeld die kritische Bewertung begonnen. Dialekt? Quetschn? Echt, jetzt?“, beschreibt Ritt. „Das war arg, weil ich natürlich genau dort Anerkennung ge­sucht habe.“ Abstrus nennt er es heute, „Aner­kennung von jemandem zu wollen, der nie ein Konzertticket kaufen wird“.

Die Erfahrung mag die weltoffene Grund­haltung der Band gestärkt haben. Mit „Schena Mensch“ schufen sie 2023 ihren Signature Song, eine Hymne auf wahre Werte. „Egal wie du aussiehst, wen du liebst, was zählt ist, ob du ein schöner Mensch bist“, bringt Florian Ritt das Lied auf den Punkt. Bei Konzerten gibt es dazu oft Heiratsanträge auf der Bühne, auch von queeren Pärchen. „Ich weiß, dass im Pub­likum konservative Menschen sind, die das seltsam finden. Sie erleben aber, dass die ande­ren das Paar feiern und vielleicht wird damit ihre Berührungsangst kleiner und eine Grenze brüchiger.“

Es ist Politik, wie Folkshilfe sie denken. Das Positive, das Gemeinsame zu stärken, um dem Trennenden seinen Schrecken zu nehmen, ist die Idee dahinter. Am neuen Album „Bunt“ steckt sie im gesellschaftlichen Mutmach­-Song „Ana für olle“.

Signature Song „Schena Mensch“

Folkshilfe, „Schena Mensch | Unplugged“ 2024. Das Lied ist mittlerweile ein Klassiker auf Hochzeitsfeiern landauf, landab.

Er war bei den Wiener Sängerknaben, ich habe gewusst, der kann das. Und: Wenn er etwas anpackt, dann macht er es g’scheit

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 © Bild: Matt Observe

Das Mission Statement zum Erfolg

Schlagzeuger und Cajón­-Spezialist Gabriel Fröhlich ist heute einziges Gründungsmitglied der Band. Er war es, der Florian Ritt ein halbes Jahr lang überredete, den Harmonikaspieler, der die Band verlassen hatte, zu ersetzen und Frontman zu werden. „Er war bei den Wiener Sängerknaben, ich habe gewusst, der kann das. Und: Wenn er etwas anpackt, dann macht er es g’scheit“, erklärt Fröhlich sein Drängen.

Dabei wollte Florian Ritt, heute Sprachrohr und energetischer Frontman, die Band ur­sprünglich als Manager und Songschreiber begleiten. „Ich habe es geliebt in der zweiten Reihe“, sagt er. Die Harmonika für die erste Bandprobe musste er sich vom Nachbarn bor­gen und ein paar Akkorde zeigen lassen. Bei­ gebracht hat er sich das Instrument später. Am Weg formulierte er das Mission Statement für die Band: Im deutschsprachigen Raum Kon­zerte vor 500 bis 1.000 Menschen spielen und fünfstellige Gagen verdienen.

Straßenkonzerte in Frankreich, Belgien und Deutschland zeigten, dass Dialektpop Sprach­barrieren überwinden kann. „Warum sollte das dann nicht auch in Österreich funktionie­ren?“ Als klar war, dass das erwünschte Wachstum intensiven Zeitaufwand braucht, verließ 2016 Gitarrist, Familienvater Mathias Kaineder die Band. Paul Slaviczek ersetzte ihn und kündigte für die Idee, es mit Folkshilfe auf die großen Bühnen zu schaffen, seinen Job als Musiklehrer an der Bakip Linz.

Den Heimatbegriff neu aufladen

Als Manager und viertes Bandmitglied schulte Florian Ritt seinen WG­Bekannten, Philoso­phiestudent Matthias Pirngruber ein. Mit ihm gründete er den Verlag und das Label töchter­söhne. Die Musikagentur ist heute namhafter Player am heimischen Markt und betreut ne­ben Folkshilfe über 30 Künstler und Künstle­rinnen betreffend Booking, Management, La­bel, Verlag und Marketing, darunter Ina Re­gen, Julian le Play oder Aut of Orda.

Und die Band Folkshilfe wächst weiter. Zu­letzt habe er gelernt, in Liedern noch mehr von sich zu zeigen, sagt Ritt. Er erzählt von Therapiestunden, die die Bandmitglieder ein­zeln und zusammen absolviert haben, um wei­ter zu kommen. Er beschreibt harte Stunden, die die Musiker prägten, wie eine Scheidung und die lange Krankheit seines Vaters, den er begraben musste. „Du spielst ein Konzert, dann fährst du heim die Windeln wechseln. Du bist auf der Bühne und weißt nicht, ob ein Anruf von der Intensivstation kommt. Dann musst du dich von der gemeinsamen Zukunft mit dem Vater verabschieden“, sagt sich Ritt an die Erfahrun­gen, die ihn zum Lied „Ohne di“ inspiriert ha­ben. Manchmal kriege man es im Leben eben nicht hin – und gleichzeitig sei das Leben wunderschön, wenn der Bandkollege Vater wird, umreißt Ritt seinen Blick. „So bunt ist das Leben“, erinnert er an den Albumtitel.

Auch die englisch­deutsche Folkhymne „Home Dahoam“ mit Sängerin Avec erzählt da­ von, es geht um die Vielfalt des Heimatbegriffs. Avec macht ihn an der Wiese hinterm Haus fest, für Ritt ist Heimat keine geografische Ka­tegorie. „Den Begriff Heimat neu aufzuladen, ist wichtig. Er ist politisch von der falschen Seite besetzt und wird zur Ausgrenzung be­nutzt“, sagt Ritt. Sprache sei ein wichtiges Mit­tel zur Veränderung, stellt er fest. „Ich kann sagen, wir haben in einer Schulklasse ein Migrationsproblem oder wir haben eine Super­diversität mit vielen Sprachen und Kulturen, von denen alle lernen können. Die Bezeich­nung ändert den Blickwinkel.“

DANK an Vienna’s Green Hotel in 1070 Wien, Hotel Gilbert, für das Wohlfühl­ambiente bei Gespräch und Fotoshooting.

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Folkshilfe „Weit weg“ vom neuen Album „Bunt“

 

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 17/25 erschienen.

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