Generationen an Regisseuren haben sich vergebens an Mozarts Zauberflöte abgearbeitet: Das Textbuch des Uraufführungs-Papagenos Emanuel Schikaneder sei zu albern. Aber das Werk schlägt Aufführungs- und Beliebtheitsrekorde. Eine Spurensuche zur Staatsopernpremiere am 27. Jänner
Der Beitrag der unsterblichen Christa Ludwig zum Thema ließ keine Deutlichkeit vermissen. Das Textbuch zur „Zauberflöte“, so gab die Jahrhundert-Mezzosopranistin zu verstehen, sei das dümmste der Operngeschichte. Nun war zwar Christa Ludwigs Anteil an der Aufführungs-historie des Mozart’schen Werks überschaubar: Die „Zweite Dame“, von der fiesen Königin der Nacht mit zwei lasziven Kolleginnen abkommandiert, um den matt belichteten Prinzen Tamino gegen das ideale Sonnenreich des -Sarastro aufzuheizen, zählt bloß zum Nebenbestand des Personals.
Doch hat Christa Ludwigs Diagnose manches für sich, und Generationen an Regisseuren sind über den Herausforderungen verzweifelt. So blickt man auch interessiert den Mühewaltungen der Tschechin Barbora Horáková, 42, entgegen, wenn sich die Wiener Staatsoper am 27. Jänner wieder dem uninszenierbaren Werk verschreibt. Denn ohne „Zauberflöte“ geht es seit der Urauf-führung anno 1791 nicht. Beharrlich ist -Mozarts Singspiel die meistgespielte Oper zumindest des deutschen Sprachraums, wenn nicht weltweit (da wett-eifert sie jährlich mit „Carmen“).
Das schreckliche Libretto
Aber dieser Text, den der Theaterdirektor und Uraufführungs-Papagano -Emanuel Schikaneder da verfasst hat! Die Gut-böse-Befunde wechseln gegen alle Gesetze der Logik binnen knapper zehn Minuten: Eben erst hat sich -Tamino von der Königin der Nacht überzeugen lassen, dass im Sonnenreich der pure Terror herrscht. Nun singt ihm am Grenzübergang bloß der Hausmeister des verhassten Sarastro etwas vor („ein Weib tut wenig, plaudert viel“, glaubt der Sprecher), und schon prescht der Prinz wie ein gesengter Eber in die -Gegenrichtung.
Dabei herrschen im Sonnenreich haarsträubende Zustände, die im Libretto allerdings unerörtert bleiben: Sklaverei und Prügelstrafe dienen der Durchsetzung der aufklärerischen Ideale, folgerichtig gibt Sarastro in der Hallen-Arie Bedenkliches zu verstehen: „Wen solche Lehren nicht erfreun, verdient es nicht, ein Mensch zu sein.“
Den Hass der nächtlichen Königin hat er übrigens auf sich gezogen, weil er -deren Tochter Pamina kidnappen ließ. Offiziell, um sie dem verderblichen Einfluss daheim zu entziehen. In Wahrheit aber rittern beide Majestäten brachial um den siebenfachen Sonnenkreis, der die Weltmacht garantiert. Sarastro hatte auch Nebenabsichten, zeigt sich dann gegenüber Pamina aber doch generös: „Zur Liebe will ich dich nicht zwingen, doch geb ich dir die Freiheit nicht.“
Sicher in diesem Umfeld ist nur eines: Als Kinderoper ist die „Zauberflöte“ -ungeeignet. Mit drei Stunden Aufführungsdauer und dem ständigen Changieren zwischen den heute infantil anmutenden Scherzen des Vogelhändlers Papageno – er ist Tamino als Diener zugeordnet – und dem freimaurerischen Initiationsritual ins pseudo-ägyptische Sonnenreich wird man den Nachwuchs eher verwirren.
Auch etwas Freimaurerei
Speziell die freimaurerischen Konnota-tionen wurden zum Teil aberwitzigen Deutungsversuchen unterworfen. Die Realität ist unspektakulär: Der freimaurerische Anteil existiert, ist aber nicht zu überschätzen. Vielmehr muss man sich vergegenwärtigen, dass die Auftragsopern der Vorstadtbühnen zu Mozarts Zeit mehrheitlich Recyclingprodukte waren. Der ernstlich verschuldete Mozart hatte das Werk in seinem Todesjahr 1791 zum Zweck schnellen Geldverdienens für das von seinem Freund Emanuel Schikaneder geleitete Freihaustheater auf der Wieden geschrieben: als eine von Dutzenden Opern, die jährlich hergestellt, bombastisch ausgestattet, abgespielt und weggeworfen wurden.
So wurde auch für die „Zauberflöte“ in kurzer Zeit eine Unzahl an Quellen ohne sonderliche Mühewaltung in die Mischmaschine geworfen: Beim griechischen Geschichtsschreiber Diodor ist das ägyptische Sonnenreich mit dem Pharao Sesistris angelegt (wobei sich der Name Sarastro aber auch vom indischen Religionsgründer Zarathustra herleitet). Bei Plutarch wird schon eine Schlange zerstückelt wie am Beginn der „Zauberflöte“, und die Göttin Isis ist adjustiert wie die Königin der Nacht.
In Heliodors Roman „Die Abenteuer der schönen Charikleia“ besteht ein füreinander bestimmtes Paar die Initiation wie Pamina und Tamino. Wobei auch hier die Frau die stärkere und entschlossenere ist. So wie dann bei Mozart, der in seinen Werken die Frauen angebetet und die Männer marginalisiert hat.
Die zweitwichtigste Quelle ist der Fantasy-Roman „Die Geschichte des egyptischen Königs Sethos“ des fran-zösischen Altphilologen Abbé Jean Terrasson. Vom Schlangenkampf bis zur Initiation ist hier vieles zitiert, wobei Sarastros Arie „O Isis und Osiris“ und der Choral der beiden Geharnischten wörtlich übernommen sind.
Hauptquelle aber ist die Märchensammlung „Dschinnistan“ von -Christoph Martin Wieland und Freunden. Der Machtkampf der Alten, in den schuldlos ein edles junges Paar verwickelt ist; der gemeine schwarze Sklave Monostatos; die drei Knaben; die beschützende Flöte; das Bild, in das sich Tamino verliebt: All das wurde in die Mischmaschine praktiziert. Und da in den Märchen „Nadir und Nadine“ und „Lulu oder die Zauberflöte“ die Personen, die Sarastro und der Königin der Nacht entsprechen, konträr gut und böse sind, lavieren die beiden auch in der „Zauberflöte“, ohne dass der Widerspruch aufgelöst würde.
Nicht von Freimaurern ermordet
Und die Freimaurer-Oper? Ist fraglos ein Faktum, aber kein zu überschätzendes. Dass die Brüder Mozart wegen -Geheimnisverrats ermordet hätten, ist blanker Unsinn: Die Dissertation der Musikologin Elisabeth Grossegger nennt auf 140 Seiten eine Unzahl zeitgenössischer Freimaurer-Stücke.
1791 stand überdies die Freimaurerei vor dem Verbot und kümmerte niemanden mehr. Nach einer kurzen, glanzvollen Zeit – Maria Theresias 1765 verstorbener Gatte Franz I. war vor der Eheschließung selbst Freimaurer geworden, betrat in Wien aber nie eine Loge – war es mit dem diskreten Bund zügig bergab gegangen. Im Gefolge der Französischen Revolution, deren Häupter Marat und Desmoulins Freimaurer waren, bahnten dann die Reaktionäre Leopold II. und Franz II. ein strenges Verbot an, das 1795 Faktum wurde und erst 1918 mit dem Ende der Monarchie erlosch.
Mozart war 1784 in die Freimaurerei eingeweiht worden und blieb bis zu seinem Tod ein überzeugter Bruder. Auch, als sich die Prominenz aus dem Hochadel (etwa die Esterhazys) längst davongemacht hatte. Dass Sarastro ein Porträt des hochrangigen Freimaurers Ignaz von Born wäre, ist eine erst Jahre nach -Mozarts Tod aufgestellte unglaubwürdige Behauptung: Born war schon 1786 ausgetreten. Aber sein Logenvortrag über ein so nie existiert habendes Ägypten ist tatsächlich ins Libretto eingeflossen.
Dass Schikaneder und sein Ko-Autor Giesecke im Libretto Mysterien aus den geheimnisvollen Hochgraden verborgen hätten, ist auszuschließen: Giesecke war erst 1790 aufgenommen worden und kannte nur die Grundbegriffe. Und der maurerische Hallodri Schikaneder war schon am vorherigen Dienstort Regensburg wegen Intimitäten mit der Landesfürstin nach kurzer Zeit ausgeschlossen worden. Als dann er und der spätere Uraufführungs-Sarastro Franz Xaver Gerl vor Gericht gestellt werden sollten, weil beide der Schwängerung einer Magd angeklagt waren, flohen sie mit dem Rest des Ensembles zu Schiff nach Wien, wo Schikaneder das Freihaustheater übernahm. Er betrat in Wien nie eine Loge und starb in geistiger Umnachtung.
Aus dem Ritual
Der Aufbau der „Zauberflöte“ folgt allerdings erkennbar dem Initiationsritual. Der Sprecher, der Tamino vor dem Tor des Sonnenreichs empfängt, gleicht dem Informator, der den Probanden auf seine Eignung überprüft. Die Priesterschaft entscheidet dann über Taminos Aufnahme, in der Freimaurerei nennt man die Abstimmung „Ballotage“.
In der „dunklen Kammer des stillen Nachdenkens“ reflektiert der reale Proband seinen Entschluss. Tamino und Papageno (der dann nicht aufgenommen wird) warten in einem finsteren Vorhof. Erschreckt werden sie dabei von zwei karikaturhaften Priestern. Die Aufgabe erfüllte realiter der „fürchterliche Bruder“, der die Unerschrockenheit der -Aufnahmewilligen prüfen sollte.
Mit verbundenen Augen wie die Freimaurer bei der Aufnahmezeremonie gehen sie dann den Weg der Prüfungen. In der Realität durchmessen die neuen Brüder erst nach ihrer Aufnahme die drei Grade: Lehrling, Geselle und Meister. Die werden in der Oper aus dramaturgischen Gründen bereits in die -Aufnahmezeremonie verlegt. Entsprechend dem symbolischen Todesritual des Meistergrades gehen Pamina und Tamino bei der Wasser- und Feuerprobe an die Grenze zum Jenseits. Ehe sie am Schluss – wörtlich – mit den Chiffren der drei Grade, Weisheit, Stärke und Schönheit, in den Männerbund aufgenommen werden. Auch Pamina als Frau, ein durchaus avantgardistischer Ansatz.
Und Mozarts Tonsprache? Die Fanfare in der Ouvertüre und an den Eckpunkten der Initiation entspricht dem akustischen Erkennungssymbol für den ersten Grad. Die Grundtonart Es-Dur leitet sich aus den drei b-Vorzeichen her: Sowohl die Zahl drei als auch der Buchstabe B sind Bestandteile der freimaurerischen Symbolik. Deshalb steht auch die finstere Paralleltonart C-Moll dort, wo es um Leben und Tod geht.
Mehr ist da nicht. Nur ein Solitär der Kulturgeschichte. Das Höchste an Musik.
Die Premiere an der Wiener Staatsoper
In der Staatsoper dirigiert Bertrand de Billy statt des erkrankten Franz Welser--Möst. Barbora Horáková inszeniert, Georg Zeppenfeld (Sarastro), Slávka Zámečníková (Pamina), Julian Pregardien (Tamino) und Serena Sáenz (Königin) sind aufgeboten.
Premiere ist am 27. Jänner.
Das Stück
Der Prinz Tamino verliebt sich in das Bildnis Paminas, das ihm deren -Mutter, die Königin der Nacht, gezeigt hat. Er soll die Prinzessin aus den Händen Sarastros befreien, der sie in sein Sonnenreich entführt hat. In der Begleitung des Vogelfängers Papageno bricht Tamino auf, aber schon an der Schwelle des Sonnenreichs bricht die Handlung: Die Königin ist plötzlich die Böse, Sarastro der aufgeklärte Herrscher. So nehmen Pamina und Tamino den Weg der Einweihung und herrschen am Ende über das Sonnenreich.
Mozarts Abschied
Die Krisen in Mozarts Leben hatten sich während des Jahres 1791 bedrohlich verschärft. Seit dem Misserfolg des „Figaro“ 1786 war er in Wien aus der Mode. Er war verschuldet, einer Theorie zufolge ein süchtiger Billardspieler, der sich mit den geeichtesten Profis anlegte. In Prag missfiel die Oper „La clemenza di Tito“, die er anlässlich der Krönung -Leopolds II. zum König von Böhmen geschrieben hatte. Mozart arbeitete in diesem Jahr bis zum physischen Zusammenbruch: In den letzten Monaten seines Lebens entstanden neben „Clemenza“ auch das Klarinettenkonzert, das Fragment des Requiems, das ihn emotional belastete, und – endlich ein Lichtblick – die „Zauberflöte“, ein Auftragswerk des auf dem Höhepunkt des Erfolgs stehenden Theaterdirektors Schikaneder. Die Urauf-führung am 30. September im Freihaustheater auf der Wieden wurde unter Mozarts Leitung der ersehnte Erfolg.
Aber Mozart war todkrank, gequält von rheumatischen Fieberschüben. Er wurde wenig später bettlägerig und starb am 5. Dezember, kurz vor seinem 36. Geburtstag, vermutlich infolge der ihm verordneten Aderlässe. Sein letztes im Werkverzeichnis eingetragenes Opus ist eine Freimaurerkantate. Er liegt nicht in einem Armengrab, sondern wurde gemäß der noch von Joseph II. erlassenen Ordnung aufwandlos bestattet.