Adidas-CEO Björn Gulden trat ein schweres Erbe an. Er setzte auf Nahbarkeit und schickte 60.000 Mitarbeitern seine Handynummer. Binnen eines Jahres schaffte er wider Erwarten schwarze Zahlen. Das wichtigste Rüstzeug für den Job lehrte ihn Fußball. Bleibt die Sache mit Kanye West.
Kurz nach dem einjährigen Jubiläum von Björn Gulden als Adidas-CEO kam so etwas wie das Skandälchen nach dem Skandal. Der lange Jahre hindurch gewinnbringende, aber schwierige ehemalige Partner von Adidas und US-Rapper Kanye West (der sich aktuell Ye nennt) postete ein Foto von sich mit Gulden an über 19 Millionen Instagram-Follower. Man war einander wohl bei der Superbowl über den Weg gelaufen. "Make Adidas great again" schrieb der bekennende Trump-Anhänger Kanye West unter das Foto. Es erntete binnen zwölf Stunden über 1,5 Millionen Reaktionen im sozialen Netzwerk. Suboptimal für Adidas, ließe sich mit Blick auf die Vergangenheit zwischen Star und Marke vermuten.
Adidas hatte die neun Jahre währende Zusammenarbeit mit dem Rapper nach dessen anhaltenden antisemitischen, sexistischen und rassistischen Äußerungen im Herbst 2022 beendet. Der Bruch verursachte der ohnehin von Pandemiefolgen und Inflation angeschlagenen Marke enorme Kosten. Vor einem Jahr war von 1,2 Milliarden Euro Umsatz die Rede, die dem Unternehmen 2023 durch das Aus der gemeinsamen Marke Yeezy fehlen.
Anfang 2023 war Björn Gulden vom Konkurrenten Puma als Retter zu Adidas geholt worden. Schon die Ankündigung des Wechsels an der Spitze ließ die Börse Ende 2022 frohlocken (siehe Grafik unten).
Nicht zu früh feiern
Guldens Art, nun nach einem Jahr an der Spitze Bilanz zu ziehen, war typisch für den Führungsstil des Norwegers. In der Präsentation des vorläufigen Geschäftsergebnisses für 2023 gab er sich wenig euphorisch. Andere hätten Grund gefunden, zu feiern: Statt der vorhergesagten Verluste von rund 100 Millionen Euro verbuchte Adidas ein Betriebsergebnis von 268 Millionen Euro.
Gulden betonte stattdessen, dass die Finanzergebnisse mit einem um fünf Prozent auf 21,4 Milliarden Euro verringerten Umsatz "nicht gut sind". Das liegt auch daran, dass das Plus teils auf dem Abverkauf der Restbestände aus der Marke Yeezy beruht, und zwar im Ausmaß von 750 Millionen Euro Umsatz laut Adidas. Den weiteren Abverkauf der Problemmarke, die aufgrund der Limitierung erst recht stark nachgefragt ist, plant Björn Gulden kostenneutral und ohne Wirkung auf das kommende Betriebsergebnis. "Man kann ein Unternehmen nicht in zwölf Monaten drehen. Wir müssen Adidas erst dahin bringen, wo es hingehört", lässt er betreffend Prognosen Vorsicht walten. Der 58-jährige CEO blickt bedacht, aber tatkräftig nach vorne.
Eine EM-Wette auf Deutschland
Via Instagram ließ er Anfang des Jahres wissen, was für ihn jetzt zähle: die Olympischen Sommerspiele in Paris, die Paralympics, die Copa América zur Ermittlung des südamerikanischen Fußballmeisters und allen voran die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Dabei müsse Adidas "sichtbar sein, auf Performance setzen, um eine positive Welle zu schaffen", zitiert die "Wirtschaftswoche" den CEO, der eine sehr teure Flasche Wein darauf wettet, dass Deutschland ins Halbfinale kommt. Insgesamt stattet Adidas bis zu sieben Teams bei der EURO 2024 aus, darunter Deutschland, Belgien, Italien oder Spanien. Auch der offizielle Ball kommt wie für jede EM und WM seit 1970 von Adidas, dieses Jahr mit dem Namen "Fußballliebe".
Erstmals ist der Spielball mit neuer "Connected Ball Technology" ausgestattet, die präzise Balldaten für schnellere Entscheidungen an die Videoschiedsrichter sendet. Der CEO wird vor Ort mitfiebern und hat dank der mannigfaltigen Wettbewerbe 2024 viel vor. "Let us together make 2024 a great year! Sport is good Life is good!", schreibt Gulden auf Instagram. Er meint es genau so.
Fußball-Learnings für den Topjob
Mit dem Norweger, der vor einem Jahr Kasper Rorsted als CEO ablöste, folgt ein herzhafter Marketingspezialist mit einer Vergangenheit als Profisportler auf einen Zahlenverliebten Finanzmann. Seine Freizeit verbringt Gulden mit Sport. Dann macht er noch viel Sport. Und auch seine drei Söhne brennen für Sport. Schon Guldens Vater Arild holte als Nationalspieler im Fußball- und (!) im Handballteam Norwegens mehrere Meistertitel. Auch Guldens Schwiegervater war norwegischer Nationalspieler.
Dem Adidas-Chef selbst verstellte eine Verletzung den Weg zur Fußballkarriere. Mitte der 80er-Jahre spielte er als Profi für den 1.FC-Nürnberg, im Alter von 23 Jahren war Schluss. "Da musste ich meine Talente von den Füßen in den Kopf verlagern und begann, zu studieren und Kontakte in die Sportindustrie aufzunehmen", erzählte er vergangenen Herbst im norwegischen Podcast "In Good Company".
Nahbar und erfrischend direkt gab er sich gegenüber Gastgeber Nicolai Tangen. Nach seinem Schuhwerk befragt, entledigte er sich des Adidas-Modells "Samba", das er trug, und zeigte es bereitwillig. "Ich bin ein alter Mann und möchte auch cool sein wie die Jungen, deshalb trage ich den 'Samba'. Wenn es um Mode geht, bin ich eher Mainstream", so Gulden schmunzelnd. Bei Sportschuhen für einen der 5K-Laufwettbewerbe, die er öfter im Jahr absolviert, sei er schon wählerischer und teste viele Modelle, wie er zugab.
Seine Erfahrungen aus dem professionellen Teamsport erachtet er als wichtigste Lebens-Learnings. Daran ändert auch sein späteres BWL-Studium in Stavanger und Boston nichts.
"Hochschulbildung gibt dir theoretischen Hintergrund, doch die Real-Life-Erfahrung wiegt stärker. Teamsport ist ein Spiegel des Lebens. Du spielst mit Leuten, die besser sind als du, und solchen, die schlechter sind. Du bildest ein Team mit Menschen, die du magst, und welchen, die du nicht leiden kannst. Und du musst als Team und als Person dein Bestes geben. Das ist, zusammen mit der Erfahrung, durch die Krise der Verletzung zu gehen, meine wichtigste berufliche Erfahrung", sagte der Mann mit Karrierestationen bei Helly Hansen, Adidas, elf Jahren bei Deichmann, beim dänischen Schmuckhersteller Pandora und zehn Jahren als Vorstandsvorsitzender beim Adidas-Rivalen Puma.
Produkt und Marke über allem
Bei seinem Wechsel von Puma zu Adidas Anfang 2023 musste Gulden nicht weit umziehen. Beide Firmen haben aufgrund der Gründung durch die zerstrittenen Brüder Rudolf (Puma, 1948) und Adolf Dassler (Adidas, 1949) in deren Heimatort ihren Sitz in Herzogenaurach. "Hier ist die Geburtsstätte der Sportartikelindustrie", betont der CEO im Podcast. "Mein Job ist es, die alte Adidas-DNA wiederzubeleben, nämlich die beste Sportmarke zu sein, wenn es um sportliche Leistung geht, und den besten Draht zur Street Culture zu haben."
Daraus folgend übernahm Gulden zum Chefposten auch das Vorstandsressort Global Brand. "Die Markenführung gehört in die Hände des CEO", klärte der Norweger nach Amtsantritt. Er setzte stärker auf die Rolle der Händler, die gegenüber dem Onlineshop ins Hintertreffen geraten waren, und war dafür bereit, kurzfristig auf hohe Margen zu verzichten. Produkt und Marke stehen für ihn über allem. Wenn Strategieabteilungen 200 Mitarbeitende hätten, aber gleichzeitig in Entwicklung, Marketing und Vertrieb Personal fehle oder abgebaut werde, sei dies nicht in seinem Sinn, zitierte das "Handelsblatt" seine neue interne Ausrichtung.
"Listen to your people"
Für Gulden muss zuerst das Produkt stimmen. Dazu gehört, wie er Nicolai Tangen, CEO Norges Bank Investment Management, erklärte, die richtige Technologie, aber auch Athleten und Verbände, die die Marke präsentieren. Und um Geld zu verdienen, müsse die Marke ins Lifestylesegment, das wirtschaftlich den viel größeren Teil ausmacht. "Es braucht den Draht zur Street Culture, etwa durch Influencer, um Teil der relevanten Themen zu sein, die die Welt bewegen. Listen to your people. Listen to your consumer. Du kannst nicht entscheiden, was sie mögen sollen, du musst zuhören können", formulierte der CEO.
Zuhören prägt auch Guldens Führungsstil im internen Umgang. Zum Antritt schickte er 60.000 Mitarbeitern seine Handynummer. Jeder von ihnen soll den direkten Draht zu ihn haben. Ein paar Hundert Nachrichten bekommt er so pro Woche, deren Themen dann entsprechend bedacht, verteilt oder in den monatlichen Meetings angesprochen werden. "Meine wichtigste Aufgabe als CEO ist der Bereich Human Resources", ließ Gulden im Podcast "In Good Company" wissen, "der Kontakt und die Arbeit mit den Menschen, die das Unternehmen tragen."
Schnelle Entscheidungen als Ziel
Das interne Tempo hat angezogen unter dem neuen CEO. Geht es nach Gulden, müssen Menschen und Prozesse schnelle Entscheidungen zulassen. Das gilt für ihn wie auch für seine Mitarbeiter, denen er laut eigener Auskunft lieber eine Fehlentscheidung nachsieht als eine verabsäumte, verzögerte Entscheidung. "Wenn die Realität deinen Plan einholt, ist dein Plan nicht mehr relevant", lautet sein Motto. Es ist auch der Rasanz geschuldet, mit der sich verschiedene Märkte in verschiedene Richtungen entwickeln. Er sieht die kulturellen Unterschiede zwischen Europa, China und den USA wachsen, dies bedarf rascher, dezentraler Entscheidungsgewalt.
Gulden: "Der einzige Punkt, an dem Hierarchie zum Tragen kommt, ist, wenn wir uns nicht einig sind. Dann muss ich die Entscheidung treffen. Je weniger Entscheidungen ich selbst getroffen habe, desto besser. Denn das bedeutet, dass jemand anders entschieden hat, mit dem ich einer Meinung bin."
Und nun? Alles Yeezy?
Transparent gestaltet Björn Gulden seine Aussichten, bis Adidas in alter Form zurück ist. 2024 sei ein "Baustein, um Adidas wieder zu einem Unternehmen mit zweistelligem Wachstum und einer operativen Marge von zehn Prozent zu machen". vertröstet er Anleger auf bis zu zwei Jahre.
Nur was Kanye West, Adidas und Yeezy betrifft, herrscht nach dessen Superbowl-Posting vor einer Woche Rätselraten. Zumal Gulden im Podcast mit Nicolai Tangen im Herbst den Rapper als "einen der kreativsten Menschen der Welt" bezeichnete. Er halte ihn nicht für einen schlechten Menschen, sagte Gulden damals frei von der Leber weg und auch, dass er glaube, der US-Star hätte nicht gemeint, was er gesagt hatte. Eine Entschuldigung von Gulden gegenüber Jonathan Greenblatt, Geschäftsführer der Anti-Defamation League, folgte, die öffentliche Bekräftigung von Adidas, den Kampf gegen Antisemitismus weiterzuführen, wenig später.
Wochen danach entschuldigte sich auch Kanye West via Instagram auf Hebräisch "aufrichtig bei der jüdischen Gemeinschaft für alle ungeplanten Ausbrüche". Der Rapper bereue den Schmerz, den er verursacht habe, und bitte um Vergebung, schrieb er.
Und nun das Foto von Gulden und West beim Superbowl. Nicht nur Anleger hätten gerne gehört, was die beiden Millionengewichtiges zu besprechen hatten.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 8/2024.