Fünf Wochen lang schwebte Papst Franziskus in Lebensgefahr. Am 23. März hat er die Gemelli-Klinik in Rom verlassen. Sein Auftritt auf dem Petersplatz überraschte die Welt. Jetzt stellt er die Weichen für seine Nachfolge. Recherchen im Vatikan verraten, die nächste Papstwahl wird historisch. Die vielversprechendsten Kandidaten kommen aus der Ukraine, Jerusalem und dem „Reich der Mitte“.
Es gibt nur sehr wenige Menschen auf der Welt, die sich absolut sicher sein können, eines Tages weltberühmt zu werden. Einer von ihnen ist Dominique Mamberti. Er ist weder ein vor der Presse bisher gut versteckter Thronfolger eines berühmten Königshauses noch ein angehender Nobelpreisträger, der eine Bahnen brechende Erfindung gemacht hat. Sein Beruf scheint nicht gerade besonders spannend zu sein, er ist Priester und auch sein Titel scheint ebenfalls nicht besonders aufregend, er ist Proto-Diakon. Aber er wird eines Tages auf dem berühmtesten Balkon der Welt stehen und über eine Milliarde Menschen werden ihm zuschauen, wenn er sagen wird: „Habemus Papam.“ Er ist es, der den neuen Papst präsentieren wird und in Rom geht es hinter den Kulissen nur noch um eins, wer neben ihm stehen wird als 267. Nachfolger des Heiligen Petrus.
Wer immer dort auch neben Dominique Mamberti auf den Balkon treten wird, einige Fakten über ihn sind jetzt schon bekannt. Er wird sich in der am meisten zersplitterten Kardinalsversammlung durchgesetzt haben, die je einen Papst wählte. Noch nie in der fast zweitausendjährigen Geschichte der Papstwahl saßen so unterschiedliche Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle zusammen, um einen Papst zu wählen.
Er wird der erste Papst der Geschichte sein, der von einer Kardinalsversammlung gewählt wurde, in der die Europäer nicht mehr die Mehrheit der Wahlberechtigten stellten. Am wichtigsten aber wird sein, dass er eine Antwort darauf geben wird, ob die Kardinäle beschlossen haben, die Spitze der katholischen Kirche auf die Bühne der Weltpolitik zu katapultieren oder nicht. Denn Papst Franziskus hat den Kardinälen sensationelle Möglichkeiten geschaffen. Sie könnten einen Papst wählen, der die Möglichkeit hätte, regelrechte Schockwellen in die internationale Politik zu senden.
Politische Schockwellen
Was würde Wladimir Putin sagen, wenn der nächste Papst aus der Ukraine käme, ein Papst, der über 1,3 Milliarden Menschen gebieten kann, von denen ein Teil in Ländern lebt, die zurzeit noch Verständnis für den russischen Angriffskrieg zeigen. Ein solcher Kardinal steht bereit. Wie würde die chinesische Staatsführung reagieren, wenn ein Papst mit chinesischen Wurzeln sich der unterdrückten 16 Millionen chinesischen Katholiken annehmen würde. Könnte sich dann wiederholen, dass die katholische Kirche aufstehen würde wie in Polen und dazu beitragen, das politische System wegzufegen? Wie würden Donald Trump, die Arabischen Staaten und Benjamin Netanjahu reagieren, wenn der Patriarch von Jerusalem, zuständig auch für den Gazastreifen, der nächste Papst würde?
Wenn Dominique Mamberti den Namen des nächsten Papstes aussprechen wird, dann ist auch die Antwort auf die Frage klar, ob die Kardinäle sich getraut haben, eine sensationelle Entscheidung zu treffen oder nicht.


Mykola Bychok: 45, Ukrainer, Bischof in Melbourne, Hardliner gegen Russland
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Pietro Parolin: der 70-jährige Italiener amtiert sei 2013 als Staatssekretär im Vatikan
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Dominique Mamberti: verkündet das Ergebnis der Papst-Wahl
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Luis Antonio Tagle: der 73-jährige Erzbischof von Manila hat chinesische Wurzeln
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Pierbattista Pizzaballa: 58, Italiener, Franziskaner und Patriarch von Jerusalem
© IMAGO/Avalon.redEntthronung der alten Mächte
Spätestens seit dem knapp sechswöchigen Aufenthalt von Papst Franziskus im Gemelli-Krankenhaus und angesichts der Tatsache, dass er zweimal mit dem Tod ringen musste, bereiten sich die Kardinäle auf zwei Möglichkeiten vor. Der kranke 88-jährige Papst könnte natürlich plötzlich sterben. Die andere Möglichkeit besteht in der Tatsache, dass er zurücktreten könnte, angesichts der Tatsache, dass er kaum noch sprechen kann. Die wenigen Worte und der kurze Segen am Sonntag während seines überraschenden Auftritts vor der Peterskirche am 6. April zeigten vor allem, wie schwer ihm das Sprechen fällt. Franziskus hat für den Rücktritt alles vorbereitet. Den Fehler, den Joseph Ratzinger beging, der im Vatikan blieb und seinem Nachfolger das Leben schwer machte, will er vermeiden. Er ließ eine behindertengerechte Wohnung im Komplex der wichtigsten römischen Marienkirche, Santa Maria Maggiore, einrichten. In dieser Kirche will er auch beerdigt werden.
Alle im Vatikan wissen, dass nach dem Ende des Pontifikates von Papst Franziskus ihnen die ungewöhnlichste Papstwahl aller Zeiten bevorstehen wird. Die seit Jahrhunderten alles entscheidenden alten Mächte mussten hinnehmen, dass der Papst sie entthronte. Seit zweitausend Jahren bestimmten Männer aus dem heutigen Italien, Spanien und Frankreich maßgeblich, wer zum Papst gewählt wurde. Vor allem die Italiener machten jahrhundertelang unter sich aus, wer den Thron des Papstes besteigen durfte. Infrage kamen vor allem Kardinäle, die zuvor Patriarch in Venedig gewesen waren, wie Papst Johannes XXIII. oder Erzbischof von Mailand, wie Papst Paul VI. und Papst Pius XI. oder Kardinalstaatssekretär wie Papst Pius XII.
Ein Österreicher, Kardinal Franz König, unterbrach diese Regel. Als sich im Jahr 1978 die Kardinäle von Genua und Florenz nicht darauf einigen konnten, wer von ihnen der neue Papst werden sollte, brachte Kardinal König, Erzbischof von Wien, erfolgreich einen Kompromisskandidaten ins Rennen, Karol Wojtyla, der mit dem Namen Johannes Paul II. als erster slawischer Papst der Geschichte den Thron Petri bestieg. Die Wahl von Papst Benedikt XVI. hing maßgeblich damit zusammen, dass die Kardinäle vor allem Kontinuität wollten, denn Papst Johannes Paul II. war als außerordentlich erfolgreicher „Jahrtausendpapst“ gefeiert wurde. US-Präsident Ronald Reagan attestierte dem Papst, damals einen entscheidenden Beitrag zum friedlichen Fall der Berliner Mauer geleistet zu haben. Daher wählten die Kardinäle Joseph Ratzinger, weil der ein besonders enger Mitarbeiter und persönlicher Freund Karol Wojtylas gewesen war.
Bergoglios neues Zeitalter
Die Wahl des bereits 76-jährigen Kardinals Jorge Mario Bergoglio, der den Namen Franziskus annahm, schien eine klassische Wahl eines Übergangskandidaten. Der Argentinier galt wegen seiner teilweise entfernten Lunge und seines hohen Alters als Papst, der nur für kurze Zeit regieren würde. Dass Franziskus sich als Löwe entpuppen würde, der mit seinen radikalen Reformen die Kirche wieder an die Seite der Armen führen würde, schien unmöglich. Die alten Mächte waren aber die ganzen Jahre unangetastet geblieben und warteten auf ihre Chance.
Doch Franziskus beschloss, ein neues Zeitalter einzuleiten. Städte, die wie Venedig auf eine nahezu 1.000jährige Tradition zurückblicken konnten mit einem Bischof der Stadt, der immer zum Kardinal ernannt wurde, gingen plötzlich leer aus. Das betrifft selbst so traditionelle Hochburgen des Katholizismus wie Lissabon und Palermo, aber auch Hauptstädte wie Berlin und zur Zeit ja auch Wien. Auf die Frage, warum der Bischof von Berlin eigentlich nicht zum Kardinal erhoben wurde, antwortet Papst Franziskus dem Autor dieser Zeilen. „Ein Kardinal muss mich informieren, was in seinem Land geschieht, aber wenn ich wissen will, was in Berlin passiert, kaufe ich mir eine Zeitung.“
Das derzeitige Kardinalskollegium ist eine Schöpfung von Franziskus, er ernannte 109 der 137 wahlberechtigten Kardinäle. Mit dem Erreichen des 80. Lebensjahres verliert ein Kardinal das Wahlrecht. In Rom sorgte daher der Fall des Kardinals Philippe Nakellentuba Ouedadrogo aus Burkina Faso für Erheiterung. Er ließ von den Behörden des Vatikans sein Geburtsdatum ändern, vom 25. Januar 1945 auf den 31. Dezember 1945. Angeblich habe es in seinem Heimatland zur Zeit seiner Geburt noch kein funktionierendes Einwohnermeldeamt gegeben. Deswegen müsse sein Geburtsdatum korrigiert werden, dass angesichts der Traditionen in Burkina Faso dann auf den 31. Dezember fallen müsse. Durch diesen Schachzug bleibt dem Kardinal sein Wahlrecht ein weiteres Jahr erhalten. Auch dieser Kardinal gehört zu der Strategie von Papst Franziskus, denn er ging er nach einer völlig anderen Methode vor als alle seine Vorgänger.
Statt die Macht in der Hand einiger weniger zu bündeln, zersplitterte er das Kollegium. Länder, in denen die Katholiken eine winzige Minderheit stellen, können jetzt stolz darauf sein, einen Kardinal stellen zu dürfen. Das gilt für Länder wie die Mongolei. Dort gehören etwa 0,03 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an, knapp 1.000 Gläubige. Das Land hält auch einen statistischen Rekord. Nach dem Mauerfall 1989 gab es in der Mongolei 4 Katholiken, weniger als irgendwo auf der Welt.


Vatikan. Nach seiner lebensgefährlichen Atemwegserkrankung trat Papst Franziskus am 6. April zum ersten Mal am Petersplatz vor Tausenden Pilgern auf. Zuvor zelebrierte er mit Erzbischof Rino Fisichella eine Messe für Kranke und Pflegepersonal
© Vatican Media via Vatican Pool/Getty ImagesFranziskus‘ radikale Entscheidungen
Wie radikal die Entscheidungen des Papstes sind, zeigt ein simpler Vergleich mit Lissabon, Papst Klemens XII. hatte am 17. Dezember 1737 mit der Bulle Inter praecipua festgelegt, dass jeder Erzbischof von Lissabon sofort zum Kardinal zu ernennen sei, doch Papst Franziskus weigerte sich, das umzusetzen. Der Anwärter ging sowohl im Jahr 2023 als auch 2024 bei den Kardinalsernennungen leer aus. Dabei leben in seinem Land 8,1 Millionen Katholiken.
Auch Pakistan stellt einen Kardinal, dort gehören etwa 0,75 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an. Im Irak steht Kardinal Louis Raphael I. Sako den Katholiken vor, die etwa
0,5 Prozent der Bevölkerung darstellen und dort geht das Anliegen des Papstes zweifellos auf. Über die Situation der verfolgten Christen in dem Land dringen so gut wie keine Informationen nach außen. Als der Islamische Staat (IS/Daesch) die Stadt Mossul eingenommen hatte, schaute die Welt tatenlos zu, als Christinnen und Jesidinnen wie Sklavinnen auf Märkten verkauft und Männer, die sich weigerten zum Islam überzutreten, enthauptet wurden. Das soll nicht noch einmal passieren.
Papst Franziskus machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihn die Berichte der Christen, vor allem aus Erbil im Irak erschütterten. Sie verstecken sich in Wohnungen, in denen sich mehrere Familien auf wenigen Quadratmetern drängen. Sorgfältig verstecken die Eltern in Mauerritzen und unter Matratzen die Bilder ihrer Kinder, die am Tag der Heiligen Kommunion aufgenommen wurden. Wenn den Terroristen des IS solche Bilder in die Hände fielen, bedeutete dies oft das Todesurteil für die Familie. Papst Franziskus gestand in einem Gespräch in seinem Dienstflugzeug, dass ihm solche Nachrichten die „Tränen in die Augen treiben“.
Die Kandidaten
Der nächste Papst wird nur dann eine Chance haben, die Wahl zu gewinnen, wenn er ein so stark zersplittertes Kardinalskollegium vereinen kann, um die nötigen stolzen 91 Stimmen zu bekommen, die ihm den Thron Petri sichern.
Die naheliegendste Entscheidung der Kardinäle würde auf den derzeitigen Kardinalstaatsekretär Parolin fallen, einen erfahrenen Diplomaten, damit würde die alte Ordnung wieder einkehren. Was gegen Parolin spricht ist die extreme Schwäche der Europäischen und Nordamerikanischen Kirche. Die Gläubigen verlassen in Scharen die Gemeinden. Parolin musste in seinem Heimatland Italien im April eine katastrophale Niederlage einstecken. Die Synodal-Versammlung der italienischen Kirche erlebt eine regelrechte Revolte von unten, was die Frage des Umgangs mit Sexualstraftätern, der Weihe von Frauen zu Priestern und die Diskriminierung Homosexueller anging. Es gelang der Bischofskonferenz nicht, ihr Abschlussdokument durchzusetzen, weil die Basis rebellierte.
Aber kann ein Kardinal, der im eigenen Haus nicht stark genug ist, um eine Synode zu beenden und dem die Gläubigen weglaufen, als Papst der Kirche einen Dienst erweisen? Die aufbegehrenden Kirche Asiens und Lateinamerikas sagen: Nein.
Die radikalste Entscheidung beträfe zweifellos Kardinal Mykola Bychok. Der erst 45-jährige Ukrainer dient zurzeit in Australien. Er gilt als Hardliner gegen die Russen, er betreute in Sibirien ukrainische Katholiken, die in den 50er-Jahren von Joseph Stalin dorthin zwangsumgesiedelt wurden. Seine Wahl auf den Thron des Papstes wäre zweifellos eine Sensation.
Epochal wäre zweifellos auch die Wahl von Luis Antonio Tagle, sein Großvater mütterlicherseits stammte aus China, er selbst wuchs in Manila auf den Philippinen auf. Allein die Tatsache, dass ein Papst mit chinesischen Wurzeln die unterdrückte katholische Kirche in China stärken könnte, die teilweise im Untergrund wirkt und vor Verhaftungen und Verfolgung bedroht ist, wäre zweifellos ein weltpolitischer Faktor.
Auch die Wahl von Pierbattista Pizzaballa, dem Patriarchen von Jerusalem, hätte zweifellos erhebliche Konsequenzen. Er setzt sich entschieden für die Rechte palästinensischer Christen ein, die im Gazastreifen sowohl unter der Hamas als auch unter israelischen Angriffen leiden.
Ein historisches Problem
Eines steht jetzt schon fest: Die nächste Papstwahl wird zweifellos in die Geschichte eingehen, denn es gibt ein historisches Problem. Im Vatikan glauben viele, dass Papst Franziskus ganz bewusst seinen Sinn für Humor austoben wollte und dieses Problem schuf. In dem Gästehaus der Heilige Martha, in dem die wahlberechtigten Kardinäle mit dem Schlüssel (cum clave) eingeschlossen werden, gibt es 105 reguläre Zimmer und 20 Einzelzimmer als Notbehelf für Ärzte und Krankenpfleger.
Da die älteren Herren auf unbestimmte Zeit eingeschlossen werden, schien es Papst Johannes Paul II. wichtig zu sein, medizinisches Personal den Kardinälen zur Verfügung zu stellen. Insgesamt gibt es also 125 Zimmer, doch Papst Franziskus ernannte 137 wahlberechtigte Kardinäle. Selbst wenn kein einziger Arzt und kein einziger Pfleger mit in das Konklave einziehen wird, müssen zwölf Kardinäle mit einem anderen Kardinal aufs Zimmer gehen.


Andreas Englisch
wurde 1963 in Deutschland geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Rom. Er ist einer der bestinformierten Journalisten im Vatikan.
Seine Bücher sind Bestseller, wie „Franziskus – Zeichen der Hoffnung“ (2013), „Der Kämpfer im Vatikan – Papst Franziskus und sein mutiger Weg“ (2015). Zuletzt erschienen: „Alle Wege führen nach Rom“. Eine turbulente Pilgerreise von Meran in die Heilige Stadt.
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© Bild: PrivatDieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/25 erschienen.