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Folke Tegetthoff: "Das Paradies ist hier und jetzt"

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Märchendichter - Folke Tegetthoff: "Das Paradies ist hier und jetzt"
©Bild: Thomas Luef
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Folke Tegetthoff, der erfolgreichste Märchendichter unserer Zeit, über die Kraft des Einfachen, das Glück des Augenblicks - und den Tod. "Ich habe keine Angst vor ihm."

News: Sie leben in der Seiermark und in Piran, wo haben Sie die tieferen Wurzeln geschlagen?
Folke Tegetthoff:
Ich nenne Piran mein Zuhause. Meine Frau und ich hatten immer schon eine große Liebe zum Meer. Zeit hat dort eine völlig andere Dimension, das Mediterrane bringt eine unglaubliche Gelassenheit. Sehr zum Leidwesen meiner Familie war dieses Wort mein Leben lang ein Fremdwort für mich. Ich war sehr hektisch, habe mich über alles wahnsinnig aufgeregt. Das größte Geschenk, das mir Piran gemacht hat, war Gelassenheit. Auch während der Corona-Zeit, diesem Supergau, der über uns hereingebrochen ist, bin ich vollkommen entspannt geblieben. Ohne Piran hätte ich sicher schon einen Herzinfarkt.

Was war für Sie der "heilende" Faktor am Meer?
Dort leben wir schon die Reduktion, die jetzt in aller Munde ist. Viele haben das in der Corona-Zeit zu schätzen gelernt, diese Rückfindung auf das Einfache. Vorher musste zweimal die Woche ins Restaurant gehen und shoppen sein, und jetzt geht es super ohne. Wenn wir so auch nach Corona leben könnten und der Wirtschaft ginge es trotzdem gut, das wäre ideal. Ist aber natürlich unrealistisch - das Hamsterrad muss sich weiterdrehen.

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 © Thomas Luef

Sie beschlossen erst vor sieben Jahren, den Großteil des Jahres in Piran zu verbringen, vorher bevorzugten Sie die Steiermark.
Wegen der Kinder. Wir wollten, dass sie glücklich aufwachsen, gute Menschen werden, die dazu beitragen, unsere Welt besser zu machen. Es gibt keinen besseren Ort dafür, als hier in Österreich zu leben, glücklich und zufrieden zu sein und Kinder aufzuziehen.

Aber das System ist doch auch ein bisschen krank?
Das gesamte System schon. Karl Marx hat einmal gesagt: "Der Kommunismus ist nur das perfekte politische System. Es gibt leider keine Menschen dafür." Fortschritt ist etwas Großartiges, das uns viele unfassbare Errungenschaften auf dem Gebiet des Sozialen, der Gesundheit und der Technik gebracht hat. Aber dieser Drang nach dem "immer mehr" wird bewusst geschürt und die allerwenigsten können sich dem entziehen. Wir wollen leider auch nicht von den Fehlern anderer lernen. Ein Kind lernt ja genauso, siehe Beispiel Herdplatte.

Wir brauchen immer Extreme, die uns den Weg weisen

Muss sich also quasi die gesamte Menschheit verbrennen, bevor sie dazulernt?
Ja, anscheinend ist es so. Wir brauchen immer Extreme, die uns den Weg weisen - Stichwort Greta Thunberg, Corona, Me-too-Affäre -, sonst gäbe es keine Veränderung. Aber egal, was noch alles auf uns zukommt, die Welt wird weitergehen. Ich hoffe, die Natur ist so stark, dass sie uns zurechtweist. Dieser Virus ist ja das perfekte Beispiel dafür. Deshalb glaube ich nicht, dass das ökologische System kollabieren wird.

Welche Schlüsse wird der Mensch ziehen?
Ich bin in all meinem Denken sehr positiv. So hoffe ich, dass wir uns wieder auf die ganz grundsätzlichen Werte besinnen. Es zählt nicht, welchen Namen du hast, in welchem Job du arbeitest. Es sind letztlich immer die sozialen Kompetenzen, auf die es ankommt. Auch bei meinen Märchen war mir das immer ganz wichtig. Meine Helden müssen mit diesen Werten ausgestattet sein, deshalb haben sie Erfolg, und nicht, weil sie groß und stark sind. Ihr Rezept: Ehrlichkeit, Wahrnehmen, Zuhören, Aufmerksamkeit, Demut.

Warum ist es so schwer, diese Werte zu leben?
Weil wir durch Werbung extrem manipuliert werden. Es müsste völlig egal sein, was ich anhabe, ob ich Schmuck trage, welches Auto ich fahre. In der Einfachheit liegt viel mehr Kraft.

Sind Sie völlig frei vom Luxusdenken?
Mein "Luxus" war die viele Zeit, die ich mir genommen habe, um meine Kinder groß werden zu sehen. Natürlich sind meine zwei Paradiese "Luxus", hat erarbeitet. Und meine Sehnsucht nach Ästhetik in allen Bereichen meines Lebens: Von den Gegenständen, die mich umgeben, vom Möbel bis zum Auto, bis hin zur Kleidung und das Wahrnehmen natürlicher Ästhetik, von Blumen bis hin zu schönen Menschen. Die Natur gibt uns die Schönheit vor, es gibt kaum etwas Natürliches, das nicht schön ist. So entstehen Kunst und Architektur. Lebt man in einem Plattenbau, wird man zwangsweise unglücklich.

Was tun also Bewohner eines Plattenbaus?
Das war ja die kranke Idee, den Menschen die Ästhetik zu nehmen, die Sehnsucht des Menschen nach Schönheit ist aber größer. In der DDR habe ich gesehen, dass Menschen im Plattenbau versuchten, mit kleinen Dingen, die für sie schön sind, sich das Leben zu verbessern, und wenn es nur die Plastikgondel aus Venedig ist.

Sie sagen, ein Märchen hat dann Kraft, wenn sich der Erzähler öffnet. Welche Bereiche würden Sie nicht preisgeben?
Jedes Mal, wenn ich auf der Bühne stehe, öffne ich mich komplett. Ich tue das, was jeder Mensch im Alltag auch tut. Er erzählt in der Hoffnung, jemanden zu finden, der ihm zuhört. Also muss die Geschichte interessant sein. Den meisten Menschen ist jedoch nicht bewusst, dass sie eigentlich "erzählen", wenn sie reden. Also Persönliches in ihre Rede einf ließen lassen, anstatt nur Informationen zu übermitteln. Wir haben Angst, es erzählen zu nennen, weil man es gleich mit Geschichten und Märchen in Verbindung bringt. Wir glauben, es ist ein kleiner Schwindel, eine Lüge. "Erzähl mir nicht so ein Märchen" heißt es ja. Reden klingt viel seriöser.

Erzählen uns Politiker Märchen?
Nein! Denn sie tun nichts anderes, als dem Grundprinzip des Märchens zu folgen: Die Wahrheit in die bunten Kleider und Masken des Märchens zu hüllen, um die Wahrheit dadurch erträglicher zu machen. Das tun wir alle in unserem Alltag übrigens auch - auch wir versuchen stets, uns und unsere Anliegen so zu verkaufen, dass das Gegenüber zuhört. Vielleicht wäre es manchmal sehr sinnvoll, wenn Politiker das wahre Wesen des Märchens richtig verstehen und richtig einsetzen würden.

Warum tut man all dies erst im Angesicht des Todes?

Denken Sie, dass geschichtliche Ereignisse die Menschen beeinf lussen?
Natürlich! Wir lernen ständig dazu. Noch nie war unsere Welt so friedlich, auch wenn es nicht so scheint. Noch nie gab es so wenig Arme, auch wenn es immer noch zu viele sind. Die Kindersterblichkeit sinkt, das Patriarchat, das so viel Leid verursacht hat, geht nach 5000 Jahren seinem Ende entgegen - endlich. Unverändert ist der Wunsch, erweckt von den Religionen, ins Paradies kommen zu wollen. Ich glaube nicht daran, auch nicht an die Wiedergeburt. Je mehr ich mich mit Religionen beschäftigt habe, umso mehr bin ich Atheist geworden. Religionen sind großartig erzählte Geschichten. Religionen können mir aber nicht erklären, wer ICH bin, was meine Seele ist. Den Himmel als meinen Sehnsuchtsort gibt es nicht, wenn ich sterbe, lösen sich mein Körper und meine Seele auf.

Märchen haben meist ein Happy End, im wirklichen Leben ist es ja nicht immer so. Wie gehen Sie mit all dem Traurigen auf unserem Planeten um?
Altersbedingt sind wir nun mit mehr Menschen umgeben, die krank werden. Das Erste, was sie dann tun, ist, dass sie ab jetzt jeden Augenblick genießen, positiv denken. Aber warum nicht schon vorher? Als Nächstes beginnen sie die bisherige Gestaltung ihres Lebens zu überdenken. Zu viel Hektik und Stress, ungesundes Essen, rauchen. Warum tut man all dies erst im Angesicht des Todes? Man hat nur einen Körper, so wie der Bauer nur einen Acker hat, und den muss er gut bestellen, sonst hat er keine Ernte. Wir müssen unseren Körper und Geist kultivieren. Alles, was an Furchtbarem und Negativem in unserer Welt herumkrabbelt, und davon gibt es genug, birgt immer die Chance, auch das Positive zu entdecken. Siehe Corona.

Sie sprechen von Lebensumstellung im Angesicht des Todes. Wie sehen Sie den Tod?
Wenn du völlig im Hier und Jetzt lebst, nimmt dir das die Angst vor dem Nicht-mehr-Dasein. Wir müssen akzeptieren lernen, dass uns mit der Geburt nicht nur Leben, sondern auch der Tod geschenkt wird -egal, was uns sämtliche Religionen weismachen wollen. Er kann ganz unvermittelt auf uns zukommen, genauso wie das Leben Augenblick um Augenblick abläuft. Ich denke nicht über meinen Tod nach, denn das würde mir das Leben nehmen. Mit der gleichen Intensität, mit der ich mich nach Augenblicken sehne, sehne ich mich nach dem Augenblick des Todes. Das klingt seltsam, ist aber für mich stimmig. Ich habe keine Angst vor ihm und muss mich auch nicht intensiv darauf vorbereiten. Wenn es kein Paradies gibt, brauche ich ja auch nichts tun, damit ich dorthinkomme. Der Himmel ist hier, ich bin jetzt im Paradies. Viele glauben aber, der Himmel ist immer dort, wo sie gerade nicht sind. Ich habe nichts, wonach ich mich sehnen könnte, das ich nicht jetzt schon hätte.

Zur Person

Folke Tegetthoff (66) gilt als Begründer einer neuen Erzählkunst. Das Märchen ist bei ihm ein Lebensstil, der neue Dimensionen eröffnet und tiefer in uns führt. 45 Bücher, in 12 Sprachen übersetzt, 1,5 Mio. verkauft. Folke Tegetthoff ist aber auch ein großartiger Erzähler. Bisher ist er in rund 4900 Gastspielen in 42 Ländern aufgetreten. Seit 1988 veranstaltet Tegetthoff "Graz erzählt", Europas größtes Erzählkunstfestival. Seit 2015 als "Internationales Story Telling Festival " in Graz, Wien, Niederösterreich, Vorau und Bad Gleichenberg. Folke Tegetthoff ist mit Astrid, einer Psychologin, verheiratet. Das Paar hat vier Kinder und lebt in einem ehemaligen Kloster in St. Georgen an der Stiefing, die meiste Zeit des Jahres jedoch in Piran auf einer Klippe über dem Meer.

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